„Angst ist nicht schändlich“

Jeder Mensch hat Angst, besonders in bedrohlichen Situationen. Sich dabei am Glauben und an Gott festzuhalten, kann helfen, mit der Angst umzugehen. Der Theologe Thorsten Dietz erklärt im Interview, worin die Kraft des Glaubens liegt, wie Jesus der Angst begegnet ist und was Luther während der Pest geraten hat.
Von PRO
Wer sich in der Not an Gott wendet, vertraut sich einer Macht an, die größer ist als das Leben und seine Schwierigkeiten, sagt der Theologe Thorsten Dietz

pro: Warum ist es eine Hilfe, sich in Angstsituationen auf Gott zu besinnen?

Thorsten Dietz: Ich kann Gott gegenüber meine Angst zum Ausdruck bringen, und das ist viel wert. Die schlimmste Angst ist ja die, die ich gar nicht wahrhaben will, die ich verdränge oder verleugne. Denn die beherrscht mich, ohne dass ich mir dessen bewusst bin, ich kann gar nicht mit ihr umgehen. Wenn ich mit den Klagepsalmen sagen kann: „Herr, mir ist Angst!“ (Psalm 31,10), wird es schon etwas leichter, allein dadurch, dass ich darüber rede. Die erste große Hilfe des Glaubens ist also, einen Raum zu haben, wo ich zu meiner Angst stehen kann. Das nimmt einen gewissen Druck raus. Das andere ist: Ich vertraue mich Gott an und damit einer Macht, die stärker und größer und ewiger ist als jede Krankheit, als jede Krise, als dieses Leben selbst. Gott vertrauen heißt, alles relativieren zu können, was in diesem Leben irgendwie schrecklich oder furchtbar oder bedrohlich ist.

Gibt es noch andere Dinge im Glauben, die hilfreich sind im Umgang mit der Angst?

Der Glaube verbindet. Gemeinschaft, mit anderen Menschen Verbundenheit zu erfahren, in irgendeiner Weise in Berührung zu kommen, ist etwas sehr Angstbändigendes. Dass wir jetzt mehr allein sein, uns nicht mehr umarmen und streicheln sollen, steigert das Angstniveau der Gesellschaft. Glaube heißt, sich mit anderen verbinden und darin auch getragen zu sein. Theologisch betrachtet: Kirche ist Leib Christi. Gott begegnet uns gerade auch in der Gemeinschaft mit anderen Gläubigen. Das ist ein ganz wesentlicher Faktor.

Ein weiterer Punkt, wie Glaube helfen kann, ist, klassisch lutherisch das Wort Gottes als Verheißung zu hören und für sich in Anspruch zu nehmen, sich daran auszurichten. Gottesworte wie „Fürchte dich nicht, ich habe dich erlöst“ (Jesaja 43,1) oder das Wort Jesu „Niemand wird sie aus meiner Hand reißen“ (Johannes 10,28). Solche Verheißungen der Bibel sind heilsame Unterbrechungen innerer Angstspiralen, wo man in Sorgen und Grübeleien verfällt. Viele von uns haben gerade ernsthaften Grund, sich zu sorgen. Da sind solche heilsamen Unterbrechungen überaus hilfreich.

Es ist eine menschliche Reaktion, zu sagen: Die Ursache der Angst, also die Not, die Krise, das Leid, das hat Gott zugelassen. Wie schafft man es, nicht in diese Argumentation zu kommen?

Das ist eine große Schwierigkeit. Auf der einen Seite wollen wir nicht einfach sagen: Gott hat das gemacht, um uns zu strafen oder dass wir etwas daraus lernen. Denn damit würden wir Gott behandeln wie irgendeine Person, die wir in den Kausalzusammenhang einordnen und berechnen können. Auf der anderen Seite will man natürlich auch nicht sagen: Auch Gott ist überrascht von diesem Virus, er hat das gar nicht mitgekriegt. Der Ausdruck „Gott hat etwas zugelassen“ ist der theologische Kompromiss, so von der Allmacht Gottes zu sprechen, dass wir uns dabei nicht zu viel Wissen anmaßen. Die geistliche Kunst besteht meines Erachtens darin, zu akzeptieren, dass wir vieles in der Welt nicht erklären und nicht sofort mit Sinn versehen können; sondern es Gott im Vertrauen einfach hinzuhalten. Das hat auch mit Gottvertrauen zu tun.

Jesus hatte Angst im Garten Gethsemane, bevor er verhaftet wurde. Was können wir von seinem Umgang damit lernen?

Wir können bei ihm lernen: Angst ist überhaupt nicht schändlich. Angst anzuerkennen und anzunehmen ist ganz wesentlich. Das zweite ist: Die Angst darf uns nicht treiben. Wenn wir uns die Passionsgeschichte anschauen, haben da alle Angst: Pilatus, Petrus, Jesus. Aber anders als die anderen beiden lässt Jesus sich nicht von der Angst treiben, sondern er nimmt sie an; und geht ängstlichen, aber gleichzeitig getrosten Blickes in das Leid hinein. Er nimmt es an. Der Glaube kann darin stärken und dazu ausrüsten, zu sagen: „Ich will tun, was getan werden muss, egal, welch große Angst ich habe. Denn Gott ist stärker, was immer kommen mag.“

Jesus hat vorher noch zu seinen Jüngern gesagt: „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost: Ich habe die Welt überwunden.“ Was meinte er damit?

Das ist sehr wichtig: In der Welt haben wir Angst! Der Glaube schützt nicht davor. Jesus sagt nicht: „Wenn ihr glaubt, habt ihr keine Angst mehr.“ Das zweite ist die große Relativierung von all dem, was ist. Mein Ansehen hängt nicht daran, was irgendjemand sagt. Mein Ansehen ist in Christus begründet. Meine Zukunft wird mir nicht das Robert-Koch-Institut mitteilen, auch nicht die Bundeskanzlerin. Sondern was Christus sagt, das zählt für meine Zukunft. Diese Welt-Relativierung ist ein Raum des Aufatmens.

Dr. Thorsten Dietz, Jahrgang 1971, ist Professor für Systematische Theologie an der Evangelischen Hochschule Tabor in Marburg. Er hat unter anderem zum Begriff der Furcht bei Luther und dem Verhältnis von Angst und Glaube geforscht. Foto: privat
Dr. Thorsten Dietz, Jahrgang 1971, ist Professor für Systematische Theologie an der Evangelischen Hochschule Tabor in Marburg. Er hat unter anderem zum Begriff der Furcht bei Luther und dem Verhältnis von Angst und Glaube geforscht.

Der Reformator Martin Luther hatte auch mit Ängsten zu kämpfen. War er als Persönlichkeit ein ängstlicher Mensch?

Er war ein extrem gefühlsintensiver Mensch. Er konnte furchtbar wütend werden, aber sich auch wahnsinnig freuen. Insofern war er auch sehr empfänglich für Angst. Er hatte regelrechte Panikattacken in seiner Frühzeit, aber auch in späteren Krisenerfahrungen. Und er hat in dieser Panik gelernt, dass man Angst nicht durch irgendwelche ideologischen oder sonstigen Anstrengungen aus dem Leben hinausbekommt, sondern es braucht etwas, das stärker ist als jede Gefahr. Das hat er in Christus, im Evangelium gefunden – das Wort, an das er sich geklammert hat, auch in größter Angst, und an dem er sich immer wieder neu aufgerichtet hat.

Er hat das ja zum Teil auch in Liedern verarbeitet. Wie können Lieder und Musik Angst bändigen?

Bei der Musik ist ja das Schöne, dass sie uns körperlich in einer Weise durchdringt, die Angst mindert. Angst versetzt uns in Anspannung. Aber um halbwegs singen zu können, muss man eine gewisse körperliche Entspannung haben. Wenn das mit heilsamen Inhalten verbunden ist, umso besser. Insofern ist Singen eines der besten Medikamente, die man sich gegen Angst vorstellen kann.

Luther hat in Wittenberg auch die Pest erlebt. Wie ist er damit umgegangen?

Luther warnt während der Pest vor zwei Gefahren. Die eine Gefahr ist die, dass die Angst größer wird als die Liebe. Und da verpflichtet er sehr stark dazu: Hilf deinem Nächsten, diene den anderen, kümmere dich um deine Familie, lauf nicht weg – es ist deine Pflicht, und der Glaube kann dir Kraft geben, dich dieser Pflicht zu stellen. Luther warnt aber auch vor Vermessenheit, man würde Gott versuchen, wenn man sagt: Gott wird mich schon schützen. Ich muss nicht auf mich aufpassen, ich habe keine Angst. Das ist für Luther überaus töricht. Er sagt: Gott hat die Arznei geschaffen. Er hat uns Vernunft gegeben, damit wir auf unsere Gesundheit achten, wie auch auf unsere Mitmenschen. Wer das nicht tut, führt in den Augen Luthers andere in Gefahr und ist selbst schuld am Tod anderer Leute.

Vielen Dank für das Gespräch!

Der Reformator Martin Luther hatte auch mit Ängsten zu kämpfen. War er als Persönlichkeit ein ängstlicher Mensch?

Er war ein extrem gefühlsintensiver Mensch. Er konnte furchtbar wütend werden, aber sich auch wahnsinnig freuen. Insofern war er auch sehr empfänglich für Angst. Er hatte regelrechte Panikattacken in seiner Frühzeit, aber auch in späteren Krisenerfahrungen. Und er hat in dieser Panik gelernt, dass man Angst nicht durch irgendwelche ideologischen oder sonstigen Anstrengungen aus dem Leben hinausbekommt, sondern es braucht etwas, das stärker ist als jede Gefahr. Das hat er in Christus, im Evangelium gefunden – das Wort, an das er sich geklammert hat, auch in größter Angst, und an dem er sich immer wieder neu aufgerichtet hat.

Er hat das ja zum Teil auch in Liedern verarbeitet. Wie können Lieder und Musik Angst bändigen?

Bei der Musik ist ja das Schöne, dass sie uns körperlich in einer Weise durchdringt, die Angst mindert. Angst versetzt uns in Anspannung. Aber um halbwegs singen zu können, muss man eine gewisse körperliche Entspannung haben. Wenn das mit heilsamen Inhalten verbunden ist, umso besser. Insofern ist Singen eines der besten Medikamente, die man sich gegen Angst vorstellen kann.

Luther hat in Wittenberg auch die Pest erlebt. Wie ist er damit umgegangen?

Luther warnt während der Pest vor zwei Gefahren. Die eine Gefahr ist die, dass die Angst größer wird als die Liebe. Und da verpflichtet er sehr stark dazu: Hilf deinem Nächsten, diene den anderen, kümmere dich um deine Familie, lauf nicht weg – es ist deine Pflicht, und der Glaube kann dir Kraft geben, dich dieser Pflicht zu stellen. Luther warnt aber auch vor Vermessenheit, man würde Gott versuchen, wenn man sagt: Gott wird mich schon schützen. Ich muss nicht auf mich aufpassen, ich habe keine Angst. Das ist für Luther überaus töricht. Er sagt: Gott hat die Arznei geschaffen. Er hat uns Vernunft gegeben, damit wir auf unsere Gesundheit achten, wie auch auf unsere Mitmenschen. Wer das nicht tut, führt in den Augen Luthers andere in Gefahr und ist selbst schuld am Tod anderer Leute.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Jonathan Steinert

Dieser Artikel ist im Christlichen Medienmagazin pro erschienen, das Sie hier oder telefonisch unter der Nummer 06441/5667752 bestellen können.

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