Das west-östliche Kloster

Ein kleines ostdeutsches Dorf, darin ein verfallenes Kloster und zwei christliche Kommunitäten aus „dem Westen“ – das ist das Szenario im Thüringer Volkenroda Anfang der 90er Jahre. Heute ist das Kloster ein geistliches Zentrum in einer religiös sonst ausgedörrten Gegend.
Von PRO
Katharina Freudenberg ist Vikarin in Thüringen. Ihre Doktorarbeit hat sie über den Wiederaufbau des Klosters Volkenroda geschrieben.
Die Klosterkirche war einst das Schmuckstück von Volkenroda. Doch der ältesten Zisterzienserkirche auf deutschem Boden droht zur Zeit der Wiedervereinigung der Einsturz. Errichtet wurde sie um 1130, seit Anfang der 1970er Jahre ist sie so baufällig, dass sie nicht mehr betreten werden darf. Da das Interesse der DDR-Behörden an der Pflege kulturellen Erbes und insbesondere von kirchlichen Bauten gering ist, bleiben Bemühungen um deren Erhalt oft ohne Erfolg. Investitionen fließen nur noch in die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft, den Hauptarbeitgeber in dem 200-Seelen-Dorf Volkenroda. Nach der Friedlichen Revolution 1989 wird sie aufgelöst und viele Menschen aus dem Ort und der Umgebung verlieren ihre Arbeit. Davon betroffen ist auch Ulrike Köhler. Die Agrar-Ingenieurin stürzt mit dem Verlust des Arbeitsplatzes in ein tiefes Loch der Perspektivlosigkeit. Doch gerade in dieser schwierigen Zeit wird der Gedanke geboren, dass es doch noch eine Zukunft geben könnte für den Ort Volkenroda – und auch für sie persönlich: Das alte Kloster soll wieder aufgebaut werden. Zusammen mit einigen Mitstreitern wie dem Bürgermeister und der Denkmalschutzbeauftragten organisiert sie Aufräumarbeiten auf dem Klostergelände. Hierfür werden Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ins Leben gerufen. Gleichzeitig beginnt die Instandsetzung der Kirche. Eine Notverankerung sichert die Statik, die Dachverbände werden restauriert und eine neue Schiefereindeckung aufgebracht. Die dafür nötigen Finanzmittel stellen die Denkmalpflege, der Landkreis und die Kommune bereit. Bald schon kommt allerdings die Frage auf, wie das ehemalige Klosterareal inhaltlich genutzt werden soll. Vieles können sich die Volkenrodaer vorstellen: ein Hotel oder einen Spiel- und Freizeitpark, eine Kurklinik, eine Bildungsstätte oder eine diakonische Einrichtung. Doch ein Träger, der sich den Wiederaufbau der maroden Gebäude vorstellen kann, ist schwer zu finden. 1994 nimmt sich schließlich die Jesus-Bruderschaft Gnadenthal dieses Vorhabens an, die über persönliche Kontakte von den Überlegungen in Volkenroda erfährt. Die Kommunität mit Hauptsitz im Taunus hatte ebenfalls ein Kloster über viele Jahre architektonisch ansprechend und nachhaltig hergerichtet. Zusammen mit einigen Engagierten aus Volkenroda entwickelt diese Kommunität eine Vision, was aus den verfallenen Gebäuden in der thüringischen Provinz werden könnte: eine ökumenische Begegnungs- und Bildungsstätte. Den Geschwistern der Jesus-Bruderschaft ist aber bewusst, dass die bauliche Wiedererrichtung so viel Kraft und Aufmerksamkeit bedürfen würde, dass sie für den geistlichen Aufbau Unterstützung brauchen würden. So wenden sie sich an die Christusbruderschaft in Selbitz in Oberfranken. Die Brüder dort sind gerade auf der Suche nach einem neuen Ort. Daher nehmen sie die Einladung an und ziehen 1995 nach Volkenroda.

„Man wollte sich nicht als blöd outen“

So leben kurz nach der Wiedervereinigung Deutschlands – noch mitten in der Euphorie und den Sorgen des Neuanfangs – mehrere westdeutsche Gruppen Tür an Tür mit der ostdeutschen Bevölkerung, Mitglieder einer besonderen religiösen Lebensform inmitten eines vom Sozialismus geprägten Dorfes, in dem die Kirche kaum noch eine Rolle spielt. Eine spannungsreiche Konstellation, um gemeinsam eine geistliche und bauliche Vision umzusetzen. Das beginnt schon bei der Sprache, die zwar dieselbe ist, aber die in Ost- wie Westdeutschland Begriffe geprägt hat, die auf der anderen Seite nicht oder anders verstanden werden. Dies betrifft in Volkenroda alltägliches Vokabular ebenso wie spezielle Lebens- und Fachbereiche, zum Beispiel Organisationsbegriffe wie „Verein“ oder „Satzung“. Ulrike Köhler erinnert sich aus ostdeutscher Perspektive: „Da wir viele Dinge nicht wussten, haben wir ständig aneinander vorbei geredet. Ich kann mir vorstellen, dass man sich nicht gerade als blöd outen wollte und ständig fragte: ,Was heißt denn das? Erklärt mir das mal!‘ Die wussten nicht, dass wir das nicht kennen und haben die Wörter einfach gebraucht.“ Auch manche christliche Begriffe, die die Brüder aus dem Westen verwendeten, waren in Thüringen nicht bekannt. „Ich habe nur Bahnhof verstanden, als ich die ersten Male in Gnadenthal war. Ich habe nicht gewusst, was sie mit ,Lebensgemeinschaft‘ meinen. Wir haben uns solange gefetzt, bis wir uns verstanden haben. Aber das war schwer“, sagt Ulrike Köhler. Diese Einschätzung bestätigen auch die westdeutschen Bruderschaften. Auch sie sind über die Art und Weise des Umgangs miteinander zum Teil irritiert. Ihnen fällt vor allem die Zurückhaltung der Ostdeutschen auf, in der Öffentlichkeit frei die eigene Meinung kundzutun. Die Bruderschaftsmitglieder können zwar rational nachvollziehen, dass diese Zurückhaltung in der DDR-Erfahrung lag, wonach die öffentliche Meinungsäußerung unerwünscht war und schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen konnte. Aber dennoch bleibt ihnen dieses Verhalten fremd. Auch in ihren Lebensgewohnheiten – sei es in der Wochengestaltung, der Feierkultur oder der Kindererziehung – unterscheiden sich die Zugezogenen von den Einheimischen zum Teil erheblich. Für die Klostergemeinschaft ist es wichtig, den Sonntag als Feiertag mit einem Gottesdienst zu begehen und von Alltagsarbeit freizuhalten. Diese christliche Tradition wird in Volkenroda, das – von einer kleinen Gruppe abgesehen – keine aktive Bindung mehr zur Kirche hat, nicht gepflegt. Selbst die Kirchenglocke, die immerhin noch ins Bewusstsein des Dorfes rufen könnte, dass ein Gottesdienst stattfindet, ist seit der Schließung des Kirchengebäudes Anfang der 1970er Jahre verstummt. Stattdessen ist der Sonntag für viele Volkenrodaer die übliche Zeit für Haus- und Gartenarbeiten. Während die Bruderschaften die großen christlichen Feste Ostern, Pfingsten oder Weihnachten als wichtigste Feiertage im Jahr gestalten, hat für das Dorf die Kirmes einen hohen Stellenwert als zentrale Festveranstaltung. Dabei ist der christliche Hintergrund des Festes, die Kirchweihe, in Volkenroda nicht mehr im Bewusstsein. Für die Bruderschaften stellt sich an diesem Punkt die Frage, ob sie sich auf die Traditionen des Dorfes einlassen können und mit ins Festzelt gehen. Nicht zuletzt daran zeigt sich, inwiefern sich das Kloster als Teil des Dorfes versteht oder als eher unabhängig davon. Während sich dieses Miteinander in den ersten Jahren als schwierig erweist, nimmt es im Laufe des Wiederaufbaus Stück für Stück zu.

Das Kloster belebt das Dorf

Die Zeit vor und während der Expo 2000 in Hannover bringt einen positiven Schub in das Verhältnis von Dorf und Kloster. Im Rahmen der Weltausstellung wird das Kloster Volkenroda als weltweites Lebensformprojekt nominiert: Die mehrfache Nutzung des Klosters als Jugendbildungsstätte, als geistliches Zentrum und als ökologische Landwirtschaft gilt als Vorzeigeobjekt. Im Rahmen des Bund-Länder-Programms „Dorf 2000“ bewirbt sich Volkenroda auch als exemplarisches Thüringer Dorf und wird angenommen. Für die Dorfbewohner wird dabei deutlich, dass sich der Aufschwung des Klosters auch positiv auf das Dorf auswirkt. Viele Fördergelder werden bewilligt und so kann auch die Infrastruktur des Ortes instand gesetzt werden. Durch die Expo kommen viele Besucher nach Volkenroda. Einen zusätzlichen Hype löst der Christus-Pavillon aus, der nach dem Ende der Ausstellungszeit in Hannover abgebaut und nach Volkenroda versetzt wird. Zwar ist es für einige Menschen im Umkreis nicht nachvollziehbar, wofür ein zusätzliches Kirchengebäude in dieser entchristlichten Gegend nötig wäre. Es gibt viele Kirchen, die sonntags kaum besucht werden. Doch als erkennbar wird, dass der Christus-Pavillon Touristen anzieht, verklingen die kritischen Töne. In diesen Jahren vertiefen sich auch die Beziehungen des Klosters zum kirchlichen Umfeld. In der Anfangszeit hatte es vielfältige Spannungen zur evangelischen Ortsgemeinde gegeben und auch die Abstimmung mit dem Kirchenkreis barg Schwierigkeiten. Das Kloster erschien mit seinen Veranstaltungen und geistlichen Angeboten manchem aus der Landeskirche als Konkurrent. Doch vieles davon können die einzelnen kleinen Gemeinden im Umkreis gar nicht leisten, wie Einkehrtage oder große Konfirmandenfreizeiten. So wird das Kloster mehr und mehr auch als Bereicherung für das kirchliche Leben in der Region gesehen. Katholiken wie Protestanten schätzen die Kommunität für ihr ökumenisches Profil. Ulrike Köhler hat den Aufbau des Klosters seit 25 Jahren miterlebt und mitgestaltet. Immer wieder haben sich dabei die Konflikt- und Aufgabenfelder verändert. In den vergangenen Jahren macht sie sich besonders für das Projekt „Kloster auf Zeit“ stark. Als Seelsorgerin kümmert sie sich um Menschen, die für einige Wochen oder Monate eine Auszeit von ihrem Alltag brauchen. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es Menschen gut tut, wenn sie neben der inneren Einkehr auch ihre Hände gebrauchen. Bei der Arbeit in der Landwirtschaft, beim Rasenmähen oder Reparieren werden manche Probleme ganz körperlich verarbeitet“, erklärt Ulrike Köhler. Die Menschen, die dieses Angebot wahrnehmen, kommen aus allen Teilen Deutschlands. Der Tag der deutschen Einheit wird in Volkenroda seit vielen Jahren mit einem besonderen Gottesdienst gefeiert. Anlässlich des 25. Jahrestages verbindet sich mit dem Gottesdienst auch die Einweihung des neusten Refektoriums. Dass es nötig war, eine größere Küche und Speiseräume für die steigende Gästezahl zu errichten, zeigt die Beliebtheit des Ortes. Die Menschen, die vor 25 Jahren das Klosterareal von Schutt befreiten, konnten sich nicht vorstellen, dass es heute ein so schöner und lebendiger Ort sein würde. Ost und West sind sich hier – in ausgetragenen Konflikten, im Alltagsleben und im gemeinsamen Feiern – nahe gekommen. (pro)

Katharina Freudenberg, Jahrgang 1985, ist Vikarin in Thüringen, wo sie mit ihrem Mann und zwei Kindern lebt. Ihre Doktorarbeit hat sie über den Wiederaufbau des Klosters Volkenroda geschrieben. Im Juli erschien ihr Buch: „Kloster Volkenroda 1990–2001. Westdeutsche Kommunitäten in einem ostdeutschen Dorf“, 330 Seiten, Evangelische Verlagsanstalt, 19,90 Euro, ISBN 9783374041473

https://www.pro-medienmagazin.de/wirtschaft/detailansicht/aktuell/ich-moechte-ein-hoerender-sein-94284/
https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/detailansicht/aktuell/eine-mischung-aus-freiheit-und-einkehr-93888/
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