Kindlos glücklich

Für viele Menschen gehören Kinder ganz selbstverständlich zu einer Ehe dazu. Was aber, wenn Paare keinen Nachwuchs bekommen können – oder keinen wollen?
Von PRO
Ein Leben ohne Kinder können sich viele Ehepaare nicht vorstellen. Manche aber wünschen es sich
Ein Freund riet Ansgar Hörsting in jungen Jahren: „Wenn du eine Frau suchst und dann eine kennenlernst, frage dich, ob sie die Mutter deiner Kinder sein könnte“. Daran hat er sich gehalten. Mit Mitte 20 heiratete er seine heutige Frau Susanne, nach einer Weile hörten sie auf, zu verhüten. Schwanger ist sie bis heute nicht geworden. Susanne und Ansgar Hörsting werden wohl niemals leibliche Kinder haben. Die beiden 48-jährigen Christen haben sich lange Zeit nichts sehnlicher gewünscht, als eine eigene Familie zu gründen. Nach Arztbesuchen und verschiedenen Untersuchungen stand irgendwann fest: Die Chance des Paares, eigene Kinder zu bekommen, lag bei 50 Prozent. Laut dem Institut für Bevölkerung und Entwicklung in Berlin trifft Hörstings Schicksal in Deutschland rund jede siebte Partnerschaft. Ansgar Hörsting, Präses des Bundes Freier evangelischer Gemeinden, erinnert sich: „Man denkt von Monat zu Monat. Welche Tage sind günstig? Man hat auf den Punkt Sex, ob man will oder nicht. Monat für Monat, Jahr für Jahr Enttäuschungen.“ Bis heute hat das Paar das Gefühl, dass in seinem Leben etwas Wesentliches fehlt. Für Ansgar Hörsting steht fest: „Die Ehe ist für mich und laut Grundgesetz die Ehe zwischen Mann und Frau. Sie ist angelegt auf Kinder, ob das nun klappt oder nicht. Es gibt immer Sonderfälle, aber so ist eben der Normalfall.“

Was ist eigentlich normal?

Nur, dass immer weniger Menschen diesen „Normalfall“ anstreben. Laut dem Mikrozensus, einer repräsentativen Befragung deutscher Haushalte, war im Jahr 2012 jede fünfte Frau zwischen 45 und 49 Jahren kinderlos. Vier Jahre zuvor war es noch rund jede sechste in dieser Altersgruppe. Nach oben hin wird die Zahl geringer: Von den 2012 70- bis 75-Jährigen war nur jede zehnte ohne Nachwuchs. Offenbar wird Kinderlosigkeit also gängiger. Frauen, die heute mitten im Leben und kurz vor ihren Wechseljahren stehen, haben seltener Kinder als Frauen, die vor 30 Jahren in deren Alter waren. Die Gründe dafür, ob Menschen sich für Kinder entscheiden oder nicht, sind vielfältig. Statistisch gesehen kommen Babys nach wie vor am häufigsten in Ehen auf die Welt. Das statistische Bundesamt hat ermittelt, dass rund 90 Prozent aller verheirateten Frauen zwischen 35 und 49 Jahren Mutter sind. Unter ledigen Frauen ohne Partner hat hingegen nur ein Drittel Nachwuchs. Auch die berufliche Laufbahn spielt beim Kinderwunsch offenbar eine Rolle. Frauen in Westdeutschland sind bei ihrer ersten Entbindung derzeit im Durchschnitt 29 Jahre alt. Wenn sie studiert haben, klettert das Altersmittel auf 33 Jahre. Immer mehr Frauen bekommen spät Kinder – oder eben gar keine. Wer sich in christlichen Gemeinden umschaut, wird feststellen, dass der Familienentwurf Vater-Mutter-Kind hier gängig ist, vielleicht sogar gängiger als im Rest der Gesellschaft. Doch auch hier gibt es jene, die keine Familie gründen, obwohl sie häufig jünger heiraten als ihre nichtchristlichen Bekannten. Und zwar ganz bewusst. Ben und Jasmin Seidl leben in Berlin, er ist Amerikaner, ein Missionar und Musiker, sie ist Deutsche und Designerin. Seit neun Jahren ist das Künstlerpaar verheiratet. Obwohl beide schon ein Stückchen jenseits der 30 stehen, können sie sich nicht vorstellen, eigene Kinder zu haben – und sprechen offen darüber.

„Keine Sehnsucht nach dem Papa-sein“

„Meine Eltern haben früher immer zu mir gesagt: ‚Eines Tages wirst du ein toller Papa sein‘ – aber ich habe einfach keine Sehnsucht danach“, erinnert sich Ben Seidl. Er und seine Frau sind sich einig. „Ich war noch nie an dem Punkt, wo ich mich für das Muttersein bereit gefühlt hätte“, sagt Jasmin Seidl. Keiner von beiden will ausschließen, dass dieser Zeitpunkt irgendwann kommen könnte. Ihr Mann sagt: „Ich glaube, Kinder sind ein Segen, aber ich fühle mich nicht so, als müsste ich welche haben, um ein guter Christ, ein guter Ehemann zu sein.“ Das macht die beiden zu einer Minderheit in christlichen Gemeinden. In Predigten geht es um Singles oder Familien, selten aber um kinderlose Paare. Einmal habe ein Pastor sogar dafür gebetet, dass sie Kinder bekommen. Ben Seidl muss lachen, als er daran denkt. Der Mann habe ihn nicht sehr gut gekannt und sei einfach davon ausgegangen, er und seine Frau könnten keinen Nachwuchs bekommen. „Ich schloss die Augen während dieser Mann für mich betete und sagte zu Gott: ‚Du kennst mich. Du weißt, ich möchte das nicht. Aber wenn es dein Wille ist …‘“ Wer der Meinung sei, eine gute Ehe müsse Kinder hervorbringen, vertrete schlicht eine falsche Theologie, findet Ben Seidl: „Der Sinn einer Ehe ist doch, dass zwei Menschen verändert werden.“ Jasmin Seidl stimmt zu: „Ich glaube, wir haben da sehr viel Freiheit.“

Und was sagen die Kirchen dazu?

Wie aber stehen die Kirchen dazu, wenn Ehepaare gewollt kinderlos bleiben? Die Evangelische Kirche in Deutschland sieht es ausdrücklich als Option an, keine Kinder zu bekommen. In der im vergangenen Jahr erschienenen und heiß diskutierten Orientierungshilfe zum Thema Familie „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit“ heißt es: „Manches heterosexuelle Paar entscheidet sich bewusst gegen Kinder oder bleibt aus anderen Gründen kinderlos und gestaltet seine Generationenbeziehungen dennoch schöpferisch und verantwortlich.“ Protestanten verstünden die Ehe vor allem als Gemeinschaft unter dem Segen Gottes, die Partnerschaft verbindlich und verantwortlich lebe – und Sorge für andere übernehme, seien es Kinder, Eltern oder Großeltern. Die katholische Kirche sieht in der Zeugung und Erziehung von Nachwuchs laut Weltkatechismus die „Krönung“ der ehelichen Liebe. Dennoch könnten Eheleute, „denen Gott Kindersegen versagt hat“, ein „menschlich und christlich sinnvolles Eheleben führen“. Im Katechismus der Deutschen Bischofskonferenz heißt es zudem, ein Ehepaar, das sich wirklich liebe, empfinde normalerweise den Wunsch, „Kinder als Zeugen dieser Liebe zu haben“. Dennoch gelte Gottes Gnade und Segen jeder Ehe, „in der das Ja der Liebe und Treue die Gatten eint“. Und wie sieht es bei den Evangelikalen aus? Hartmut Steeb, Generalsekretär der Deutschen Evangelischen Allianz, erklärt im Gespräch mit pro: „Nach biblischem Bericht ist der erste Satz, den Gott zu den Menschen spricht: ‚Seid fruchtbar und mehret euch!’. Es ist also eine klare Aufgabe im großen Rahmen der Verantwortung, diese Welt zu bebauen und zu bewahren, und damit zu gestalten. Von sich aus zu sagen: ‚Da mache ich nicht mit’, finde ich einen problematischen Umgang mit Gottes Wort und seinen guten Wegweisungen für unser Leben.“ Steeb, der selbst Vater von zehn Kindern ist, zitiert aus Psalm 27: „Kinder zu haben ist eine Gabe des Herrn.“ Dennoch soll Gemeinde sich seiner Meinung nach so aufstellen, dass darin jeder willkommen ist, „unabhängig von seinen Gaben und Lebensgestaltungen“. Ansgar Hörsting sieht das als Betroffener ähnlich. Er spricht von einer „gottgegebenen Sehnsucht danach, fruchtbar zu sein“, und weiter: „Deswegen schmerzt es ja auch, wenn es nicht geht, aus welchen Gründen auch immer.“ Zugleich gebe es mehr als körperliche Fruchtbarkeit. Geistliche Frucht, geistliche Kinder, eine geistliche Familie, die Gemeinde Jesu – das erfahre er als übergeordnete Realität. „Ich will keine Kultur, in der es normal ist, keine Kinder zu haben. Und wo es normal ist, nicht nach Kindern zu fragen. Aber die Nachfragen dürfen nicht zum Druck werden“, sagt er. Deshalb bemühe er sich als Pastor, seine eigene Kinderlosigkeit selbst anzusprechen: „In einer Predigt habe ich einmal erwähnt, dass wir leider keine Kinder haben – weil ich nicht wollte, dass andere uns zum Vorbild nehmen und sagen: ‚Oh, das strahlende kinderlose Paar.‘“ Dass es tatsächlich glückliche kinderlose Paare wie Ben und Jasmin Seidl innerhalb der Gemeinde geben könnte, halten Hörstings für nahezu ausgeschlossen: „Das gibt es wohl noch seltener als unsere Situation.“ (pro) Dieser Text ist der aktuellen Ausgabe des Christlichen Medienmagazins pro entnommen. Bestellen Sie pro kostenlos und unverbindlich unter der Telefonnummer 06441/915 151, via E-Mail an info@pro-medienmagazin.de oder online.
https://www.pro-medienmagazin.de/politik/detailansicht/aktuell/allianz-fordert-erziehungsgehalt-79879/
Helfen Sie PRO mit einer Spende
Bei PRO sind alle Artikel frei zugänglich und kostenlos - und das soll auch so bleiben. PRO finanziert sich durch freiwillige Spenden. Unterstützen Sie jetzt PRO mit Ihrer Spende.

Ihre Nachricht an die Redaktion

Sie haben Fragen, Kritik, Lob oder Anregungen? Dann schreiben Sie gerne eine Nachricht direkt an die PRO-Redaktion.

Offline, Inhalt evtl. nicht aktuell

PRO-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen