„Stern“ über Bastel-Religionen in Deutschland

Einerseits verlieren die großen Kirchen in Deutschland Mitglieder. Andererseits probieren immer mehr Menschen exotische Religionen aus. Über diesen Gegensatz und die sehnsuchtsvolle Suche vieler Deutscher nach einer verloren gegangenen Spiritualität berichtet der "Stern" in seiner aktuellen Ausgabe unter dem Titel "Selig ohne Gott".
Von PRO

"Jahr für Jahr verlassen in Deutschland Hunderttausende die Kirchen. Viele suchen ihr Heil in exotischen Religionen oder alten Kulten", schreibt "Stern"-Autorin Stefanie Rosenkranz unter der Überschrift "Geister, Gurus und Gebete". Ob Hexen-Kult, Voodoo-Zauber oder Meditation im Aschram, je exotischer, desto interessanter für solche, die den etablierten Kirchen den Rücken gekehrt haben.

"Das Göttliche ist trendy, solange es exotisch ist, vor allem jenseits des Atlantiks." Einige Prominente aus Hollywood hätten sich der Kabbala oder dem Buddhismus zugewendet. "Doch auch hierzulande ist die Suche nach mehr Sinn – und gern auch nach mehr Sinnlichkeit im Glauben – längst zu einer Massenbewegung geworden. Es gibt ein Paradox im sogenannten christlichen Abendland: Einerseits nimmt die Zahl der Anhänger organisierter Großreligionen langsam, aber stetig ab." Nur noch 25 Millionen Deutscher gehörten 2007 der evangelischen Kirche an, vor 30 Jahren waren es fünf Millionen mehr. Im selben Zeitraum verloren die Katholiken fast drei Millionen Gläubige; derzeit bekennen sich noch knapp 26 Millionen Menschen in der Bundesrepublik zum Papst.

Suche nach Spiritualität

"Statistisch gesehen spielen neue Glaubensbewegungen oder esoterische Sekten kaum eine Rolle, sie machen 1,2 Prozent der Bevölkerung aus." Zugleich konstatierten Gesellschaftswissenschaftler jedoch eine "Respiritualisierung" in Deutschland. Jeder dritte der offiziell Konfessionslosen nennt sich religiös, und fast jeder vierte der 60 Millionen erwachsenen Deutschen findet, man sollte sich aus verschiedenen frommen Botschaften seinen eigenen Glauben zusammenstellen.

Der Soziologe Ulrich Beck sagt: "Wir erleben einen Übergang von der Religion zur Religiosität." Viele Gottsucher werden offenbar nicht in den etablierten Religionen fündig. Ein "Heer von Glaubensnomaden" irre über das Land, so der "Stern", "getrieben von der Sehnsucht nach mehr Transzendenz und Geborgenheit in einer so kalten wie komplizierten Welt".

Die Reportage berichtet von einer Frau, die zur Hexe wurde, von der "Internationalen Gesellschaft für Krishna-Bewusstsein", die sich "anheischig" mache, "verlorene Schäfchen des Christentums einzusammeln", oder von den Bahais, die eine Frau in Potsdam anzog. Andere waren früher evangelisch und lauschen nun andächtig der Lehre des Dalai Lama. Wer es komplett exotisch möge, werde eventuell bei einem afro-brasilianischen Kult fündig, der bereits in Berlin eine "Zweigstelle" habe.

Die Journalistin schreibt weiter: "Sowohl die Protestanten als auch die Katholiken haben über Jahrzehnte ein Spiritualitätsdefizit aufgebaut und wirken insgesamt etwa so illuminiert wie der Bundestag." Wer sich "der schweren Prüfung eines protestantischen Gottesdienstes an einem beliebigen Sonntag" unterziehe, müsse auf einem harten Brett sitzen und "auf ein nacktes Kreuz starren", so Rosenkranz. "Sachliche Seelsorger geben unablässig vernünftige Worte von sich, so wie man sie auch von der Pastorentochter Angela Merkel täglich in der ‚Tagesschau‘ vernehmen kann." So ein Gottesdienst habe "das Ambiente eines Mathematikunterrichts an einer Gesamtschule".

Bei den Katholiken gebe es zwar mehr "Pomp", doch der dortige Gläubige erscheine ihr wie ein "blökendes, ewig fehlgeleitetes sowie schuldiges Schaf, das hinter seinem allmächtigen Hüter hertrotten muss".

Der Benediktinerpater Anselm Grün meint: "Viele haben vom Christentum Verletzungen davongetragen und suchen deshalb woanders, im Buddhismus, im Hinduismus, wo auch immer. Sie suchen nicht Moral, sondern Gotteserfahrungen." Auch der Landesbeauftragte für Spiritualität der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, Wolfgang J. Bittner, sieht das ähnlich: "In der Neuzeit hat sich die Kirche oft auf die Ethik zurückgezogen und den Anspruch aufgegeben, aus dem Glauben das Leben gestalten zu wollen."

Daher bastelten sich viele ihre Religion selbst zusammen. Der Philosoph Rüdiger Safranski spricht von "Religionen aus dem Hobbykeller". Der "Stern": "Mit ihnen wird unablässig am Thron des großen Gottes des Monotheismus gesägt, der niemanden neben sich duldet." (pro)

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Eine Antwort

  1. Ich glaub an Gott und denke er schreibt auf krummen Wege grade . Gütig barmherzig und gnädig ist er. Ich denke wir können uns Gott nicht basteln sondern ihn in unserem Herzen spüren und in unserem Leben nach ihm fragen.

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