Fundamentalisten? – „Anruf bei Sektenberatung“ hilft

F r a n k f u r t / M a i n (PRO) - In zumindest anfänglich wohltuender Unaufgeregtheit widmet sich die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" in ihrer aktuellen Ausgabe den "evangelikalen Christen". Sie "treten zunehmend offensiv auf", schreibt "FAS"-Autorin Julia Schaaf – und meint: "Evangelikalismus und Fundamentalismus sind in Deutschland keineswegs dasselbe, auch wenn es Überschneidungen gibt."
Von PRO

„Drohen uns jetzt amerikanische Verhältnisse? Sind das alles Fundamentalisten?“ Unter dieser Fragestellung beschäftigt sich Julia Schaaf mit den evangelikalen Christen in Deutschland und will eine „Orientierungshilfe im Dickicht der Religion“ geben. Von den Verhältnissen in Amerika sei Deutschland weit entfernt.

„Wer weiß, dass die religiöse Rechte in den Vereinigten Staaten erheblichen politischen Einfluss besitzt und die meisten Evangelikalen dort fundamentalistisch sind, kennt sich noch lange nicht mit den Verhältnissen in Deutschland aus“, so die Autorin. Der Evangelikalismus gewinne zwar an Einfluss. „Aber der Fundamentalismus ist im Vergleich zu Amerika keine organisierte und einflussreiche Bewegung“, wird Hansjörg Hemminger, Weltanschauungsbeauftragter der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, zitiert.

„Evangelikalismus ist nicht immer Fundamentalismus“

„Erste Lektion: Evangelikalismus und Fundamentalismus sind in Deutschland keineswegs dasselbe, auch wenn es Überschneidungen gibt“, schreibt Julia Schaaf weiter. „Die evangelikale Bewegung ist eine besonders fromme, wertkonservative Strömung, die die Bibel als Anleitung für den Alltag begreift und einen ‚lebendigen Glauben‘ postuliert. Insgesamt gibt es 1,3 Millionen evangelikale Christen in Deutschland. Dazu zählen Mitglieder der etablierten Freikirchen (wie Baptisten und Methodisten), der moderne Pietismus (mit eigenen Zusatzstrukturen innerhalb der Volkskirche), sonstige engagierte, theologisch konservative Protestanten innerhalb der Landeskirche (die sich vielleicht in Hauskreisen organisieren) sowie eine ganze Reihe jüngerer autonomer Gruppen, für die der Heilige Geist und die Erfahrung Gottes von zentraler Bedeutung sind.“

Gefahr: Eigener Frömmigkeitsstil als Maßstab

So jedenfalls beschreibe Hartmut Steeb, Generalsekretär der Deutschen Evangelischen Allianz, das Spektrum der Evangelikalen, das aus einer Vielfalt von Gruppen bestehe. „Wo aber, bitteschön, wird es fundamentalistisch?“, fragt Julia Schaaf weiter. Dazu sagt der Weltanschauungsbeauftragte der katholischen Kirche im Bistum Limburg, Lutz Lemhöfer: „der wichtigste Unterschied ist die Frage, ob man den eigenen Frömmigkeitsstil zum alleinigen Maßstab macht und anderen das Christsein abspricht“. Und tatsächlich, auch solche Christen gibt es: „In ihrer extremen Variante lehnen christliche Fundamentalisten die pluralistische Gesellschaft ab, ihre Grundlage beziehen sie stets aus einem wörtlichen Verständnis der Bibel“, so Julia Schaaf.

Die Mehrheit dieser „Fundamentalisten“ befinde sich in „charismatischen Gruppierungen, in denen der Glaube an Dämonen oder göttliche Heilung eine wichtige Rolle spiele“, sagt Annette Kich, ebenfalls Weltanschauungsbeauftragte in Württemberg. Typisch für diese Gruppierung sei zudem „eine Einteilung der Welt in Gut und Böse, Freund und Feind sowie klare Hierarchien zwischen Mann und Frau, Eltern und Kindern, Führer und Gemeinde. Kreationismus ist hier an der Tagesordnung. Denn was bliebe von der Irrtumslosigkeit der Schrift, wenn Gott die Welt nicht tatsächlich in sechs mal 24 Stunden geschaffen hätte?“

„Anruf bei der Sektenberatung“

All diese Gruppen stellten auch eine Herausforderung für die evangelische Kirche dar. „Nicht, weil ihr die Mitglieder in Scharen davonliefen. Aber es gehen die Engagierten: Jugendmitarbeiter, Gemeinderäte.“ Da gelte es zu überlegen, „was die Konkurrenz besser macht – Orientierung geben zu Beispiel“. Die theologischen Fakultäten hätten etwa die neue Debatte um Schöpfungslehre und Evolution bisher ignoriert, Handreichungen für den Religionsunterricht gebe es nicht.

Zum Schluss gibt Julia Schaaf noch eine warnende Empfehlung: Weil die Gesellschaft eine „religiös hochgradig ungebildete“ sei – wie es der Weltanschauungsbeauftragte Hemminger sagt – wüssten in Deutschland „nur wenige zwischen lebensförderlicher und lebenshinderlicher Religiosität“ zu unterscheiden. „Solange sich daran nichts ändert, bleibt im Zweifel nur der Anruf bei der Sektenberatung.“

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