Evangelische Kirche: effizientes Unternehmen oder Nachfolger Jesu?

W ü r z b u r g / F r a n k f u r t (PRO) - Angesichts der verbesserten wirtschaftlichen Situation in Deutschland rechnet auch die evangelische Kirche (EKD) mit einem Anstieg der Einnahmen. Ein Politikwissenschaftler warnt die in Würzburg tagende EKD-Spitze jedoch davor, sich wie ein Industrieunternehmen lediglich an "Effizienzsteigerung" zu orientieren und dabei die Nachfolge Jesu aus dem Blick zu verlieren.
Von PRO

Die evangelische Kirche rechnet mit einem Anstieg der Kirchensteuern um sechs bis sieben Prozent. Im vergangenen Jahr nahmen die 23 evangelischen Landeskirchen 3,6 Milliarden Euro Kirchensteuern ein. Auch im kommenden Jahr rechnet die evangelische Kirche mit einem Anstieg der Einnahmen. Dies teilte die EKD am Dienstag während ihrer fünftägigen Synode in Würzburg mit. Die 52 Millionen Mitglieder der evangelischen und der katholischen Kirchen zahlen knapp acht Milliarden Euro Kirchensteuern.

Doch trotz dieser erfreulichen Entwicklungen hielten die evangelischen Kirchen an ihrem Konsolidierungskurs zur Sicherung der finanziellen Handlungsfähigkeit fest, sagte der Vizepräsident der westfälischen Kirche, Klaus Winterhoff. Denn für die weitere Zukunft müsse die Kirche wieder für engere finanzielle Spielräume gewappnet sein. Die EKD diskutiert derzeit ein „Impulspapier“ für weitreichende Strukturreformen. Das Papier, das den Titel „Kirche der Freiheit“ trägt, schlägt unter anderem vor, die Zahl der Landeskirchen langfristig von 23 auf acht bis zwölf zu verringern.

Online Infos zu Kirchenfinanzen

Um den Kirchenmitgliedern mehr Transparenz bei den Finanzen der EKD zu bieten, hat sie eine Internetseite eingerichtet, auf der sich jeder Interessierte über die Finanzen informieren kann. Auf der Seite www.kirchenfinanzen.de gibt es Informationen zur Kirchensteuer sowie zur Verwendung der Einnahmen, teilte die EKD am Freitag mit. „Kirche und Geld, das ist für viele ein sehr sensibles Thema“, sagte Oberkirchenrat und Leiter der Finanzabteilung, Thomas Begrich. „Da ist es gut zu wissen, wofür die Kirche das Geld braucht, welche Einnahmen sie neben der Kirchensteuer hat und was die evangelische Kirche mit ihrem Geld macht.“

Politikwissenschaftler Perels: „EKD-Impulspapier ist ‚evangeliumsfern'“

Der Politikwissenschaftler Joachim Perels sieht in den Bestrebungen der EKD indes vor allem den Versuch, wie ein Wirtschaftsunternehmen den Empfehlungen von Wirtschaftsberatern zu folgen, um die „Effizienz“ zu steigern. In der „Frankfurter Rundschau“ nannte er das „Impulspapier“ der EKD „evangeliumsfern“.

„Ein Blick ins Neue Testament“ zeige laut Perels, „dass es, durch Jesu Sprechen und Handeln beglaubigt, die vorhandene Welt der von Mächtigen und Reichen bestimmten Herrschaftsbeziehungen von Grund auf in Frage stellt“. Perels, der Professor am Institut für Politische Wissenschaft an der Universität Hannover ist, gehört unter anderem dem Vorstand der Martin-Niemöller- Stiftung und dem wissenschaftlichen Beirat des Fritz-Bauer-Instituts an. „Ein wesentlicher Zielpunkt des Evangeliums“ sei „die endzeitliche Hoffnung auf einen neuen Himmel und eine neue Erde, in dem Gott seine Hütte bei den Menschen errichtet (Offenbarung 21,1-3)“.

Perels mahnte zugleich das Wort Jakobus‘ an: „Wer der Welt Freund sein will, der wird Gottes Feind sein“ (Jakobus 4,4). Davon sei in dem Impulspapier der EKD „nichts zu spüren, als gäbe es bestimmte Weisungen Jesu nicht, die die Stellung der Christen zur Welt markieren: ‚Ihr wisset, dass die weltlichen Fürsten ihre Völker niederhalten und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt. Aber so soll es nicht sein unter euch…'(Markus10,42-44)“.

In seinem Artikel mit der Überschrift „Das Evangelium wird zur Ware“ kritisiert Perels weiter: „Das Papier orientiert sich in starkem Maße an Kriterien, die Beraterfirmen an Industrieunternehmen oder staatliche Einrichtungen anlegen, um deren Effizienz zu steigern.“ Die EKD lege Wert auf „betriebwirtschaftliche Maximen, die Kosten zu senken und den Wert der Waren und Dienstleistungen zu erhöhen“. „An der quantitativ messbaren Erhöhung der gottesdienstlichen Kasualien bemisst sich der Wert kirchlicher Arbeit, dessen theologisch zu begründender Inhalt – die Verkündung des Evangeliums – nicht in den Blick genommen wird.“

„Trauquote von 100 Prozent angestrebt“

Tatsächlich legte die EKD fest: „Der durchschnittliche Gottesdienstbesuch am Sonntag sollte von derzeit vier Prozent auf zehn Prozent aller Kirchenmitglieder gesteigert werden“; es gelte, „die Taufquote signifikant zu erhöhen“; bei evangelischen Partnern sei „eine Trauquote von 100 Prozent anzustreben“. Die Frohe Botschaft nehme hier eine „verquaste Gestalt“ an, wirft Perels der EKD-Synode vor.

Die „Vermittlung religiöser Wissensbestände“ stehe „in direktem Widerspruch zu den Weisungen des Neuen Testaments“, so der 64-jährige Politikwissenschaftler, und er erinnerte an das Wort Jesu: „Sie hören das Wort, aber die Sorgen der Welt und der Betrug des Reichtums … ersticken das Wort, und es bleibt ohne Frucht“ (Markus 4,19).

Auch die gewünschte „Verbindung zu den gesellschaftlichen Eliten“ erinnere Perels an die in der Bibel erwähnten „Mächtigen und die Reichen“, denen „der Weg ins Himmelreich versperrt“ sei. „In Gottes Rede heißt es: „Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllet er mit Gütern und lässt die Reichen leer (Lukas 1, 51-53)“ .

Im Hinblick auf die Bergpredigt Jesu sagte Perels: „Eine Kirche Jesu Christi, die zur Formulierung ihres Selbstverständnisses den Begriff der Gerechtigkeit ausklammert, der von Jesus in der Bergpredigt allein in zwei Seligpreisungen im Zentrum steht und als Inbegriff menschenwürdiger und christförmiger Existenz erscheint, verkennt ihren Auftrag.“ Bischof Huber sei ein großer Kenner Dietrich Bonhoeffers, so Perels, und er zitierte den evangelischen Märtyrer mit den Worten: „Man taufte, man konfirmierte…Man spendete Gnadenströme ohne Ende, aber der Ruf in die strenge Nachfolge Christi wurde seltener gehört.“ Perels Kommentar dazu: „Von dieser Einsicht ist das Papier durch einen Abgrund getrennt.“

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