Gerüchte oder Fake News: Soll eine KI die Bibel neu schreiben?

Das Weltwirtschaftsforum will eine „Eine-Welt-Religion“ schaffen, und der israelische Historiker Yuval Noah Harari nennt das Christentum „Fake News“. Ein dpa-Faktencheck zeigt, was dran ist an der Behauptung.
Von Jörn Schumacher

Die Faktencheck-Redaktion der Deutschen Presse-Agentur (dpa) klärt in regelmäßigen Abständen auf der Website dpa-factchecking.com über Falschmeldungen auf, die im Internet verbreitet werden. Nun machten die Experten auf eine Meldung aufmerksam, die eine angebliche religiöse Verschwörung des Weltwirtschaftsforums aufdeckte.

„Das Weltwirtschaftsforum fordert Regierungen dazu auf, die Bibel zu verbieten und eine auf ihre Fakten gecheckte Version ohne Gott herauszubringen.“ So lautet die Überschrift eines Artikels, der Mitte Juni beim Online-Magazin „The People’s Voice“ veröffentlicht wurde und so noch immer online zu finden ist. Eine KI solle auf Betreiben des Weltwirtschaftsforums (englisch World Economic Forum, WEF) die Bibel umschreiben. Entsprechende Gerüchte geisterten in verschiedenen Sprachen durch die sozialen Netzwerke, schreibt dpa.

In dem Artikel heißt es, der israelische Historiker Yuval Noah Harari habe die Bibel als „Fake News“ bezeichnet. Außerdem behauptet er, Harari sei „die rechte Hand“ des Gründers und Vorsitzenden des WEF, Klaus Schwab.

„Laut Harari kann die Stärke von KI dafür genutzt werden, die Spiritualität zu verändern zugunsten der globalistischen Version des Weltwirtschaftsforums von Gleichheit und Inklusivität“, schreibt der Autor von „The People’s Voice“. Ziel sei es, eine „Eine-Welt-Religion“ zu erschaffen, bei der der „Religion der Klima-Wissenschaft“ gehuldigt werde sowie einem „okkulten Techno-Kommunismus“ und „Eugenik“. Jesus Christus und der Glaube an Gott wolle das WEF zu „fake news“ erklären, WEF-Gründer Klaus Schwab wiederum wolle Jesus ersetzen.

Weiter geht es mit der Behauptung, in Großbritannien könnten Bürger bei der Supermarktkette ALDI nur noch mit einem bestimmten „digitalen Pass“ einkaufen, ausgestellt vom WEF. Der Autor warnt, vielen Christen sei längst klar, dass das Bezahlen mit dem Smartphone auf das „Zeichen des Tieres“ hinweise, von dem in der Bibel die Rede ist. In einem zum Artikel gestellten Video wird ein Ausschnitt aus einem Interview mit Harari gezeigt.

„Nein, das WEF hat nie ein Umschreiben der Bibel verlangt“

Erstens sei der Autor Yuval Noah Harari nicht beim WEF angestellt, stellen die Faktenchecker von dpa fest. Der Israeli, der unter anderem durch sein Buch „Kurze Geschichte der Menschheit“ bekannt wurde, sei mitnichten ein Vertreter des WEF – auch wenn er bereits an Konferenzen des WEF teilgenommen habe.

Außerdem sprach der Historiker in Wirklichkeit über die Möglichkeit, dass Künstliche Intelligenz zur Schaffung religiöser Texte eingesetzt werden könnte. Doch das habe er weder befürwortet noch gefordert. Die dpa-Experten schreiben entsprechend: „Nein, das WEF hat nie ein Umschreiben der Bibel verlangt.“ Die Website „The People’s Voice“, die früher Newspunch hieß, sei schon häufiger mit Desinformationen aufgefallen, so dpa.

Der Artikel von „The People’s Voice“ berief sich auf ein Interview mit Harari, doch verfälschte er dessen Aussagen. In einer Sendung einer portugiesischen Stiftung vom 19. Mai 2023 sprach Harari über mögliche Auswirkungen der Künstlichen Intelligenz auf unsere Zukunft.

Der Historiker hatte das vollständige Video am 6. Juni auf seinem eigenen YouTube-Kanal veröffentlicht. Die Passage zur Religion, die „The People’s Voice“ herauspickt, beginne bei Minute 07:20. Harari erklärt dort, die KI sei „die erste Technologie überhaupt, die neue Ideen entwickeln kann“. Während der Buchdruck die Bibel nur habe vervielfältigen können, wäre die KI in der Lage, eine neue Bibel zu schreiben.

Religionen hätten in der Vergangenheit von einem Buch geträumt, das von einer übermenschlichen Intelligenz geschaffen wäre. „In wenigen Jahren könnte es vielleicht Religionen geben, die tatsächlich korrekt sind“, sagt Harari weiter. Ein Glaube, dessen heiliges Buch von einer Künstlichen Intelligenz geschrieben sei, könne in wenigen Jahren zur Realität werden.

Die dpa-Redakteure stellen klar: „Harari spricht also über Annahmen, mögliche Zukunftsszenarien. Zu keinem Zeitpunkt ruft er dazu auf, eine neue Bibel mit Hilfe Künstlicher Intelligenz zu schaffen.“ Der Historiker spreche lediglich von der Möglichkeit einer solchen Bibel in der Zukunft, er sage jedoch nichts darüber, ob er dies befürwortet oder nicht.

Auch bezeichne Harari die Bibel nicht als „Fake News“, wie es einige Posts in sozialen Netzwerken behauptet hatten. Im Artikel von „The People’s Voice“ wurde auf einen angeblichen Tweet des WEF verwiesen, in dem das WEF die Bibel als „Fake News“ bezeichnet. „Ein solcher Tweet findet sich aber weder auf dem Twitteraccount des WEF noch auf dessen Website oder bei Google“, schreibt dpa.

Zudem habe ein Sprecher des WEF erklärt, die Organisation habe nie dazu aufgerufen, die Bibel mittels Künstlicher Intelligenz neu zu schreiben.

Das Video von „The People’s Voice“ zeigt Hararis weiter in einem Statement, wo er sagt, „das Gerede um Jesus, der von den Toten auferstand und der Sohn Gottes sei“, sei „fake news“. Auch dieser Ausschnitt ist aus dem Kontext gerissen und falsch wiedergegeben.

Das Statement stammt von einem Auftritt Hararis bei einem „Google Talk“ im Jahr 2019. In dem Gespräch sagt er, dass er Spiritualität von Religiosität trenne. Wer an Gott glaube, könne noch lange nicht Gesetze für andere Menschen aufstellen und etwa Nichtgläubige als Häretiker töten, so Harari. Indes sei Spiritualität „in unserer Zeit so wichtig wie noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit“, so der Historiker.

Weiter erklärt der Israeli, fast jede Religion halte andere religiöse Auffassungen für „fiktionale Geschichten“, nur die eigene nicht. Aus dem, was Harari dann weiter sagt, stammt die verwendete Stelle, und zwar als Zitat: „Wenn man einen Juden fragt, wird er sagen: ‚Das Judentum ist die Wahrheit, aber alle Christen, Muslime und Hindus glauben an erfundene Geschichten. Alle Geschichten über Jesus, dass er von den Toten auferstand und der Sohn Gottes ist, ist fake news‘.“

Der Moderator hakt mit einem Lachen nach: „Wie, das stimmt gar nicht?“ Harari antwortet: „Wenn man einen Juden fragt.“

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