Gericht: Seelsorge trotz Corona-Maßnahmen erlaubt

Peter Oberthür ist Pfarrer in Dorndorf-Steudnitz in Thüringen. Eine 89-jährige Dame, die seit über 35 Jahren Mitglied der Gemeinde ist, bedarf seiner seelsorgerlichen Hilfe. Doch Oberthürs regelmäßigen Besuche untersagte das Pflegeheim aufgrund der Corona-Verordnungen. Ein Gericht entschied nun: Der Seelsorger darf ins Heim kommen.
Von Jörn Schumacher
Auch wenn Menschen zum Infektionsschutz abgesondert in einem Pfelegheim sind, muss Seelsorgern der Zugang zu den Patienten gewährt werden, besagt das Gesetz

Peter Oberthür vom Pfarrbereich Dorndorf-Steudnitz hat bis zum 28. März eine alte Dame regelmäßig besucht, erst im Krankenhaus, dann im Pflegeheim in Jena. Ein bis zwei Mal in der Woche sei er zu der 89-Jährigen gegangen, die palliativ behandelt wird, berichtete Oberthür gegenüber pro. Doch dann setzte das Pflegeheim die Verordnungen zur Coronakrise durch und verbot ihm den Zutritt zur Patientin. Eine theologische Betreuung hatte das Heim laut dem MDR mit Hinweis auf eine im Haus tätige therapeutische Fachkraft zurückgewiesen.

Oberthür machte das Heim darauf aufmerksam, dass der Gesetzgeber sehr wohl auch in Zeiten der verordneten Isolation Seelsorgern den Zutritt zu Patienten erlaube, wenn diese darum bitten. Der 61-jährige evangelische Pfarrer wandte sich an das Amtsgericht Altenburg, und das gab vergangene Woche den Beschluss bekannt: Der Träger des Heims muss bei Androhung einer Strafe von bis zu 250.000 Euro dem Pastor Besuche bei der 89-Jährigen gewähren, die laut Auskunft ihrer behandelnden Ärzte und ihrer Kinder nur noch wenige Wochen oder Monate zu leben hat.

Bundesinfektionsschutzgesetz gibt dem Pfarrer recht

Gegenüber pro erklärte Oberthür, der Beschluss berufe sich auf das Bundesinfektionsschutzgesetz, Paragraf 30, Absatz 4. Dort heißt es zur Quarantäne angesichts der Bekämpfung von Infektionskrankheiten: „Der behandelnde Arzt und die zur Pflege bestimmten Personen haben freien Zutritt zu abgesonderten Personen. Dem Seelsorger oder Urkundspersonen muss, anderen Personen kann der behandelnde Arzt den Zutritt unter Auferlegung der erforderlichen Verhaltensmaßregeln gestatten.“ Oberthür betont: „Dort steht nicht ‚kann‘, sondern ‚muss‘.“ Die rechtliche Handhabe gelte zudem für alle ähnlichen Fälle in fast allen Bundesländern genauso.

Oberthür: „Ich bin seit 35 Jahren Pfarrer in dieser Gemeinde, und so lange kenne ich die Dame bereits. Sie ist seit vielen Jahrzehnten Chormitglied und Gemeindekirchenratsmitglied.“ Der Seniorin sei es nach eigener Aussage sehr wichtig, den Beistand durch Pfarrer Oberthür zu bekommen. Eine seelsorgerliche Betreuung über Telefon oder Internet sei in mehrfacher Hinsicht kein Ersatz für den persönlichen Kontakt. Die betreffende Dame sei schwerhörig und trage ein Hörgerät; ihr Beatmungsgerät sei laut; dies allein mache die Betreuung über Telefon oder Internet schwierig. Vor allem aber sei es für ein seelsorgerliches Gespräch wichtig, persönlich anwesend zu sein und direkten Kontakt zu den Personen zu haben. Für Experten stehe es außer Frage, dass die Präsenz des Menschen, mitsamt der Mimik und Körpersprache essentiell für die Seelsorge sei, so Oberthür.

Der Pfarrer sagte weiter: „Ich gehe ohnehin mit Mundschutz und Handschuhen zu den Gesprächen, fasse nichts an und benutze nicht den Fahrstuhl. Die Dame liegt in einem sehr großen Raum, da kann ich mich im Abstand von drei Metern zu ihr setzen.“

Soziale Kontakte gerade in Krisenzeit wichtig

Ihm sei wichtig, dass alle Betroffenen von dem Recht erfahren, dass Seelsorger auch in Zeiten von Corona und Quarantäne den Anspruch auf Betreuung wahrnehmen dürfen und dabei rechtlich abgesichert sind. Das strikte Einhalten der Regeln in den Krankenhäusern und Pflegeheimen gehe oft einher mit dem Erzeugen von Angst, so Oberthür. „Dann verzichten die Leute unter Umständen darauf, den Wunsch nach Seelsorge zu äußern, weil sie Angst haben, Probleme zu bekommen oder sich anzustecken.“

Inzwischen lasse das Pflegeheim auch Angehörige zu der Patientin, so Oberthür. „Es handelt sich ja oft um Menschen, die so schwer erkrankt sind, dass rein zeitlich nicht klar ist, ob sie die Coronakrise überhaupt überleben würden. Nicht weil sie Corona bekommen, sondern weil sie ohnehin multimorbide sind. Wenn sie nun in Isolation sind, sieht ihre Perspektive so aus, dass sie in einem kleinen Zimmer sind und an die Wand starren, aber ihre Freunde und die eigene Familie nicht mehr sehen dürfen. Eine fürchterliche Vorstellung!“

Der Pfarrer sagt weiter: „In dieser Krise stellt sich plötzlich wieder verstärkt die Frage: Was macht das Leben eigentlich lebenswert? Und wir merken, wie wichtig für den Menschen soziale Kontakte sind. Wenn dies alten Menschen genommen wird, wäre das Leben nur noch ein Warten auf den Tod.“

Von: Jörn Schumacher

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