Gender-Mainstreaming ignoriert Bedürfnisse von Kindern und Familien

Der Theologieprofessor Christoph Raedel beleuchtet in seinem Buch „Gender“ den aktuellen Diskussionsstand um Geschlechtsidentität, Feminismus, Homo- und Transsexualität sowie Familienpolitik. Bei seinem wichtigen Debattenbeitrag nimmt er kein Blatt vor den Mund. Eine Rezension von Moritz Breckner
Von PRO
„Gender“ bietet eine fundierte Betrachtung der Debatte um Sexualität und Familie mit christlichem Blickwinkel

Christen sollen zum Thema Gender-Mainstreaming sprachfähig werden und Stellung beziehen, fordert Christoph Raedel. Er ist Professor für Systematische Theologie an der Freien Theologischen Hochschule Gießen und will mit seinem Buch „Gender“ genau dabei helfen. Zunächst legt Raedel dar, wie sich die Debatte um Gender-Theorien in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt hat. Dann gibt er, ausgehend vom christlichen Menschenbild, eine Einordnung dazu.

Raedel spannt dabei den Bogen von den Ursprüngen des Feminismus über die vor allem im akademischen und politischen Kontext wachsende Gender-Bewegung hin zur umstrittenen Sexualerziehung in Schulen und Kindergärten. Dabei gelingt es dem Autor, zahlreiche Widersprüche herauszuarbeiten, die sich auftun. Beispielsweise würden gleichzeitig Frauenquoten vorgeschrieben und Bildungspläne verabschiedet, denen zufolge es unzählige Geschlechter gebe. Spannend sind auch die ideengeschichtlichen Hintergründe des Feminismus und der Blick auf dessen unterschiedliche Ausprägungen: So bewerte etwa der Differenzfeminismus die wahrnehmbare Andersartigkeit von Frauen positiv, während der Gleichheitsfeminismus die Unterschiede „entlang der Achse von Macht und Ohnmacht und damit als zu überwindende Hindernisse für die angestrebte Egalität deutet“.

„Kriminalisierung“ von Kritik an Homosexualität

Die Gender-Agenda habe sich in der Europäischen Union technokratisch und ohne demokratische Debatte durch die Institutionen gearbeitet, erklärt der Theologe, und entwirrt die Zusammenhänge zwischen der Dekonstruktion der Geschlechter, der Rechtslage zu Abtreibungen und Antidiskriminierung hin zur Familien- und Krippenpolitik der Bundesregierung. Die Familienpolitik nimmt dabei einen großen und besonders aufschlussreichen Teil des Buches ein. Dabei scheut der Autor vor deutlichen Worten nicht zurück: „Galt der Anspruch, die Hoheit über die Kinder haben zu wollen, lange als Zeichen totalitärer Staaten, so scheint diese Sichtweise inzwischen in der Mitte des Parteienspektrums der Bundesrepublik angekommen zu sein“, schreibt er.

Auch die sensiblen Themen Homo- und Transsexualität klammert Raedel nicht aus und beleuchtet sie aus einer erkennbar christlich-konservativen Position. So werde Kritik an der Gleichbehandlung von Homosexualität kriminalisiert oder als „homophob“ bezeichnet, was der Unterstellung einer krankhaften psychischen Störung, einer Phobie, entspricht. Diese zuweilen stattfindende Pathologisierung von Kritik sei ein zweischneidiges Schwert, denn „kranke Menschen verdienen Rücksichtnahme und sind möglicherweise für ihr Handeln nicht verantwortlich.“ Sei dies der Fall, seien jedoch auch die Versuche, Menschen zu Toleranz und Akzeptanz zu erziehen, zum Scheitern verurteilt – „denn psychisch Kranken ist mit guten Argumenten nicht beizukommen“.

Raedel erklärt die Phänomene Inter- und Transsexualität und bringt auch hier Einwände gegen deren landläufige Darstellung. So kritisiert er etwa, dass die Beschreibung von Transsexualität (beispielsweise „Hirn einer Frau um Körper eines Mannes“) einen Dualismus von Geist und Körper voraussetzt, der die Einheit der menschlichen Person als ein geistiges wie leibliches Wesen preisgibt. Raedel vergleicht Transsexualität mit dem Phänomen anderer Körperintegritätsstörungen wie der Magersucht, bei der der eigene Körper als falsch (zu dick) empfunden werde, obwohl er eigentlich dünn sei. Bei diesem Kapitel wäre es hilfreich gewesen, wäre der Autor noch genauer auf den medizinischen Forschungsstand zur Entstehung von Transsexualität eingegangen, der durchaus auch hormonelle und genetische Fehlentwicklungen als Begründungen heranzieht.

Der Theologe widmet der christlichen Betrachtungsweise ein umfangreiches Kapitel, in dem er versucht, die gängigen Meinungen zur menschlichen Sexualität anhand des biblischen Menschenbildes zu prüfen. Dabei betont er die Liebe Gottes, die für alle Menschen gleich sei, schreibt aber auch, dass in der Bibel keinerlei sexuelle Empfindungen oder Identitäten jenseits der Mann-Frau-Polarität zur Norm erklärt würden. Daher sei es nicht biblisch begründbar, solche zu „Varianten der Schöpfungsvielfalt“ zu erklären.

Was Kinder brauchen

Ausführlich behandelt Raedel auch die gelebte Realität in deutschen Familien und Umfragen dazu, was Männer, Frauen und Kinder sich für ihr Familienleben wünschen. Entgegen aller politischer Anreize sei es noch immer Realität, dass der Familienvater auch die Rolle des Ernährers einnimmt – was auch von einer Mehrheit der Frauen so gewollt werde. Die Entscheidungen der Politiker drängten darauf, dass möglichst beide Elternteile einer Erwerbsarbeit nachgingen, kritisiert Raedel. Das hat zum einen finanzielle Gründe – die Steuereinnahmen – zum anderen jedoch herrsche oft die Ansicht, der Staat könne sich besser um die Kinder kümmern als die eigenen Eltern. Besonders die Verfechter von Akzeptanz und Toleranz sexueller Vielfalt in der Gesellschaft wollten möglichst früh bei den Kindern ansetzen.

„Der blinde Fleck im Konzept von Gender-Mainstreaming ist die fehlende Frage nach den Bedürfnissen von Kindern“, schreibt Raedel. Kinder unter drei Jahren brauchen für die optimale Entwicklung eine feste Bezugsperson, im Normalfall die Mutter – dies sei wissenschaftlich unstrittig. Auch in der Sexualpädagogik und beim Adoptionsrecht sei Ideologie wichtiger als reale Gegebenheiten.

Raedels nicht immer ganz objektives, aber stets sachliches Buch ist eine Bereicherung für den Diskurs. „Gender“ kann ein Augenöffner sein für alle, die sich in die Thematik hineinarbeiten wollen, und ein Nachschlagewerk für Pastoren, Journalisten oder Pädagogen. Der Theologe liefert Argumente, nicht um jeden Streit zu gewinnen, aber um als Christ begründet Zweifel anzubringen am Menschen- und Geschlechterbild, das der Zeitgeist gerade vorgibt. Was es wirklich brauche, schlussfolgert Raedel, sei ein „Familien-Mainstreaming“, das die Frage stelle, „wie Familien darin unterstützt werden können, als Familien zu leben, anstatt lediglich als Projektionsfläche feministischer Gleichheitsfantasien oder als Modul marktwirtschaftlicher Rechenspiele betrachtet zu werden“.

Christoph Raedel: „Gender. Von Gender-Mainstreaming zur Akzeptanz sexueller Vielfalt“, Brunnen, 200 Seiten, 20 Euro, ISBN: 9783765520808

Von: Moritz Breckner

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