„Gelebter Glaube ist im öffentlich-rechtlichen Fernsehen angebracht“

Marlehn Thieme ist seit 2003 Mitglied des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und seit Juli Vorsitzende des ZDF-Fernsehrates. Im Gespräch mit pro erklärt die Rechts- und Sozialwissenschaftlerin, warum Christliches ins Fernsehen gehört.
Von PRO
Vorsitzende des ZDF-Fernsehrates und EKD-Ratsmitglied: Marlehn Thieme

pro: Wie lange sehen Sie täglich fern?

Marlehn Thieme: Das ist sehr unterschiedlich. Das kann mal zwei Stunden sein, dass sind oft auch nur 30 Minuten. Ich liebe Sendungen von Volker Lesch und „TerraX“. Die finde ich interessant, und das entspannt mich auch. Ich lade mir zunehmend auch Inhalte aus der Mediathek, wenn ich Zeit habe.

Welche Bedeutung haben Fernsehgottesdienste?

Die Teilnahme an einem Fernsehgottesdienst ist sicher eine etwas andere Form der Gemeinschaft. Aber es ist auch völlig klar, dass die Fernsehgottesdienste ihre meisten Zuschauer in Bereichen haben, wo die Menschen aufgrund von Gebrechlichkeit nicht mehr den Weg in die Kirche schaffen. Wir wissen beispielsweise aus Altersheimen, dass dort die Möglichkeit der Teilnahme am Fernsehgottesdienst dankbar aufgenommen wird. Für viele genügt auch die vermittelte Form des Gottesdienstes zum Innehalten. Ich gehe sehr häufig sonntags in den Gottesdienst, aber manchmal finde ich einen Prediger, eine Predigerin so spannend, dass ich mir den Gottesdienst dann schon mal im Fernsehen ansehe. Auch, um einfach einen Eindruck zu gewinnen.

Wie kann aus Ihrer Sicht Kirche im Fernsehen noch präsenter werden?

Wir beschäftigen uns mit der Frage immer wieder, auch mit der Redaktion im ZDF. Es gibt eine Mischung von Angeboten. Die ZDF-Gottesdienste wurden grundständig überarbeitet. Gemeinsam mit den katholischen Schwestern und Brüdern wurde daran gearbeitet, die Quoten der Fernsehgottesdienste so zu optimieren, dass wieder ein ausreichendes Zuschauerinteresse gesichert ist. Dann gibt es die Dokumentationsreihe „37 Grad“. Darin wird christlicher Glaube in die unterschiedlichen Lebenswelten von Menschen übersetzt. Das ist auch ein Teil dessen, was man tatsächlich als kirchlichen Auftrag in einem öffentlich-rechtlichen Sender beschreiben kann. Die Lebenswelt von Christen, ihre Haltungen, Auffassungen, typischen Herangehensweisen und damit verbundenen Persepektivwechsel zeigt das ZDF aber auch in den fiktionalen Programminhalten.

Fernsehen ist ein Produkt aus Nachricht und Unterhaltung. Wie passt in diesen Kontext die christliche Botschaft hinein?

Es geht auch um Dokumentation. Das ist wichtig. Dass das nicht nur Nachrichten und Unterhaltung sind. Auch fiktionale Programme sind ja nicht zwangsläufig immer nur unterhaltend. Sondern sie können auch durchaus verkündigend sein, indem man zum Beispiel auf historische Persönlichkeiten schaut. Da gibt es noch sehr viel mehr. Gerade wenn man jetzt darüber nachdenkt, was die christliche Verkündigung eigentlich ausmacht, dann ist sie ja nicht immer nur von der Kanzel herab gepredigt, sondern wird vor allem auch vorgelebt. Diese Facette zu stärken, ist im öffentlich-rechtlichen Fernsehen durchaus gut angebracht.

Hat das lineare Fernsehen ausgedient?

Nach meiner festen Überzeugung wird es weiterhin einen Livestream, ein lineares Vollprogramm, geben. Wie sich das letztlich entwickelt, kann noch keiner sagen. Es wird vielleicht weiter eine Form von Fernsehen geben, die den Menschen eine Tageseinteilung und Orientierung ermöglicht. Gerade für junge Menschen ist jedoch die Form der selbst gestalteten Dimension von Fernsehnutzung schon sehr wichtig und auch selbstverständlich. Das ist nicht zuletzt der Hintergrund für die staatsvertragliche Beauftragung für ein junges Angebot von ARD und ZDF, wo tatsächlich auch ein Internet-basiertes Angebot für eine schon sehr viel flexibler fernsehende Generation gestaltet wird.

Wer erstellt die Inhalte für das „Junge Angebot“? Sind das die etablierten Journalisten oder die jungen Wilden?

Das Team wird aus sehr jungen Mitarbeitern mit anderen Herangehensweisen und zum Teil mit einer anderen Sprache bestehen. Das ist für beide öffentlich-rechtlichen Sendergruppen ein Neuland, das betreten wird. Die Mitarbeiter brauchen dazu auch schon Fernseh- und Redaktionserfahrung. Mit dabei ist beispielsweise Sophie Burkhardt. Sie ist eine 30-jährige Frau und vonseiten des ZDF verantwortlich für die Umsetzung, sie hat einen Draht zu jungen Menschen. Wenn ich beurteilen müsste, ob etwas „hipp“ ist oder nicht, bin ich schnell auf den Dialog mit meinen Töchtern angewiesen.

Sollte dem Thema Schöpfungsverantwortung und Nachhaltigkeit mehr Bedeutung im Fernsehen zukommen?

Nachhaltige Entwicklung ist ein so vielschichtiges Thema, weil es die wirtschaftlichen, ökologischen und gesellschaftlichen Themen und Konfliktlösungsansätze neu bewertet. In Zeiten des Klimawandels und der Probleme, die aus den Entwicklungsländern zu uns hereinschwappen, ist das absolut nötig. Wir müssen die Menschen mitnehmen in diese deutlich komplexere Abwägungswelt, die uns auch einen neuen Lebensstil abverlangen wird. Das Thema kann sich nicht breit in der Öffentlichkeit verankern, wenn da mit einem moralischen Zeigefinger herangegangen wird. Die Menschen müssen mitgenommen werden, damit sie in dieser Veränderung für sich einen Mehrwert erkennen können. Wenn man an die andere große Transformation, an die Reformation vor 500 Jahren denkt, dann lag ihr Erfolg darin, dass sie die Menschen mitgenommen hat.

Martin Luther war die Pop-Ikone der Reformation. Braucht Nachhaltigkeit auch eine Pop-Ikone?

Wir haben ja einige herausragende Vorbilder und Streiter für die Sache der nachhaltigen Entwicklung. Es braucht eine Vielzahl von überzeugenden Vorbildern, die gerade auch in den Multiplikatorfunktionen unserer Welt sehr aktiv mitwirken, etwa den ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler. Aber auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, die mit ruhiger Hand Richtung vorgibt, auch wenn sie nicht immer gleich punkten kann. Sie bohrt dieses Brett ganz tief. Das haben auch andere längst erfahren.

Welchen Beitrag können Kirchen zur Nachhaltigkeit leisten?

Ich glaube, noch einen größeren. Auch daran arbeite ich sehr stark. Bisher haben wir als evangelische Kirche vornehmlich als NGO (Anmerkung: Nichtregierungsorganisation) agiert, zumeist über „Brot für die Welt“. Und damit haben wir Nachhaltigkeit sehr stark auch in den politischen Diskurs hineingebracht. Ich glaube, dass wir mit den Landeskirchen zusammen noch stärker in unser Kerngeschäft, in unsere Organisation dieses Thema hineintreiben und es verankern müssen. Auch in unserem eigenen Verhalten. Bei den Finanzanlagen machen wir das bereits seit einigen Jahren in sehr großem Umfang. Aber wir können noch sehr viel mehr. Zum Beispiel, dass der kirchliche Immobilienbestand, wo möglich, nachhaltiger umgestaltet wird, dass wir in unserer Reisekostenordnung noch stärker auf nachhaltige Mobilität setzen, dass wir in den Kantinen unserer Einrichtungen von der Kindertagesstätte bis zum Kirchenverwaltungsamt auf Nachhaltigkeit achten und entsprechend wirtschaften. Kirche kann noch sehr viel mehr zur Nachhaltigkeit beitragen. Andere motivieren ist gut, aber selber nachhaltig zu agieren ist noch besser.

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Norbert Schäfer. (pro)
https://www.pro-medienmagazin.de/kommentar/detailansicht/aktuell/linke-stiftung-verlangt-zensur-von-zdf-satire-96841/
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