„Geld macht keine Kinder“

Nie wurden in Deutschland weniger Kinder geboren als 2011. Die Bundesregierung will die Geburtenraten mit mehr finanzieller Unterstützung für Familien ankurbeln – ein Irrweg, meinen die Journalisten Peter Hahne, Roland Tichy und Torsten Krauel übereinstimmend in aktuellen Kommentaren.
Von PRO

Seit Volker Kauder in der vergangenen Woche das Elterngeld zur Diskussion stellte, hagelt es Kritik am Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Dabei hat Kauder Recht, findet der Chefkommentator der "Welt"-Gruppe, Torsten Krauel: "Der deutsche Familienstaat insgesamt gehört unter die Lupe genommen – so, wie Bundeskanzler Gerhard Schröder es vor zehn Jahren mit dem deutschen Sozialstaat getan hat." Schröder habe damals gegen den Widerstand aus der eigenen Partei die Strukturen gestrafft und die Kosten gesenkt. Dabei sei der umfassende Sozialstaat immer ein Herzstück der sozialdemokratischen Politik gewesen.

"Was für die SPD der Sozialstaat war, droht für die CDU/CSU, der Familienstaat zu werden", schreibt Krauel in der "Welt am Sonntag". "Die Unionsparteien, besonders die CSU, sind im Begriff, ihre Identität an immer mehr und immer stärker verzettelte Geldleistungen für Familien zu knüpfen." Zum einen fürchte die CSU, ohne den Ausbau des Familienstaates auf Dauer ihre Mehrheitsfähigkeit zu verlieren. Zum anderen sei Familienpolitik für die Union auch Kinder-, Frauen- und Wirtschaftspolitik geworden, da die Vereinbarkeit von Kindern und Beruf, etwa durch ausreichende Kitaplätze, ein Eckpfeiler für den Wirtschaftsstandort Deutschland sei.

Deutschland ist "Schlaraffenland für Familien"

Die Bilanz dieser Politik könne sich aber nicht sehen lassen: "So wenig der ausufernde Sozialstaat die Arbeitslosigkeit senkt, so wenig hebt ein ausufernder Familienstaat die Geburtenrate", schreibt Krauel. Der Journalist, der seit 2009 das Ressort Innenpolitik bei der "Welt" und der "Berliner Morgenpost" leitet, ergänzt: "Das politische Geschäftsmodell Kinder gegen Geld funktioniert nicht – jedenfalls nicht, wenn Leistungen derart unübersichtlich gewährt werden wie in Deutschland. Er zählt diverse Maßnahmen vom Kindergeld bis hin zum Schülerticket für den Nahverkehr auf und stellt fest: "Verglichen mit den frühen Jahren der Bundesrepublik leben junge Familien heute im Schlaraffenland."

Die Kosten für diese Maßnahmen seien jedoch hoch, und Umfragen zeigten, dass eine Anerkennung der Kindererziehung im Rentenrecht auf mehr Akzeptanz stoße als neue staatliche Zuwendungen. "Angela Merkels Regierung könnte den Familienstaat auf den Prüfstand stellen und ihn optimieren", hofft Krauel. "Im Idealfall würden die vielen Leistungen in einige wenige, klar strukturierte Angebote zusammengefasst."

"Kinder müssten begehrt sein wie Apple-Produkte"

Der Chefredakteur des Magazins "Wirtschaftswoche", Roland Tichy, hat sich in seinem Blatt ebenfalls dem Thema Familienpolitik gewidmet. In seinem Text vom Samstag macht er darauf aufmerksam, dass sich der Geburtenrückgang in Zukunft noch verstärken wird – wenn heute weniger Menschen geboren werden, seien in der Zukunft schlicht weniger Menschen da, um sich für Kinder zu entscheiden. "Weil also immer weniger Kinder geboren werden, beschleunigt sich der Bevölkerungsfall in diesem Land ohne Zutun", so der Journalist.

"Aus dieser Falle könnte sich unsere Bevölkerung nur befreien, wenn plötzlich Kinder begehrt wären wie Apple-Produkte", so Tichy. Rund 150 Familienförderprogramme mit einem Gesamtvolumen von 195 Milliarden Euro seien nach Ansicht "emsiger Familienpolitiker" noch immer viel zu wenig. "Aber die hyperventilierende Familienpolitik ist für die Katz‘ und nicht fürs Kind: Mit dem Wissen um Empfängnisverhütung nimmt die Geburtenzahl stetig ab; seit 150 Jahren ist das in Westeuropa zu beobachten."

Während aber die Familienpolitik gegen ein Absinken der Geburtenzahlen kämpfe, stellten verwandte Politikbereiche die Weichen in andere Richtungen. So habe schon Gerhard Schröder zugegeben, dass der rot-grüne Mehrheitsmainstream "Probleme mit dem Begriff Familie" habe, weil "Familie mit einem konservativen oder reaktionären Verständnis" gleichgesetzt werde. Tichy schreibt: "Seither wird über alle Parteien hinweg die rechtliche Sonderstellung der Familie abgebaut – weil sonst unverheiratete Paare, gleichgeschlechtliche Beziehungen oder Zweit- und Drittehe benachteiligt wären."

Darüber hinaus würden Kinder als Armutsrisiko wahrgenommen. Die Botschaft "Kinder sind der Weg ins private Elend" würde durch die staatlichen Hilfsmaßnahmen noch verstärkt. "Wann", so beendet Tichy seinen Kommentar, "haben wir eigentlich zum letzten Mal gehört, dass Kinder das einzige Glück bedeuten, das über uns hinausreicht?"

Peter Hahne: Großfamilie als Statussymbol in den USA

"Trotz Kita-Ausbau, Ganztagsschulen, Elterngeld – kein Kindersegen" stellt auch der Fernsehjournalist und Theologe Peter Hahne fest. In seiner wöchentlichen Kolumne in der "Bild am Sonntag" fragt er: "Woran liegt es, dass ausgerechnet in dem Staat, der am meisten Geld für Familien ausgibt, die wenigsten Kinder geboren werden? Als Großfamilie gilt man als asozial, bekommt schwer eine Wohnung, kann sich kaum Urlaub leisten, so wird argumentiert."

In den USA sehe die Situation ganz anders aus: "Obwohl dort die Gebühren für Kitas und Schulen pro Kind dem Wert eines dicken Autos entsprechen, liegt die Geburtenrate deutlich über unserer. Dort gehört die Mehrkinder-Familie zum guten Ton; sie ist ein Statussymbol", erklärt Hahne. Die finanziellen Anreize in der Bundesrepublik, Kinder zu bekommen, hätten nichts gebracht. Vielmehr müsse sich die Stimmung in der Gesellschaft verändern: woher solle der Mut zum Kinderkriegen kommen, "wenn man gegen Kitas in Wohngebieten klagen kann oder Kinderlachen als Kinderlärm empfunden wird"? Die Diskussion müsse endlich über das Thema Geld hinausgehen, fordert Hahne. (pro)

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