Gehört der Islam wirklich zu Deutschland?

Bundespräsident Christian Wulff hat für seine Rede zum Tag der Deutschen Einheit viel Lob erhalten. Doch in den Tagen danach wurden immer mehr kritische Stimmen laut. Vor allem sorgt Wulffs Äußerung "Der Islam gehört zu Deutschland" für starke Kritik.
Von PRO

"Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das ist unsere christlich-jüdische Geschichte. Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland." Dies sagte Wulff in seiner Rede am Sonntag in Bremen und hat damit eine erneute Diskussion um die Integration muslimischer Menschen in Deutschland ausgelöst.

Lob erhielt Wulff zwar vom Zentralrat der Muslime in Deutschland (pro berichtete). Seine Rede habe verdeutlicht, dass die Muslime "keine Bürger zweiter Klasse" seien, sagte der Zentralratsvorsitzende Aiman Mazyek. Noch am Sonntag erntete Wulff auch Lob von Mitgliedern des Bundeskabinetts. Allen voran bezeichnete Bundeskanzlerin Angela Merkel seine Rede als "Weichenstellung für die Zukunft". Einen Tag später rief Merkel jedoch zusätzlich in Deutschland lebende Muslime dazu auf, sich an den deutschen Grundwerten und am Grundgesetz zu orientieren. "Hier gibt es keine Toleranz", sagte Merkel. Wiederum einen Tag später, am Dienstag, verteidigte Merkel zwar erneut Wulffs Äußerungen zum Islam, forderte aber diesmal zugleich ein stärkeres Bekenntnis zum Christentum. In der Sitzung der Unionsfraktion sagte die CDU-Vorsitzende, Wulffs Aussage, der Islam gehöre zu Deutschland, bedeute nicht, dass der Islam Fundament des kulturellen Selbstverständnisses Deutschlands sei. Sie forderte einen stärkeren Einsatz für das christliche Menschenbild. Es sei auch Sache der Christen, etwas fröhlicher über das "C" in der Christlich-Demokratischen Union zu sprechen.

Frau als Kanzlerin im strengen Islam undenkbar

Unions-Fraktionschef Volker Kauder hat die Islam-Äußerungen von Bundespräsident Christian Wulff kritisiert. Die Rede Wulffs habe "dazu geführt, dass erklärende Interpretationen notwendig geworden sind", sagte Kauder der "Neuen Westfälischen" vom Donnerstag. Er widersprach Wulffs Einschätzung, dass der Islam zu Deutschland gehöre wie das Christentum und das Judentum. Der Maßstab für das Zusammenleben in Deutschland sei das Grundgesetz, "das auf unserem christlich-jüdischen Erbe beruht", sagte der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende. Er rate auch dazu, "die Religionszugehörigkeit nicht zum alleinigen Thema der Integrationsdebatte zu machen, als ließen sich alle Probleme damit erklären." Der Islam könne nicht das Werte-Fundament der deutschen Gesellschaft bilden.

Auch CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe hat inzwischen ein klares Bekenntnis zur christlichen Tradition gefordert. "Wir sollten uns in Deutschland ausdrücklich zu unserer christlichen Tradition bekennen – auch im Dialog mit den Muslimen", sagte Gröhe der "Märkischen Allgemeinen Zeitung". Wulff habe eine wichtige Rede gehalten, und Religionsfreiheit gelte auch für Muslime, betonte Gröhe. Bei der Gleichberechtigung von Frauen und Männern dürfe es in Deutschland aber "keinen Rabatt geben".

Die CDU-Abgeordnete und Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz Ende März, Julia Klöckner, übte Kritik an Wulff. "Natürlich gehört der Islam zu Deutschland", sagte sie am Mittwoch im "SWR2-Tagesgespräch". Das merke man schon alleine daran, dass Millionen von muslimischen Gläubigen in Deutschland lebten und arbeiteten. Das bedeute jedoch nicht, dass er auch "Fundament unserer deutschen Kultur ist", so Klöckner. Wenn dies der Fall wäre, dann wäre in Deutschland weder eine Frau Kanzlerin, noch eine Frau Ministerpräsidentenkandidatin. Insofern sei es eben ein "entscheidender Unterschied", dass man vom Islam als "Teil" von Deutschland rede und nicht als Fundament der deutschen Kultur.

Der Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky, kritisierte Wulffs Äußerung ebenfalls. Der 63-jährige SPD-Politiker sagte in einem Interview mit der Zeitung "Der Tagesspiegel", er hielte es für falsch, "den Islam in den Kontext der historischen Werteschöpfung zu stellen". Der Bundespräsident hätte sagen müssen, was er von den muslimischen Eltern erwarte: "Sie müssen ihre Kinder im Sinne unserer Werteordnung erziehen. Wenn sie das nicht tun, muss der Staat an ihre Stelle treten – in Gestalt von Kinderkrippen, Kindergärten, Ganztagsschulen." Es gebe muslimische Eltern, die ihre Kindern auffordern, sich von Deutschen fernzuhalten, weil die ganze Gesellschaft sündig sei, so der Berliner Bürgermeister.

"An den Stammtischen wird zum Islam sicherlich ganz anders gedacht", sagte   Cornelia Pieper (FDP), Staatsministerin beim Bundesminister des Auswärtigen, zur Rede Wulffs. "Da ist es wichtig, dass er dieses schwierige Thema setzt." Nach Beratungen des FDP-Präsidiums legte Generalsekretär Christian Lindner ebenfalls Wert auf klare Grenzen: "Beim Grundgesetz gibt es keinen Rabatt für religiöse Überzeugungen." Der bayerische CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich hat Wulffs Rede zwar als wichtigen Diskussionsbeitrag gewürdigt, aber betont, der Islam sei nicht Teil der deutschen Kultur. Die christlich-abendländische Kultur mit jüdischen Wurzeln sei die Leitkultur, in die sich alle zu integrieren hätten, die in Deutschland leben wollten.

Kritik für Wulff im Volk

Auch der CSU-Politiker Norbert Geis nannte die Wulff-Rede in der "Bild"-Zeitung missverständlich. "Wenn der Bundespräsident den Islam in Deutschland mit dem Christentum und dem Judentum gleichsetzen wollte, hielte ich das für falsch." Der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), sagte dem Blatt: "Zwar ist der Islam inzwischen Teil der Lebenswirklichkeit in Deutschland, aber zu uns gehört die christlich-jüdische Tradition."



Ähnlich denken offenbar viele Bürger in Deutschland. Dies zeigen zahlreiche Einträge im Gästebuch der Homepage des Bundespräsidenten. "Der Islam gehört eben nicht zu Deutschland!", heißt es da häufig, zwischen lobenden Beiträgen. Michael Doncks aus Stolberg schreibt: "Es wäre begrüßenswert gewesen, wenn Sie als Christ auch die Einladung gesprochen hätten, wenn Muslime unsere Kirchen und Synagogen beachten und besuchen." Peter Müller aus Bayern schreibt: "Sehr geehrter Herr Bundespräsident! Ihre Rede zum "Tag der deutschen Einheit" war eine glatte Themaverfehlung – was, bitteschön, haben darin Muslime und das Thema Islam verloren?" Auch auf der Webseite des christlichen Medienmagazins pro äußerten Leser ihre Kritik an Wulff. "Mit seinem Plädoyer für Multikulturalität hat der Präsident deutlich gemacht, wie er sich entschieden hat: Gegen die Wahrheit und für politische Illusionen. Gegen das Volk und für die Kanzlerin", schreibt ein Leser. Ein anderer: "Danke nein, Herr Wulff!!! Ich hoffe, dass der Islam niemals zu Deutschland gehören wird."

Nach einer Umfrage des Kölner Instituts "YouGov" im Auftrag der "Bild"-Zeitung lehnen zwei Drittel der Bürger Wulffs Äußerungen über den Islam ab. Danach erklärten 66 Prozent der 1.008 Befragten, sie stimmten den Aussagen nicht zu. Unterstützung erhielt der Präsident von 24 Prozent der Befragten.

Als eine "intellektuelle Entgleisung" bezeichnete der Politikwissenschaftler und Publizist Andreas Püttmann Wulffs Aussagen. "Das aus jüdischen Wurzeln erwachsene Christentum ist die unser Land in Jahrhunderten prägende Leitkultur, unabhängig davon, wie viele überzeugte Christen es derzeit gibt", schreibt Püttmann in einem Beitrag für das Internetportal "Kath.net". "Den Islam undifferenziert, quasi gleichrangig daneben zu stellen, führt in die Irre." Der Autor fügte hinzu: "Eine solche religionspolitische Dummheit wäre Joachim Gauck wohl nicht passiert." Püttmann fürchtet, Wulff, der seit Heinrich Lübke der erste bekennende katholische Bundespräsident sei, drohe zum "Fettnapf-Präsidenten" zu werden.

Der Kölner Weihbischof Heiner Koch warnte ebenfalls vor einer intellektuell gleichmacherischen und somit unredlichen Vermengung von Christentum und Islam. Man müsse deutlich herausarbeiten, wofür jeder Glaube stehe, sagte Koch der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post". "Nicht der Islam gehört zu Deutschland, sondern die Muslime, die in Deutschland leben", kommentierte der Präsident der Internationalen Konferenz Bekennender Gemeinschaften, Ulrich Rüß, Wulffs Rede.

Auch der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, hat sich zur Rede des Bundespräsidenten geäußert. Im Deutschlandradio Kultur sagte er am Dienstag, Wulffs Aussage, der Islam gehöre zu Deutschland, müsse als Aufgabenbeschreibung verstanden werden. Der Theologe warnte davor, diese Worte als "Beruhigungspille" falsch zu verstehen. Man müsse mit den Muslimen in Deutschland offen darüber diskutieren, welche Gestalt der Islam haben soll, der auf Dauer zu Deutschland gehören könne. (dpa/pro)

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