„Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten.“ (1. Korinther 6,12) Das Paulus-Wort diente dem ökumenischen Gottesdienst in der Kasseler Martinskirche am Samstag als Leitfaden, in der die Evangelische und die Katholische Kirche in Deutschland die „Woche für das Leben“ einläuteten. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, setzten sich dabei kritisch mit dem Jahresthema „Kinderwunsch – Wunschkind – Designerbaby“ auseinander.
Bedford-Strohm wies in seiner Predigt mit Bezug auf das Paulus-Wort darauf hin, dass christliche Freiheit nicht nach dem Lustprinzip oder der Willkür agieren könne. Die Gesellschaft müsse sich ernsthaft und kritisch mit den neuen Reproduktionsmethoden auseinandersetzen: „Je mehr Möglichkeiten wir haben, um so mehr Verantwortung haben wir auch.“ In einigen Fällen von Krankheiten könne man der Medizin nur dankbar sein. Aber gerade in seiner Unverfügbarkeit sei der Mensch kostbar.
Schleichende Verfügbarmachung des Lebens
Mit den modernen medizintechnischen Entwicklungen sei eine tiefe Ambivalenz verbunden. „Möglicherweise stecken die größten Gefahren der Nutzung der neuen Biotechnologien nicht in der bewussten Konstruktion von neuen Menschen, die manche als Frankenstein-Horrorvisionen an die Wand malen. Möglicherweise ist das viel Gefährlichere die schleichende Verfügbarmachung des Lebens, die Verbindung von Biotechnologie mit der modernen Konsumkultur.“
Es bestehe heute etwa die Möglichkeit, auf Internetseiten internationaler Fortpflanzungskliniken anhand der Persönlichkeitsprofile der Spenderinnen die gewünschten Eizellen für eine künstliche Befruchtung auszuwählen und zu erwerben. Die meisten Menschen, die diese Angebote nutzten, hätten eine Leidensgeschichte ersehnter Elternschaft hinter sich. Trotzdem müssten hier Grenzen geachtet werden. Ein Umgang mit menschlichem Leben als Ware widerspräche einer Sozialkultur, in deren Zentrum die Würde des Menschen steht. Der Kern des Würdebegriffs schließe jede Instrumentalisierung und Ökonomisierung aus, unterstrich der Ratsvorsitzende. „Es hat seine guten Gründe, dass das deutsche Embryonenschutzgesetz gegenüber der Verzweckung menschlichen Lebens eine klare Sperre einbaut.“
Marx: Klaren Blick für die drohenden Verhängnisse bewahren
Kardinal Reinhard Marx sprach im Gottesdienst davon, dass Kinder „kleine Wunder“ und deshalb für viele Menschen aus einer gelungenen Lebensplanung kaum wegzudenken seien. Wenn der Kindersegen jedoch ausbleibe oder die Sorge um das ungeborene Kind übermächtig werde, dann „hat niemand das Recht, über die Paare in solchen Zerreißproben selbstgerecht zu urteilen“, so Kardinal Marx.
Die heutige Medizin biete eine ganze Reihe von Handlungs- und Behandlungsmöglichkeiten an, „die auch Fragen aufwerfen und Bedenken auslösen. Sei es, weil sie eine erhebliche Belastung für die Behandelten mit sich bringen, sei es, weil sie unter ethischer Perspektive Grenzen überschreiten, oder sei es, weil sie für die Betroffenen und nicht zuletzt für die weitere Entwicklung der Kinder unabsehbare Konsequenzen nach sich ziehen.“ Im Ringen um einen wirklichen Fortschritt gelte es, „den klaren Blick für die drohenden Verhängnisse zu bewahren, die sich aus der Anwendung von Technik ergeben können.“
Technischer Machbarkeit nicht blind vertrauen
Oft genug seien Menschen zu Opfern einer rücksichtslosen und gewalttätigen Technisierung von Lebensbereichen geworden. Diese Erfahrung dränge zu besonderer Vorsicht, zumal, wenn es um die Entwicklung und Entfaltung menschlichen Lebens gehe, sagte Marx. Auch jenseits von Präimplantationsdiagnostiken, in deren Folge Embryonen aussortiert, wissenschaftlich verzweckt und schließlich vernichtet werden und die sich verbieten, gelte es, „der technischen Machbarkeit nicht blind zu vertrauen. Letztlich ist immer daran zu erinnern, dass Kinder ein Geschenk und das menschliche Leben auch Geschick ist.“
Am ökumenischen Eröffnungsgottesdienst in Kassel mit zahlreichen Teilnehmenden aus Gesellschaft, Politik, Bildung, Medizin und Religionsgemeinschaften wirkten außerdem Bischof Martin Hein (Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck) und Bischof Heinz Josef Algermissen (Bistum Fulda) mit. Die damit eingeleitete „Woche für das Leben“ findet bundesweit vom 29. April bis 6. Mai statt. Unter dem Jahresthema: „Kinderwunsch – Wunschkind – Designerbaby“ setzt sich die diesjährige Woche mit den Wünschen nach einer sorgenfreien Schwangerschaft, einer glücklichen Geburt, einem gesunden Kind und einem guten Heranwachsen des Kindes auseinander.
Von: mm