Der Europarat, eine aus 47 Mitgliedstaaten bestehende europäische Internationale Organisation, wollte an diesem Dienstag über das Dokument diskutieren und abstimmen, das die Lehre des Kreationismus, den Glauben an einen Schöpfer, scharf verurteilen soll. Im Kern ging es darum, vor dem Schöpfungsglauben oder dem „Intelligent Design“ im Schulunterricht zu warnen. In mehr als 100 Punkten wird in dem Papier dargelegt, wie sich der Kreationismus in Europa ausgebreitet habe.
Der Europarat wurde 1949 gegründet. Die von der Parlamentarischen Versammlung verabschiedeten Texte geben dem Ministerkomitee, in dem alle Außenminister der Mitgliedsstaaten vertreten sind, den nationalen Regierungen, Parlamenten und politischen Parteien sowie anderen Gesellschaftsbreichen „wichtige Orientierungshilfen“.
Kreationismus als Gefahr für Demokratie
Entworfen hat das Dokument der französische EU-Politiker Guy Lengagne. Laut einem Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ von diesem Samstag und dem Tagesordnungsprotokoll der Sitzung sollte das Papier am Dienstag in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates zur Abstimmung kommen. Gläubige, die von einer Schöpfung des Universums und des Lebens ausgehen, werden darin als Gefahr für die Demokratie dargestellt. Daher gelte es zu reagieren, „bevor es zu spät ist“, heißt es in dem Dokument wörtlich. Und weiter: „Wenn wir nicht wachsam sind, sind Werte, die den Kern des Europarats bilden, in Gefahr, von kreationistischen Fundamentalisten bedroht zu werden.“
Lengagne: Europarat tut einen „Rückfall ins Mittelalter“
Wie ein Sprecher des Europarates gegenüber medienmagazin-pro.de mitteilte, habe sich der belgische EU-Politiker Luc Van den Brande dagegen ausgesprochen, das Dokument auf der Tagesordnung zu belassen. Seinem Antrag sei stattgegeben worden. Van den Brande ist Fraktionsvorsitzender der Gruppe der Europäischen Volkspartei (EVP/ED) in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Die EVP/ED ist die Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten im Europäischen Parlament und ein Zusammenschluss christlich-konservativer Parteien in der Europäischen Union.
Nach dem Beschluss, das Dokument über „Die Gefahren des Kreationismus in der Schule“ von der Tagesordnung zu nehmen, reagierte der französische EU-Politiker Lengagne mit Entrüstung. Auf einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz sagte er: „Ich kann diesen Beschluss nur als Machenschaft von denjenigen ansehen, die mit allen Mitteln die Evolutionstheorie bekämpfen und die Ideen des Kreationismus unterstützen. Wir haben es hier mit einem Rückfall ins Mittelalter zu tun und zu wenige Mitglieder des Europarates, der auf den Menschenrechten gründet, erkennen das“, so Lengagne. Er sei „verblüfft, erschüttert und schockiert“ über den Entschluss, seinen Entwurf nicht zu debattieren. Der französische EU-Politiker betonte vor Journalisten weiter, dass aus seiner Sicht Anhänger des Kreationismus einen „Angriff auf die Menschenwürde“ verübten.
Beispiel aus Deutschland: Gießen
In dem Dokument werden in nicht weniger als 124 Punkten Hintergründe und Entwicklungen des Kreationismus aus Sicht des EU-Parlamentariers zusammengetragen. Zudem werden angebliche Einflüsse des Kreationismus in europäischen Ländern dargestellt. Über Deutschland heißt es in dem Bericht (Punkt 73): „In einer Universitätsstadt im Land Hessen, Deutschland, sind kreationistische Lehren offenbar bereits in mehreren Schulen verbreitet. Biologielehrer eines staatlich anerkannten Gymnasiums lehren ihre Schüler, dass ein Schöpfer der Ursprung von verschiedenen ‚Haupttypen‘ der Tiere ist. Davon alarmiert wandten sich einige Eltern der Schüler an das Erziehungsministerium des Landes Hessen, das jedoch keinen direkten Verstoß gegen die Unterrichtsvorgaben sah und sich in diesen Fällen für nicht zuständig erklärte. Einige Eltern nahmen daraufhin ihre Kinder von dieser Schule.“ Auch „Fälle“ aus den Niederlanden, Großbritannien, Polen, Schweden und zahlreichen weiteren EU-Staaten werden aufgelistet.
Explizit betont wird, dass Kreationismus nicht mehr alleine in den USA vorkomme, sondern längst auch Europa erreicht habe. Daher wäre es verhängnisvoll für die EU, keine vorbeugenden Maßnahmen gegen den Einfluss der Kreationisten zu treffen.
„Religiöse Fundamentalisten greifen an“
„Die Evolutionstheorie wird von religiösen Fundamentalisten angegriffen, die dazu aufrufen, den Kreationismus in europäischen Schulen parallel zu oder sogar als Ersatz der Evolutionslehre zu unterrichten. Aus wissenschaftlicher Sicht besteht absolut kein Zweifel daran, dass die Evolution eine zentrale Theorie für unser Verständnis des Universums und des Lebens auf der Erde ist“, heißt es in dem Dokument.
Kreationismus hingegen sei in allen seinen Formen, wie etwa „Intelligent Design“, „nicht auf Fakten gegründet“ und werde nicht wissenschaftlich betrieben. Zum Ziel der Verabschiedung des Dokumentes heißt es: „Der Europarat ruft die Erziehungsministerien seiner Mitgliedstaaten auf, wissenschaftliches Wissen zu fördern und die Evolution zu lehren und jeglichen Versuchen entschieden entgegenzutreten, Kreationismus als wissenschaftliche Disziplin zu lehren.“ Denn es sei das „Hauptziel“ der Kreationisten, ihre Lehre in Schulen unterrichten zu lassen.
Vertreter des Schöpfungsglaubens seien „christliche Fundamentalisten“ und Muslime, heißt es weiter. Als Beispiel wird der Versuch des Türken Harun Yahya genannt, der ein Buch mit dem Titel „Der Atlas der Schöpfung“ in türkische oder französische Schulen einbringen wollte. Bildungsminister in europäischen Ländern hätten sich zudem aufgeschlossen gegenüber der Schöpfungslehre in der Schule gezeigt.
„F.A.Z.“-Autor Christian Schwägerl kommentierte in der Ausgabe von Samstag: „Der Tonfall, in dem der Rat auf die Entwicklung zu reagieren gedenkt, könnte kaum schärfer sein. Wenn die Parlamentarische Versammlung der Streitschrift des Franzosen Guy Lengagne am kommenden Dienstag zustimmt, würde Europa zur Hüterin der Evolutionslehre… Die Mitgliedsländer sollen kreationistisches Gedankengut nicht nur aus dem Wissenschaftsunterricht an Schulen verbannen, sondern es als ‚Bedrohung für die Demokratie‘ betrachten, weil Kreationisten die kostbarsten Instrumente der Wahrheitsfindung unterminieren und eigentlich eine Theokratie errichten wollten.“
Im Kulturausschuss des Europarates wurde das Dokument mit nur einer Gegenstimme durchgewunken – ob es nun jemals im Europarat zur Abstimmung kommt, ist nach den Entwicklungen des heutigen Tages fraglich. Fest steht jedoch: Das umstrittende Dokument soll im Kuturausschuss überarbeitet werden.