Gefahr aus dem Bildschirm? „Focus“ über Sorgen mit der Mediennutzung

M ü n c h e n (PRO) - Fernseher und Computer vor den Kindern wegsperren oder den Nachwuchs behutsam mit den Medien vertraut machen? Über die Gefahren der Medien für Kinder und widersprechende Expertenmeinungen berichtet in seiner neuesten Ausgabe das Magazin "Focus".
Von PRO

Im Fachblatt „Der Nervenarzt“ publizierte der Psychiater Bert te Wildt vor kurzem einen erschreckenden Fall: eine 28-jährige Frau war in ihrer Wohnung von ihren Eltern entdeckt worden, nachdem sie durch eine Computerspiel-Sucht sich und ihre Außenwelt regelrecht vergessen hatte. Die Frau hatte drei Jahre lang täglich bis zu zwölf Stunden vor dem Bildschirm verbracht. Weil sie in einem Online-Rollenspiel schließlich parallel bis zu fünf Rollen übernommen hatte, litt sie an einer „dissoziativen Identitätsstörung“. Sie wusste nicht mehr, wie spät es war, wo sie sich befand und wer sie eigentlich war, berichtet der Forscher von der Medizinischen Hochschule Hannover. Die Grenzen zwischen Realität und virtuellem Raum waren für sie verschwommen. Eine zwölfwöchige stationäre Therapie half der Frau schließlich, ins reale Leben zurückzufinden.

Dieses Beispiel, mit dem der Artikel „Achtung, Bildschirm!“ im aktuellen „Focus“ beginnt, ist sicherlich extrem. Doch dass gerade Kinder in Gefahr sind, wenn sie zu viel Zeit vor dem Bildschirm verbringen, bestätigen zahlreiche Forscher, die ebenfalls in dem Heft zu Wort kommen.

Der durchschnittliche Deutsche schaue täglich 3,9 Stunden Fernsehen, so „Focus“. Eine Dreiviertelstunde surfe er im Internet. Der Psychiater Manfred Spitzer aus Ulm sagt für das Jahr 2020 sogar 40.000 „Bildschirmtodesfälle“ in Deutschland voraus. Er macht dabei vor allem das lange Sitzen vor dem Fernseher und damit mangelnde Bewegung für vorzeitige Herzinfarkte verantwortlich.

Aggressive werden durch Mediengewalt aggressiver

Seit langem streiten Wissenschaftler über die Frage, ob Mediengewalt reale Gewalt hervorbringt. Es lägen mittlerweile 5.000 Studien dazu vor, doch noch immer diskutierten die Forscher, so „Focus“. „Denn diese Datenberge lassen sich nicht einfach nach Art einer Pharmastudie auf einen spezifischen Medieneffekt hin analysieren.“

Als beste Zusammenfassung des Forschungsstands wird im „Focus“ eine Überblickstudie vorgestellt, die Michael Kunczik von der Universität Mainz und Astrid Zipfel 2004 für das Bundesfamilienministerium erstellt haben. Demnach gilt zumindest als widerlegt, dass Gewalt über die Medien eigene Gewalt abbaue („Katharsis-These“). Andererseits verstärke Mediengewalt die reale Gewalt jedoch auch nicht automatisch. Die Forscher schätzen, dass Mediengewalt maximal zu neun Prozent zu Gewalttätigkeit beiträgt. Zipfel: „Wirkungen erwarten wir vor allem bei jüngeren männlichen Vielsehern, die bereits eine aggressive Persönlichkeit besitzen, die in Familien mit hohem Konsum von Fernsehgewalt aufwachsen und in ihrem sozialen Umfeld selber viel Gewalt erleben.“

Christian Pfeiffer vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen hatte 6.000 Grundschüler befragt und dabei festgestellt, dass hoher Medienkonsum meist gemeinsam mit schlechteren Schulleistungen auftritt. Die Psychologin Sabine Grüsser-Sinopoli von der Berliner Charité schätzt nach einer Studie unter Schülern der fünften und sechsten Klasse, dass immerhin zehn Prozent suchtgefährdet sind.

Der Göttinger Neurobiologe Gerald Hüther stellt fest: „Durch übermäßige Nutzung von virtuellen Medien wird das Gehirn für die virtuelle Welt vorbereitet, nicht für die Realität.“ Daher gelte vor allem für Kinder: „Im Internet erwerben sie keine Kompetenz für draußen, keine Körperbeherrschung, keine Sozialkompetenz, keine emotionale Kompetenz. Dafür braucht man Kontakt mit anderen Menschen aus Fleisch und Blut.“

Andererseits zeigt der amerikanische Wissenschaftsjournalist Steven Johnson in einem kürzlich veröffentlichten Buch mit dem Titel „Neue Intelligenz“, dass die Menschen durch Computerspiele und Fernsehen klüger geworden sind. Auch der Mainzer Medienpädagoge Stefan Aufenanger warnt: „Wer glaubt, er könne mit einem Verbot (von Killerspielen) alle Gewalt unterbinden, der sucht nur einen Sündenbock.“

Hüther schrieb gemeinsam mit dem Kinder- und Jugendpsychologen Wolfgang Bergmann ein Buch über „Kinder im Sog der modernen Medien“. Darin plädiert er trotz der Gefahren für den Gebrauch des Netzes: Wer seine Kinder heute auf Computer- und TV-Entzug setze, schade ihrer beruflichen Zukunft. Auch zeigten seriöse Studien, dass Fernsehzuschauer heute komplexere Dramaturgien genießen könnten als früher und dass Computerspieler ihre „Hand-Auge-Koordination“ verbesserten. Er plädiert daher vor allem für die Vermittlung von Medienkompetenz.

Gefährlich werde es immer nur dann, wenn ein Kind seine Persönlichkeit allein über seine Fähigkeiten am Computer definiert, warnt Hüther. „Ein Kind muss auf etwas anderes stolz sein.“ Und wie? Bergmann antwortet: „Machen Sie ihm Lust auf das reale Leben!“

Lesen Sie zu dem Thema auch den Beitrag „Fernsehen & Co. Unbequeme Wahrheiten über die Allgegenwart der Bildschirme“ in Ausgabe 3/2006 des Christlichen Medienmagazins pro. Die Ausgabe jetzt kostenlos und unverbindlich bestellen: Telefon (06441) 915 151, Fax: – 157, E-Mail: pro@kep.de

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