In den ersten fünf Monaten dieses Jahres seien in Deutschland mehr als doppelt so viele Anträge auf Asyl gestellt worden wie im selben Zeitraum des Vorjahres. „In absoluten Zahlen kommen in kein Land Europas mehr Asylbewerber“, sagte der Bundespräsident, und weiter: „Gemessen an der Bevölkerungszahl aber liegt Deutschland in Europa längst nicht an der Spitze, sondern auf Platz neun, deutlich hinter Schweden, auch hinter Österreich, Ungarn und Belgien. Blicken wir nur auf uns selbst, neigen wir nicht selten zur Selbstgerechtigkeit. Ziehen wir aber auch in Betracht, wie viele andere dieselben oder ähnliche Probleme lösen, werden wir zwangsläufig demütiger.“
Dennoch könne Politik sich nie allein am humanitär Gebotenen messen, sondern immer auch am politisch Machbaren. „Ich möchte es eigentlich anders“, bekannte Gauck. Nie werde man allen Bedrohten und Verfolgten Zuflucht und Zukunft bieten können. Vor dem Hintergrund der jüngst bei der Überfahrt nach Lampedusa verstorbenen Flüchtlinge erklärte er: „Ich kann mich daran nicht gewöhnen. Niemand in Europa sollte sich daran gewöhnen.“
Eine gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik habe deshalb sicherzustellen, dass jeder Flüchtling von seinen Rechten Gebrauch machen könne: „Nicht zurückgewiesen zu werden ohne Anhörung der Fluchtgründe, gegebenenfalls auch Schutz vor Verfolgung zu erhalten. Auch die Hohe See ist kein rechtsfreier Raum, auch dort gelten die Menschenrechte.“ Verfahren für Flüchtlinge sollten gerechter und effektiver sein. „Zu einer effektiveren Flüchtlingspolitik gehört aber auch, dass wir diejenigen auf humane Weise zurückweisen, die nach den gültigen Kriterien keine Fluchtgründe haben, die zur Aufnahme in der Bundesrepublik berechtigen“, sagte Gauck.