Gauck: Toleranz hält uns zusammen

Toleranz ist für den früheren Bundespräsidenten Joachim Gauck eine aktive Haltung, die die Gesellschaft bereichert. In seinem neuen Buch „Toleranz einfach schwer“ setzt sich Gauck mit vielen gesellschaftlichen Themen auseinander, die diese erfordern. Vor allem gegenüber dem rechten politischen Rand mahnt er Toleranz an. Eine Rezension von Johannes Blöcher-Weil
Von PRO
Joachim Gauck beschäftigt sich mit der Frage, wie viel Andersartigkeit wir im Alltag und in der Politik ertragen müssen

Der frühere Bundespräsident Joachim Gauck hat aufgrund seiner Biographie viele Erfahrungen mit Toleranz und Intoleranz gemacht. Als Pfarrer in der DDR gehörte eine tolerante Lebensweise zur „gebotenen Lebensform eines Christenmenschen“, schreibt Gauck. In seinem neuen Buch „Toleranz einfach schwer“ schreibt er, dass es kein „Laisserfaire gegenüber jenen geben darf, die Toleranz mit Füßen treten“. Für Gauck haben gegensätzliche politische Haltungen aber prinzipiell ein gleiches Existenzrecht.

Zunächst nähert sich der Theologe dem Toleranz-Begriff historisch – und beginnt damit im 16. Jahrhundert, als die tradierte Einheit von kirchlicher und weltlicher Macht nicht mehr zu halten war. In der Aufklärung seien die Grundlagen dafür gelegt worden, dass die Religion nicht (mehr) unmittelbar die Folgen im weltlichen Leben festlege. Bis heute habe sich der Toleranz-Begriff weiter entwickelt. Er umfasse aktuell auch das Zusammenleben mit ethnischen, rassischen und sexuellen Minderheiten. Früher sei es darum gegangen, Zusammenleben trotz unterschiedlicher Auffassungen zu ermöglichen. Heute gehe es darum, „physische, kulturelle und soziale Merkmale“ zu tolerieren.

Wer Toleranz bejaht, wünscht sie sich von anderen Leuten

Um für alle Leser eine gemeinsame Basis zu legen, erläutert Gauck im nächsten Kapitel zwölf Aspekte, die ihm im Hinblick auf Toleranz wichtig sind. Einer von ihnen ist, dass, „wer Toleranz bejaht und lebt, sich wünschen wird, dass alle Menschen tolerant sein sollten“. Auf dieser Grundlage fragt Gauck im übrigen Buch danach, ob Toleranz dabei hilft, die aktuell großen Umbrüche besser zu durchlaufen und zu gestalten.

Gauck beleuchtet das Thema im Licht der Flüchtlingskrise, der Islam-Kritik und des Erstarkens der AfD. Der Alt-Bundespräsident fordert eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der AfD: in den Parlamenten, in seriösen Medien und auf pluralistisch besetzten Podien: „Wer Themen brachliegen lässt oder schönredet, auch wenn sie im gesellschaftlichen Bewusstsein eine große Rolle spielen, überantwortet sie geradezu allein den radikalen Rechten.“ Häufig würden schon diejenigen als rechts apostrophiert, die eine konservative Haltung einnähmen. Gauck findet es falsch, das Thema aus universitären Debatten herauszuhalten. Wo, wenn nicht dort, solle der Streit um bessere Argumente stattfinden.

Auseinandersetzung mit Extremisten ist jedermanns Sache

Die Globalisierung habe viele Berufe überflüssig gemacht. Diese Menschen seien im Nachteil und von der Gesellschaft abgehängt. Auch das Wissen als Rohstoff und Ware im digitalen Zeitalter sortiere die Gesellschaft neu. Vor allem im Osten Deutschlands beobachte Gauck ein Gefühl der Heimatlosigkeit: „Vielleicht haben wir die Bedeutung der Abwanderung unterschätzt.“ Die Auseinandersetzung mit Extremismus, rechts wie links, sei auf jeden Fall nicht nur die Sache von Institutionen, sondern von „Frau und Herr Jedermann“.

Gauck kritisiert auch falsche Nachsicht gegen linke Gewalt. Diese stoße – zumindest in abgeschwächter Form – mit ihren Auffassungen auch auf viel Zustimmung. In verhärteten radikalen Milieus habe der Rechtsstaat zu zeigen, dass „er nicht zahnlos“ sei. Intoleranz im migrantischen Milieu zu dulden, sei keine Toleranz. Bedenklich werde es auch dann, wenn der Islam nicht nur das religiöse, sondern auch das staatliche und politische Leben regele.

In Bezug auf den Antisemitismus herrsche vordergründig ein breiter Konsens. „Doch sobald über konkrete Fälle diskutiert wird, gehen die Ansichten über den Umgang damit auseinander.“ Gauck befasst sich auch mit der politischen Korrektheit – und mit der Frage, wann diese zum Problem wird. Statt viel Energie auf immer differenziertere Begriffe zu verwenden, sollte die Gesellschaft ihre Kraft dafür einsetzen, sich rassistischem Verhalten im Alltag entgegenzustellen.

Grenzüberschreitungen entgegentreten

Gauck sieht den gesellschaftlichen Zusammenhang gefährdet, „wenn Gruppen oder Individuen auf die eigene Identität fixiert sind und keine Verantwortung für das Ganze übernehmen“. Es gehe darum, Menschen zur selbstverständlichen Teilnahme am öffentlichen Leben zu ermutigen. Der Autor bilanziert, dass es der Gesellschaft an Mut fehle, „Verletzung von Gesetzen und Regeln entschieden entgegenzutreten, wenn rote Linien überschritten werden“.

Joachim Gauck hat sich in seinem neuesten Buch mit dem Thema Toleranz beschäftigt Foto: Herder-Verlag
Joachim Gauck hat sich in seinem neuesten Buch mit dem Thema Toleranz beschäftigt

Ein gemeinsames „Wir“ könne entstehen, wenn sich Menschen zu ihrem Land bekennen und sich als Teil von ihm sehen. Am Ende seines Buches zitiert er den französischen Schriftsteller Amin Maalouf: „Umgekehrt, wenn dieses Land mich respektiert, wenn es meinen Beitrag anerkennt, wenn es mich in meiner Einkehr fortan als Teil von sich betrachtet, dann hat es das Recht, bestimmte Aspekte meiner Kultur anzulehnen, die mit seiner Lebensweise oder dem Geist seiner Institution unvereinbar sein können.“

Gauck möchte mit seinem Buch und seinem Plädoyer für Toleranz zweierlei bewusst machen: Toleranz sei gut für das Individuum und unerlässlich für die Gesellschaft. Der Autor setzt mit diesen Thesen ein Zeichen, an dem sich die Gesellschaft und die Medien abarbeiten werden. Gauck schiebt wenig aktuelle Reizthemen beiseite. Er prangert linken wie rechten Extremismus an – und das in verständlicher Sprache. So ist ihm ein Buch gelungen, das die Leser ermutigt, darüber nachzudenken, was das gesellschaftliche Miteinander zusammenhält – und wie lange noch. Gauck möchte mit möglichst vielen ins Gespräch kommen, die andere Ansichten vertreten. Dazu dient auch sein Buch.

Joachim Gauck, Toleranz: einfach schwer, Verlag Herder, 1. Auflage 2019, 224 Seiten, ISBN: 9783451383243, 22 Euro

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