Fünf Jahre Papst: Ein Popstar, der keiner ist

Papst Benedikt XVI. ist ein Traditionalist. Er ist kein Mann der Kompromisse und erst recht keiner der schnellen Worte. Kurz: Er hat nicht das Zeug zu einem, den alle lieben. Doch seine Amtszeit begann wie ein Popkonzert für die Massen.

Von PRO

Das fünfte Amtsjubiläum des Papstes feierte die "Bild"-Zeitung, indem sie ihm in der vergangenen Woche eine Lithographie der legendären Schlagzeile "Wir sind Papst" von 2005 überreichte. Vor fünf Jahren wurde Joseph Ratzinger ungewollt zum Star, wie der Weltjugendtag in Köln bewies. Abertausende begrüßten den Pontifex mit "Benedetto!"-Rufen. Die Stadt verwandelte sich für kurze Zeit in ein Sammelbecken junger Ratzinger-Fans. Dabei ist der amtierende Papst, objektiv betrachtet, genau das Gegenteil von dem, was sich viele junge Christen wünschen mögen: Er ist ein Traditionalist. "Seine Kirche soll ein Bollwerk gegen die Beliebigkeit sein – stark im Glauben, abgeschottet gegen Einflüsterungen der modernen Welt. Von der Lebenswirklichkeit deutscher Katholiken ist das denkbar weit entfernt", schreibt etwa die "Berliner Morgenpost". Und: Benedikt XVI. hat die Popularität, die er seit 2005 erfährt, zwar lächelnd in Kauf genommen, Bühnenpräsenz haftet ihm aber kaum an.

Kein Prediger für die Massen

"Papst Benedikt ist kein Prediger für die Massen, sondern ein Professor für die Gelehrten, der sich nur in den feinsinnigsten theologischen Diskussionen wirklich zu Hause fühlt", kommentiert die "Münstersche Zeitung". Im "Hamburger Abendblatt" heißt es, am Anfang seines Pontifikats hätten tiefe Zweifel gestanden: "Als sich bei der Papstwahl am 19. April 2005 das Votum abzeichnete, hatte Kardinal Joseph Ratzinger das Gefühl, ein Fallbeil stürze auf ihn herab. ‚Ich habe mit tiefer Überzeugung zum Herrn gesagt: Tu mir dies nicht an! Du hast Jüngere und Bessere, die mit ganz anderem Elan und mit ganz anderer Kraft an diese große Aufgabe herantreten können.’"

Vielleicht sind also nicht nur die zahlreichen Skandale seiner Amtszeit der Grund dafür, dass sich die Euphorie um den Papst gelegt hat. Es mag auch daran liegen, dass Joseph Ratzinger eine Stellung übernommen hat, die ihm eigentlich nicht liegt. "Nun war so einer ‚Wir sind Papst‘ und sah sich gezwungen, den Popstar zu geben, der er nie war und nicht ist", heißt es in der "Schwäbischen Zeitung". Der "Südkurier" schreibt: "Benedikt ist ein Seelsorger und Theologe von hoher Güte und Sprachkraft. Sobald aber politische Fragen oder historische Verwicklungen ins Spiel kommen, wird es heikel. Die traumwandlerische Sicherheit, mit der sein Vorgänger über das Eis der Zeitgeschichte glitt, fehlt ihm."

Jedes Jahr ein Skandal

An Skandalen mangelt es Benedikts Amtszeit in der Tat nicht. 2006 erzürnte er die islamische Welt durch seine "Regensburger Rede" und das falsch verstandene, aber auch etwas unglücklich gewählte Zitat eines byzantinischen Kaisers: "Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten." 2007 wurde ein päpstlich gebilligtes Dokument veröffentlicht, in dem die protestantischen Kirchen nicht als Kirchen im "Vollsinn" bezeichnet werden. 2008 betete er für die Bekehrung der Juden zu Jesus Christus, Vertreter des jüdischen Glaubens waren empört. 2009 katapultierte der Papst sich für viele endgültig ins Aus, als er die Exkommunikation von vier Piusbrüdern aufhob, unter ihnen auch der Holocaust-Leugner Bischof Richard Williamson. 2010 kam ans Licht, was einige Journalisten als größten Skandal der deutschen katholischen Kirche seit der Reformation bezeichnen: die Missbrauchsfälle in etlichen kirchlichen Einrichtungen. Der "Tagesspiegel" schreibt dazu: "Der entscheidende Punkt bei Benedikt ist, dass neben der derzeit alles beherrschenden, aus der Kirche an ihn herangetragenen Missbrauchsdebatte seine Krisen nahezu alle hausgemacht sind."

Doch der Papst ist weit mehr als seine Skandale. In sein Amt wurde er nicht zuletzt wegen seiner scharfsinnigen Theologie gewählt. Seine Schriften zeichnen das Bild eines Jesus-treuen Katholiken. In seinem Buch "Jesus von Nazareth" betont er die Wahrhaftig- und Stimmigkeit der historischen Person Jesu. In seinen Enzykliken beschreibt er die Liebe als einzigen Weg zur Erlösung: In "Caritas in Veritate" (Die Liebe in der Wahrheit) spricht er sich gegen die Gewinnsucht der Welt aus – und traf damit den Zahn der Zeit, erschien die Schrift doch passend zum Ausbrechen der Finanzkrise. "Spe Salvi" (Gerettet durch Hoffnung) betont die Erlösung durch die Liebe. So bezeichnet die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ) den Papst als "begnadeten Prediger und Autor". Die Internet-Zeitung "The European" zählt es zu den Verdiensten des Papstes, dass der Glaube der Kirche an Jesus Christus durch ihn schärfer konturiert sei und "der Kern des Katholischen sichtbarer".  

Der Weltpapst

Gerade seine Heimat hat derzeit wenig Gnade mit Benedikt XVI.  "Heute gibt es kaum ein Land, das mit Benedikt ähnlich hart und unbedingt fordernd ins Gericht geht wie Deutschland. Dabei wird gern übersehen, dass Benedikt – ganz anders als sein geradezu demonstrativ polnischer Vorgänger – die eigenen nationalen Wurzeln im Sinne einer Weltkirche weit weniger betonen will. Benedikt XVI. ist in seinem Amtsverständnis eben kein deutscher Papst, allenfalls ein Papst aus Deutschland", heißt es in der "Westfalenpost". Die Reaktionen auf den Missbrauchsskandal und den Umgang des Vatikans mit der öffentlichen Kritik schlagen sich in Deutschland nun auch in Zahlen nieder: Wie der "Focus" berichtet, traten im Monat März ungewöhnlich viele Menschen aus der Kirche aus. Allein in München waren es 1.691 Personen, zwei Jahre zuvor verließen im selben Zeitraum nur 614 Menschen die Kirche. In Nürnberg und Augsburg verdreifachten sich die Zahlen, in Köln verließen doppelt so viele Katholiken ihre Gemeinden, ähnlich schaut es in Mainz aus.

Der "Stern" schreibt: "Wie zerrüttet derzeit das Verhältnis zwischen ziviler und katholischer Welt bei uns ist, zeigt das tiefe Unverständnis, mit dem die Öffentlichkeit bei uns bis weit hinein in das christliche politische Lager auf die quälend zögerliche Reaktion der katholischen Offiziellen reagiert." Harsch ist auch die Kritik der "Frankfurter Rundschau" im Hinblick auf den vergangenen "Wir sind Papst"-Jubel: "’Wir‘, das sind nicht mehr ‚die Deutschen‘, die annahmen, der Landsmann sei einer von ihnen. Dieser Trugschluss ist offensichtlich: Nicht einmal zur größten Erschütterung der Kirche in ihrer Nachkriegsgeschichte, dem Missbrauchsskandal, findet der deutsche Papst ein Wort oder eine Geste der Heimatverbundenheit. Menschlich ist das ein eigentümlicher Mangel an Geistesgegenwart, kirchenpolitisch aber ein schweres Versagen, weil sich der oberste Krisenmanager so erst recht unberührt und abgehoben gibt. ‚Wir‘, das sind auch deshalb nicht einmal mehr ‚die Katholiken‘, obwohl der Papst nach kirchlicher Doktrin doch Symbol und Garant der Einheit ist. ‚Wir‘ – das sind vielmehr die Alt- und Neokonservativen, denen Ratzinger perfekt ins restaurative Programm passt." Weiter heißt es: "Menschenfischer sollten die Apostel nach dem Willen Jesu sein. Joseph Ratzinger dagegen ist der Direktor eines Fischereimuseums. Er pflegt die historischen Exponate – und vernachlässigt die Fische."

Zu hohe Erwartungen?

Folge der heftigen Kritik ist laut "The European" eine katholische "Wagenburgmentalität": "Und auch das schlägt derzeit negativ zu Buche. Denn ein solches Denken ist das genaue Gegenteil von dem, was der Professor auf dem Papstthron erreichen wollte." 50 Jahre nach dem Reformkonzil, das die Öffnung der Kirche zur Welt wollte, wachse das wechselseitige Misstrauen zwischen Gegenwartskultur und Kirche wieder. Ob die Kritik, die daraus am Papst erwächst, gerechtfertigt ist, fragt die "Münstersche Zeitung": Die Frage müsse erlaubt sein, "ob nicht die Erwartungen, die bei seinem Amtsantritt an den Papst aus Bayern gestellt wurden, einfach zu groß waren. So war es völlig irrational, von einem Menschen, der seit mehr als drei Jahrzehnten sehr, sehr konservative Positionen vertreten hatte, zu erhoffen, dass er revolutionäre Umstürze von Kirchenpositionen etwa in Sachen Zölibat, Zulassung der Frau zum Priesteramt oder der Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zu den Sakramenten in die Wege leiten würde."

Der jüdische Historiker Michael Wolffsohn zieht in der "Welt" eine negative Bilanz der vergangenen fünf Papstjahre: "Dieser Papst hat Juden gegenüber seine Chancen verpasst, islamische Fundamentalisten unfreiwillig gestärkt und in dieser Hinsicht sein Pontifikat verpatzt." Es fehle an Präzision in seinen Aussagen, er hinterlasse "einen interreligiösen Scherbenhaufen". Ganz anders sieht es die FAZ: "Erst Ratzingers provokatorische Regensburg-Rede gab dem katholisch-muslimischen Dialog einen Schub", heißt es da und: "Während viele noch über Kontakte zwischen Judentum und Kirche sprechen, führt Benedikt schon den theologischen Diskurs mit Rabbinern."

Das "Kolpingwerk Deutschland" ließ zum Jubiläum verlauten: "Die damalige Schlagzeile ‚Wir sind Papst‘ gilt nicht nur bei Sonnenschein, sondern auch, wenn Wolken aufziehen." Etwas eingeschränkter klingt die Bilanz, die der "Südkurier" zieht: "Man wird Benedikt eines Tages als großen Denker und guten Menschen würdigen. Und als vorerst letzten Deutschen, den ein Konklave auf den harten römischen Stuhl setzt." (pro)

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