„Frieden im Orient ist möglich!“

Simon Jacob ist Vorsitzender des Zentralrats der orientalischen Christen. Die 2013 gegründete Organisation möchte Toleranz, Nächstenliebe und den respektvollen Umgang mit allen Nationalitäten, Religionen und Kulturen vermitteln. Im Interview mit pro steht Jacob Rede und Antwort zur aktuellen Lage im Nahen Osten.
Von PRO
Äußert sich zur derzeitigen Lage in den Krisenregionen des Nahen Ostens: Der Vorsitzende des Zentralrats der Orientalischen Christen in Deutschland Simon Jacob

pro: Herr Jacob, versuchen Sie doch einmal, die derzeitige Situation in den Krisengebieten des Nahen Ostens in Worte zu fassen.

Jacob: Paradox und konfus. Territoriale, ethnische und kulturelle Konflikte mit verschiedenen Akteuren wurden von den Beteiligten erst einmal beiseite geschoben, um gegen eine puritanische Auslegung des Islam zu kämpfen. Die Mitglieder verschiedener Milizen, die in Syrien in Opposition zu Assad stehen, gehen plötzlich Hand in Hand mit dessen Truppen gegen die Islamisten vor. Die Hisbolah im Libanon sorgt für den Schutz christlicher Gruppierungen im libanesisch-syrischen Grenzgebiet. Die sunnitischen Stämme um Mossul im Irak herum, die vorher noch den Extremisten geholfen haben, sehen sich unerwartet in der Zwangslage, mit den kurdischen Milizen zusammenzuarbeiten.

Ist Frieden dort überhaupt möglich?

Ja, Frieden ist möglich. Dazu müssen die westliche und die islamische Welt aber umdenken. Ich sage bewusst islamische Welt. In diesen Regionen hat sich in den Köpfen der Menschen eine bipolare Sichtweise zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen manifestiert. Es spielt dabei keine Rolle, ob die Muslime stark religiös sind oder Religion nur dazu dient, um dem Menschen eine nationale Identität zu vermitteln.

Wie soll das funktionieren?

Der Westen muss damit beginnen, die Waffenlieferungen in die Region zu stoppen. Dies kostet zwar temporär Arbeitsplätze. Die Schäden, die durch die Waffenlieferungen entstehen, belasten die Gesellschaft aber mehr als die Arbeitsplätze, die dadurch gesichert werden. Die islamische Welt muss umdenken. Es ist falsch, alle Gegebenheiten immer nur durch die religiöse Natur einer Sache erklären zu wollen und anderen die Schuld dafür zu geben: dem Westen, Israel, den Christen, den Juden, den Schiiten, den Sunniten. Radikale Ansichten können kein Wirtschaftswachstum generieren. Sie führen eher zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft.

Haben Sie als ZOCD Kontakt in die Krisenregionen?

Ja, wir pflegen intensive Kontakte nach Syrien, in den Irak, den Libanon und andere Regionen im Nahen Osten. Dabei helfen uns vor allem die Kontakte und Netzwerke mit den Studentenverbänden und den kirchlichen Netzwerken. Zudem haben die meisten von uns noch Verwandte in der Region.

Im Internet benutzen in ihren Profilen immer mehr Nutzer das arabische N, mit dem sie sich mit den verfolgten Christen im Irak solidarisieren wollten. Wie kam diese Idee zustande?

Bekannte muslimische Persönlichkeiten haben das Symbol benutzt, um ihrer Solidarität mit den Verfolgten Ausdruck zu verleihen. Schade ist, dass dies fast nur in der arabischen Welt passiert. In der westlichen Welt fehlen ähnliche Aktivitäten von den Prominenten in den muslimischen Verbänden. Das ist sehr bedauerlich und irritierend, dass sie sich hier nicht klar positioniert haben.

Zweifel an Gott kommen immer wieder auf

Worin sehen sie die größte Gefahr, die durch die Islamisten ausgeht?

In Europa und im Nahen Osten befinden sich Islamisten in der Minderheit. Allerdings mit dem Unterschied, dass Ihre Entschlossenheit einer Besessenheit gleich kommt. Dies mündet in eine nicht gekannte Brutalität und Gewaltbereitschaft, die überall eine Gefahr darstellt. Nach Europa kehren Kämpfer zurück, die verroht sind. Im Nahen Osten gibt es brutalste Massaker und Missachtung jeglicher von der UN definierten Menschenrechte.

Kann man diese Menschen zum Umdenken bewegen?

In vielen Fällen schon. Dazu müsste man ihnen aber zunächst die Waffen abnehmen und die Finanzströme unterbrechen. In einigen wenigen Fällen kann man es nicht.

Kommen da Zweifel an Gott auf?

Zweifel kommen immer wieder auf. Gleichzeitig keimt der Samen des Glaubens immer wieder auf, wenn man erlebt, wie Menschen in diesen Regionen ausharren und immer noch an Gott glauben, obwohl sie alles verloren haben. Sie glauben an Frieden mit allen Menschen, an Nächstenliebe und Vergebung.

Was können die Menschen in Europa tun?

Sie können endlich die Tatsache akzeptieren, dass Religion ein Teil der Gesellschaft war, ist und bleibt. Gerade im Nahen Osten, wo die Religion ein fest verankerter Faktor der Gesellschaft ist, funktioniert das Modell der „Spaßgesellschaft“ nicht. Der Mensch braucht mehr als Brot und Wasser. Wenn die Europäer das begreifen, lassen sie sich vielleicht dazu herab, nicht nur gegen die unmenschlichen Zustände in Gaza zu protestieren, sondern auch gegen die massive Verfolgung Andersgläubiger in der islamischen Welt.

Haben Sie aus diesem Grund den Zentralverband der Orientalischen Christen in Deutschland gegründet?

Dazu haben vor allem der Arabische Frühling und der dadurch wieder in Gang gekommene Exodus der Christen aus dem Nahen Osten beigetragen, aber auch die Besorgnis erregende Entwicklung in Europa. Sie setzt Minderheiten in der muslimischen Welt einer Radikalisierung aus, die für das harmonische Zusammenleben der Gesellschaften brandgefährlich ist. Es ärgert mich, dass sich vor allem die islamischen Verbände dazu nicht zu Wort melden, die sagen, dass der Islam Frieden bedeutet. (pro)
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