"Während so einer schwachen Wirtschaftslage ist bisher kein Präsident wiedergewählt worden", erklärte Paul Begala, Polit-Stratege der Demokraten, beinahe ungläubig angesichts des eigenen Erfolgs, am Wahlabend im Sender CNN. Das Votum der Amerikaner ist in der Tat nicht ganz selbstverständlich: Die unter Barack Obama exorbitant gestiegene Staatsverschuldung und die schlechten Arbeitslosenzahlen standen bei dieser Wahl ganz oben auf der Agenda. Die Republikaner haben mit Mitt Romney einen Mann der Mitte und Wirtschaftsexperten mit viel praktischer Erfahrung ins Rennen geschickt. In seiner Amtszeit als Gouverneur von Massachusetts ist es ihm beispielsweise gelungen, gemeinsam mit den Demokraten eine Gesundheitsreform für seinen Bundesstaat zu gestalten.
Unter Amerikas Christen ging die Unterstützung für den amtierenden Präsidenten im Vergleich zur Wahl 2008 nur wenig zurück: damals wählten 45 Prozent der weißen Protestanten Obama, diesmal waren es 42 Prozent. Sein Anteil bei den Katholiken sank von 54 auf 50 Prozent. Von denjenigen Weißen, die sich selbst als wiedergeborene oder evangelikale Christen bezeichnen, haben 2012 21 Prozent für Obama gestimmt, 3 Prozent weniger als 2008. Ein nicht geringer Teil der Evangelikalen und Katholiken scheint also nicht nur mit Obamas Wirtschafts- und Außenpolitik, sondern auch mit seiner bejahenden Haltung in Sachen Abtreibung und "Homo-Ehe" kein Problem zu haben. Viele Konservative hingegen sehen die Unverletzlichkeit der individuellen Religionsausübung in den USA zum Beispiel dadurch gefährdet, dass Obamas Modell der Krankenversicherung auch kirchliche Arbeitgeber dazu zwingt, ihren Angestellten die Verhütungsmittel zu finanzieren.
Wie geht es nun weiter? Obama wird unbeirrt an seinem Regierungskurs festhalten und seinen Landsleuten mit Sozialarchitektur nach europäischem Vorbild zu Leibe rücken. Die Republikaner im Kongress stehen nach wie vor in der Verantwortung, zu vernünftigen Einigungen beizutragen. Dazu müssen sie aber, im eigenen Interesse, endlich ihre Blockadehaltung aufgeben und selbst Lösungsvorschläge liefern. Die Partei hat die Ideen und das Personal für künftige Wahlsiege – sie muss sich aber auf die neuen demografischen Bedingungen in den USA einstellen, wie etwa die wachsende lateinamerikanische Bevölkerung.
Den Christen in Amerika – für wen sie auch gestimmt haben – sei für die kommenden vier Jahre eine aufmerksame Gelassenheit empfohlen. Es hilft wenig, wenn Franklin Graham, Leiter des Missionswerkes seines berühmten Vaters Billy, angesichts des Wahlergebnisses von einem "Pfad der Zerstörung" spricht, auf dem sich das Land befinde. Es wäre zu begrüßen, wenn sich viele dem Aufruf des gescheiterten Mormonen Romney anschließen, und für ihren Präsidenten beten. Für die großen Herausforderungen, die vor ihm liegen, kann Barack Obama jede Unterstützung gebrauchen. (pro)