Forscher gründen Netzwerk für Freiheit der Wissenschaft

In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Fälle, in denen Aktivisten aus ideologischen Gründen Wissenschaftler angriffen oder Veranstaltungen behinderten. 70 Forscher haben sich nun zu einem Netzwerk zusammengeschlossen: Sie fürchten um die Freiheit der Wissenschaft und wenden sich gegen politisch-ideologische Einflussnahme.
Von Jonathan Steinert
Eine Gruppe von Wissenschaftlern fürchtet um die Freiheit der Debatte und der Forschung

Als Bernd Lucke, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg, im Herbst 2019 seine Lehrtätigkeit wieder aufnahm, wurde das von lautstarken und teilweise gewaltsamen Protesten begleitet. Lucke hatte 2013 die Partei „Alternative für Deutschland“ gegründet, als liberal-konservative Partei mit Fokus auf wirtschaftlichen Fragen. Zwei Jahre später trat er wieder aus: Er sah keine Möglichkeiten mehr, seine politischen Ziele zu verfolgen, „ohne gleichzeitig als bürgerliches Aushängeschild für politische Vorstellungen missbraucht zu werden, die ich aus tiefer Überzeugung ablehne. Dazu zählen insbesondere islamfeindliche und ausländerfeindliche Ansichten“, wie er damals erklärte. Bei seiner ersten Vorlesung nach seiner Zeit als EU-Abgeordneter kam er nicht dazu, etwas zu sagen. Er wurde niedergeschrien und als „Nazischwein“ beschimpft, solange, bis ihn schließlich die Polizei aus dem Hörsaal eskortierte.

Es ist nur eines von mehreren Beispielen, wo Wissenschaftler am wissenschaftlichen Diskurs gehindert und persönlich angegriffen wurden, weil sie mit Überzeugungen in Verbindung gebracht werden, die in einem bestimmten Weltbild als störend und inakzeptabel gelten. Die Ethnologin Susanne Schröter, Professorin an der Universität Frankfurt, geriet ins Visier von aufgebrachten Studenten, als sie eine Veranstaltung zum Thema „Das islamische Kopftuch – Symbol der Würde oder der Unterdrückung“ anbot, auf dem mehrere namhafte Wissenschaftler sprechen sollten. Schröter wurde antimuslimischer Rassismus vorgeworfen.

Schon vor einem Jahr sagte der emeritierte Jenaer Philosophieprofessor Klaus-Michael Kodalle: „An den deutschen Universitäten – natürlich vor allem an denen in den Metropolen – herrscht eine Art geistiger Bürgerkrieg in der Frage, welche politischen Meinungen zulässig sein sollen und welche nicht.“ Sein Kollege Klaus Dörre, Professor für Soziologie, erklärte damals: „Es gibt inzwischen eine Gesinnungsethik, die die Gesinnung vor die Wissenschaft stellt“ – vom linken politischen Rand ebenso wie von rechts.

Gegen moralische und politische Beschränkungen

Kodalle ist nun einer der 70 Wissenschaftler, die sich zu einem „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“ zusammengeschlossen haben, auch Schröter ist dabei. Vorige Woche hat es sich der Öffentlichkeit vorgestellt. In einem Manifest heißt es: „Wir beobachten, dass die verfassungsrechtlich verbürgte Freiheit von Forschung und Lehre zunehmend unter moralischen und politischen Vorbehalt gestellt werden soll.“ Mitarbeiter von Hochschulen würden unter Druck gesetzt, „sich bei der Wahrnehmung ihrer Forschungs- und Lehrfreiheit moralischen, politischen und ideologischen Beschränkungen und Vorgaben zu unterwerfen“.

Auch die Vergabe von Förder- und Drittmitteln zur Finanzierung von Forschungsprojekten sei teilweise an bestimmte gesellschaftspolitische Erwartungen geknüpft, erklärt Andreas Rödder, Historiker an der Universität Mainz und einer der Initiatoren des Netzwerks, auf Anfrage von pro. Der Einfluss auf die Forschung gehe vor allem von „identitätspolitischen Agendawissenschaftlern“ aus, die „allenthalben“ Diskriminierung beklagten, sowie von denen, „die unter diesem Druck ihre Läuterung beweisen wollen, dass sie nicht diskriminieren“. Das führe zu einer Radikalisierungsspirale.

„Offene Debatten sind Lebenselixier von Demokratien“

Das Netzwerk, dem Wissenschaftler verschiedener Disziplinen aus Natur- und Geisteswissenschaften angehören, setzt sich für intellektuelle Freiheit in der Forschung und in der Debatte über wissenschaftliche Erkenntnisse ein. „Cancel Culture“ und Political Correctness hätten „die freie und kontroverse Debatte auch von Außenseiterpositionen vielerorts an den Universitäten zum Verschwinden gebracht“, heißt es in einer Pressemitteilung. Rödder betonte gegenüber pro, offene, kritische und streitige Debatten seien das Lebenselixier von Demokratien. Hingegen seien „moralisierende Konformisierung“ und der Ausschluss von bestimmten Positionen charakteristisch für totalitäre Systeme.

Nach Aussage Rödders gehe es dem Netzwerk nicht darum, individuelle Betroffenheiten der Mitglieder zu artikulieren, sondern einer „allgemeinen Entwicklung“ entgegenzusteuern. Belege für eine solche Entwicklung, die über Einzelfälle hinausgeht, liefert das Netzwerk nicht, kritisierten verschiedene Kommentatoren in den vergangenen Tagen. Konkrete Beispiele oder Zahlen dafür sind auf der Website des Netzwerks nicht genannt.

Von: Jonathan Steinert

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