„Focus“-Redakteur verteidigt „grünen und politischen Papst“

Der Papst habe Humor, er unterdrücke keine Frauen, und niemand tue mehr für AIDS-Kranke als die katholische Kirche. Zehn Punkte hat "Focus"-Redakteur Alexander Kissler gesammelt, die dem Papst seiner Meinung nach irrtümlich vorgehalten werden.
Von PRO
Papst Benedikt XVI. sei kein Fundamentalist. Diesen Vorwurf versucht Kissler als erstes zu widerlegen. "Ein Fundamentalist reflektiert nicht seine Ansichten, ist immun gegen Einwände, schottet sich ab." Doch der Papst habe schon als Universitätslehrer Joseph Ratzinger gezeigt, dass er sehr am Meinungsaustausch interessiert sei. Dies bestätigten auch ehemalige Studenten und Doktoranden. Auch als Präfekt der Glaubenskongregation habe er die Debatte gesucht, was Kissler anhand mehrerer Beispiele verdeutlicht. Mit einem Atheisten habe der katholische Geistliche öffentlich ebenso diskutiert wie mit dem deutschen Philosophen Jürgen Habermas. "Religion und Vernunft bräuchten sich", sei er schon als Kardinal Ratzinger überzeugt gewesen.

Unfehlbar sei der Papst nicht

Auch dass sich das katholische Kirchenoberhaupt für "unfehlbar" halte, sei nachweislich falsch, so der Journalist. Kurz vor seiner eigenen Wahl sagte Joseph Ratzinger, der Papst sei "nicht ein absoluter Monarch, dessen Wille Gesetz ist, (…) er kann nicht machen, was er will". Stattdessen sei er Treuhänder und Stellvertreter, nicht Erfinder oder Techniker des Glaubens. Zur Amtseinführung habe der Geistliche erklärt, das eigentliche Regierungsprogramm bestehe darin, "nicht meinen Willen zu tun, nicht meine Ideen durchzusetzen, sondern gemeinsam mit der ganzen Kirche auf Wort und Wille des Herrn zu lauschen". Im Vorwort zu seinem Buch "Jesus von Nazareth" schreibe der Papst, es stehe "jedermann frei, mir zu widersprechen". Kissler erläutert: "Unfehlbarkeit beanspruchen in der katholischen Kirche nur jene wenigen Glaubensaussagen, die von der gesamten Kirche unbedingt anzunehmen und die als solche ausdrücklich gekennzeichnet sind." Dies schütze vor Sonderlehren.

Auch sei der Papst kein Antimodernist, der Demokratie ablehne. Vielmehr kritisiere er die Schattenseiten der Moderne und warne vor einem "ethischen Relativismus", der mit Demokratie verwechselt werden könnte. Jede Demokratie müsse nach Meinung des Papstes akzeptieren, dass "die Mehrheiten irren können". Kein "von Menschen geschaffenes Gesetz" dürfe gegen die Menschenwürde oder gegen das Recht auf Leben verstoßen. Kissler: "Darum wendet Benedikt sich gegen Todesstrafe, Abtreibung und Embryonenversuche."

Die Ökumene sei, anders als viele behaupten, dem Papst sehr wichtig, so der "Focus"-Redakteur. Und bei zahlreichen Anlässen propagiere er den interreligiösen Dialog. Geschwisterlich solle man sich "für den Frieden, die Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung einsetzen", zitiert Kissler Benedikt. Kein Papst zuvor habe zudem gewinnender von den Juden gesprochen. Als Kardinal Ratzinger habe sich der Pontifex anders als viele Kirchenreformer regelmäßig mit Hochachtung auf das Alte Testament bezogen. Laut der "Theologie des einen Bundes" des Papstes seien Judentum und Christentum keine getrennten Religionen, sondern zwei Pfade innerhalb des einen Bundes, den Gott mit den Menschen schloss. Kissler erinnert zudem daran, dass im November 2008 zum ersten Mal überhaupt ein katholisch-muslimisches Forum im Vatikan zusammengetreten sei.

Der "sechste Irrtum", über den der Journalist aufklären will, betrifft die Meinung, dem Papst sei Liturgie wichtiger als Politik und Soziales. "Falsch", so Kissler. Aus einem hohen Stellenwert der Eucharistie folge keineswegs eine Weltabgewandtheit. Liturgie begreife das Kirchenoberhaupt vielmehr als "das Auftun der Tore dieser Welt, damit Gott einziehen kann". Kissler: "Benedikt ist ebenso ein ‚grüner‘ wie ein ‚politischer‘ Papst, weil er die ganze Welt durch das Brennglas der Eucharistie sieht."

Dass der Papst Frauen unterdrücke, sei ebenfalls ein Irrtum, so Kissler. Schon Johannes Paul II. habe "abschließend" erklärt, dass Frauen nicht zu Priestern geweiht werden dürften. Aber nicht nur das, die Weihe "widerspräche dem Willen Christi, der nur Männer zu Aposteln berief", so der Journalist. "Daran ist Benedikt ebenso gebunden wie jeder einfache Katholik." Aus diesem Verbot könne weiter nicht gefolgert werden, dass die katholische Kirche Frauen diskriminiere. Papst Benedikt betone, dass "alle Männer und Frauen für etwas Großes geschaffen" seien, "für die Unendlichkeit", und dass erst beide Geschlechter zusammen den Menschen als Abbild Gottes ausmachten.

"Spitzbübisches Lächeln"

Als "achten Irrtum" bezeichnet Kissler den Vorwurf, die katholische Kirche habe den Skandal um den Missbrauch von Kindern vertuscht. "Laut dem Kriminologen Christian Pfeiffer liegt der Anteil der Priester unter den Tätern zumindest in Deutschland bei maximal drei Promille." Außerdem habe Benedikt schon früh Geistliche suspendiert, die Minderjährige missbrauchten. "Auf mehreren Reisen traf er sich mit den Opfern sexuellen Missbrauchs; auch für Deutschland ist eine solche Begegnung geplant", so Kissler.

Dem Vorwurf, der atheistischen Giordano-Bruno-Stiftung, der Papst sorge mit einem Kondom-Verbot für die Ausbreitung von AIDS, antwortet Kissler: "Nie hat Benedikt dazu aufgerufen, besonders eifrig den Geschlechtsakt zu vollziehen. Nie hat er ermuntert, ungeschützt miteinander zu verkehren. Im Gegenteil: Er appelliert an einen verantwortungsvollen Umgang mit der eigenen Sexualität, der Treue und gegebenenfalls auch Enthaltsamkeit einschließt." AIDS könne man  nach Meinung Benedikts mit der Verteilung von Präservativen nicht bewältigen, "wenn die Seele nicht beteiligt ist". Außerdem, erklärt Kissler, betreibe keine Organisation mehr Hilfsstationen für AIDS-Kranke als die katholische Kirche.

Als zehnten und letzten Irrtum bezeichnet der Journalist die Behauptung, der Papst habe keinen Humor. "Johannes Paul II. konnte ein echter Charmebolzen sein, auch deshalb, weil er seit Jugendtagen in der Schauspielkunst erfahren war. Wenn Joseph Ratzinger lächelt, scheint es, als könne er eine gewisse Menschenscheu, eine gewisse Reserviertheit, die mitunter verkniffen wirkt, nie ablegen." Hinter seinem "spitzbübischen Lächeln" stecke die Überzeugung: "Spaß ist nicht alles. Er ist nur ein kleiner Teil unseres Lebens, und wo er das Ganze sein will, wird er zur Maske." (pro)
http://www.focus.de/politik/deutschland/tid-23688/papst-besuch-zehn-irrtuemer-ueber-benedikt-xvi-_aid_667510.html
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