Flüchtlingskongress: „Integration beginnt im Kopf“
Christen in Deutschland sollten gegenüber Migranten über die Wurzeln ihrer Werte Auskunft geben. Das sei wesentlich für die Integration, sagte der Theologe Paul Murdoch bei einem christlichen Flüchtlingskongress in Schwäbisch Gmünd.
Der Theologe Paul Murdoch hält die aktuelle Migration nach Europa für ein göttliches Zeitfenster
Hunderttausende Flüchtlinge kommen nach Deutschland und Europa. Das sei eine „besondere Zeit, in der Besonderes geht“. Das machte der Theologe Paul Murdoch, Studienleiter im Albrecht-Bengel-Haus in Tübingen, auf einem christlichen Flüchtlingskongress im Freizeit- und Gemeindezentrum Schönblick in Schwäbisch Gmünd deutlich. „Wir erleben einen Kairos“, also ein göttliches Zeitfenster, erklärte er vor den etwa 500 Kongressteilnehmern. Noch nie in der Geschichte des Islams hätten so viele Muslime die Möglichkeit, in Europa frei zu entscheiden, ob sie diesen Glauben haben möchten. Christen sollten dieses Zeitfenster nutzen und bereit dazu sein, Migranten über ihren Glauben und die Wurzeln ihrer Werte Auskunft zu geben. „Wir haben die Chance, mit der besten Botschaft der Welt Menschen eine Perspektive für ihr Leben zu geben“, sagte der Kanadier Murdoch.
„Integration beginnt im Kopf und endet im Herzen. Ein Mensch, der sich integriert hat, hat sich mit Ideen auseinandergesetzt, sie angeeignet und zu Herzen genommen.“ Es gehe nicht darum, Migranten einen anderen Glauben überzustülpen. Vielmehr sollten Christen erklären können, „warum Menschenleben und -würde unantastbar sind“ und was das mit dem Menschen als Ebenbild Gottes und mit Nächstenliebe zu tun habe. „Wissen wir um die Wurzeln unserer Werte und können wir diese erklären?“ In Deutschland würden Christen ihren Glauben lieber in den privaten Raum verbannen. Muslime jedoch seien sehr offen dafür, über Glauben und Religion zu sprechen. „Ich wünsche uns, dass wir zuverlässige Gesprächspartner sind.“
Auch unter Christen gebe es eine Angst um die Zukunft Europas und Deutschlands angesichts der vielen Flüchtlinge. Doch: „Wir wollen als Christen nicht resignieren“, sagte Murdoch. „Das, was uns Zuversicht und Hoffnung macht“, sollten Christen mit andersgläubigen Migranten teilen.
Staatssekretär: Korruption ist „Hauptseuche“ für die Demokratie
Bei einer Podiumsdiskussion zur Eröffnung des Kongresses rief Christian Lange (SPD), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesjustizministerium, die Teilnehmer dazu auf, sich für Meinungsfreiheit und Respekt einzusetzen. „Das Klima ist rauer geworden“, sagte der Bundestagsabgeordnete zur Stimmung in der Gesellschaft. Jedoch mache eine von Hass vergiftete Atmosphäre Integration unmöglich. Auf Facebook mache sich diese Stimmung breit. Allerdings sei für konstruktive Lösungen eine positive Atmosphäre nötig.
Zum Thema der Fluchtursachen sagte Lange, dass vor allem die Korruption in den Herkunftsländern vieler Flüchtlinge bekämpft werden müsse. Diese sei „die Hauptseuche“ für demokratische Bemühungen. „Wenn wir das nicht in den Griff kriegen, helfen uns rechtsstaatliche Strukturen nichts“, die Deutschland in diesen Ländern aufzubauen helfe.
„Christen vor Ort nicht allein lassen“
Der evangelische sächsische Landesbischof Carsten Rentzing und der katholische Bischof von Speyer, Karl-Heinz Wiesemann, machten sich dafür stark, dass die Kirchen ihre weltweiten Netzwerke pflegen und intensivieren. Rentzing sagte: „Die internationalen Kontakte wurden viel zu lange vernachlässigt. Wir können darüber helfen, Zivilstrukturen aufzubauen.“ Wiesemann, der Vorsitzender des Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK) und Schirmherr des Kongresses ist, betonte, wie wichtig die persönlichen und institutionellen kirchlichen Verbindungen in die Länder sind, aus denen Menschen fliehen, wie etwa Irak und Syrien. Dort bedauerten die Kirchen, dass ihre Gläubigen das Land verlassen. „Wir müssen das weltkirchliche Netz aufbauen, damit die Christen vor Ort nicht allein gelassen werden.“
Rentzing wünschte sich zudem einen offenen Diskurs über die Fragen, die mit der Flüchtlingssituation zusammenhängen. „Wir haben alle das Bedürfnis, in unserem Land den Frieden zu erhalten. Deshalb dürfen wir auch diskutieren, wie viele Flüchtlinge das Land verkraftet“, sagte er. Verwerfungen zwischen den Ansichten könnten dabei in der Frage voranbringen, „wie wir als Gesellschaft sein wollen“.
Der Flüchtlingskongress „Angekommen! – Angenommen? Flüchtlinge unter uns. Chancen und Herausforderungen für Christen“ ist der erste dieser Art. Knapp 500 Teilnehmer sind bei der dreitägigen Veranstaltung dabei. Getragen wird der Kongress von verschiedenen christlichen Organisationen und Missionswerken. Zu den Veranstaltern gehören die Arbeitsgemeinschaft Evangelikaler Missionen, die Deutsche Evangelische Allianz, die Vereinigung Evangelischer Freikirchen, das Bengelhaus Tübingen sowie das christliche Gästezentrum Schönblick. (pro)
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