Flüchtlingshotspot: „Ich dachte, ich laufe durch den Slum von Mumbai“

Uwe Heimowski hat das Flüchtlingscamp Moria auf Lesbos besucht – und war schockiert von den Zuständen. Im pro-Interview mahnt der Beauftragte der Evangelischen Allianz: Die EU muss endlich handeln.
Von PRO
Die Zustände im Camp Moria auf Lesbos sind katastrophal

pro: Sie kommen gerade aus Lesbos wieder. Was war Ihr erster Eindruck?

Uwe Heimowski: Wir sahen die Küste der Türkei in Sichtweite. Ich war überrascht, wie nah sie war. Als wir am Flughafen ausstiegen, sahen wir eine wunderschöne weiße griechische Kappelle. Wir gingen ans Wasser, genossen den Strand, die Luft und das Meer, bis ich etwas Orangefarbenes aufblitzen sehe: Eine Rettungsweste. Mitten in der Inselidylle. Unsere Leiterin Andrea Wegener von Euro Relief sagte, dass die ganze Küste voll davon ist. Eine NGO macht gerade Notebooktaschen daraus. Jeden Abend kommen mindestens zwei bis sieben Boote an. Bis zu 70 Menschen sitzen darin. Pro Tag können also bis zu 400 oder 500 Personen ankommen. Die Asylanträge können gar nicht so schnell bearbeitet werden.

Wie sind die Zustände im Camp „Moria“, wo die Menschen ankommen?

Das Camp ist ausgelegt für 3.000 Menschen mit Wasserversorgung und UN-Zelten. Es leben dort aber 21.000 Menschen. Sie hausen in Zelten, die sie sich aus Plastikplanen und Paletten zusammengebaut haben. Überall wilde Behausungen, es stank nach verbranntem Plastik, an den Wegesrändern lag Müll – weil es natürlich noch nicht überall eine Müllabfuhr gibt. Ich dachte, ich laufe durch den Slum von Mumbai oder Nairobi. Nachts wird es bitterkalt, deswegen wird alles verheizt, was sich finden lässt. Die Flüchtlinge holzen die Olivenbäume ab, die eigentlich den Bewohnern von Lesbos gehören. Ich sah einen kleinen Ofen, der mit Plastikmüll beheizt wurde.

Im Camp fehlt es am Nötigsten Foto: Uwe Heimowski
Im Camp fehlt es am Nötigsten

Sie waren früher in der Heilsarmee und kennen menschliches Elend, aber das klingt nach einer anderen Dimension.

Ich habe schon viele arme Länder besucht und weiß, was Armut bedeutet. Aber wir sind hier in Europa! So empfangen wir Flüchtlinge! Das ist beschämend. Ja, wir können über viele politische Aspekte diskutieren. Aber die, die wir aufnehmen, müssen wir doch ordentlich versorgen.

Warum kommen so viele Menschen nach Lesbos?

Die türkische Küstenwache hat durch das EU-Türkeiabkommen die Pflicht, keine Boote durchzulassen. Aber je nach Erdoğans Laune kommen mal mehr, mal weniger Schiffe durch. Deswegen ist das Camp nur für so wenige Menschen ausgelegt. Früher hatte das Flüchtlingshilfswerk UNHCR die Aufsicht, jetzt ist es das griechische Militär. Das ist mit der Organisation aber überfordert. Das Geld aus Brüssel nützt nichts, wenn du keine Fachkräfte bekommst.

Der Flaschenhals sind die griechischen Behörden. Schon weil sie keine Dolmetscher haben, dauern die Verfahren sehr lange. Durch das EU-Türkei-Abkommen muss immer erst geprüft werden, ob die Menschen in die Türkei zurückgeschickt werden müssen. Es vergehen daher Wochen, bis sie einen Asylantrag stellen können. Deswegen übernehmen 90 NGOs den Großteil der Arbeit, ohne sie würde es nicht funktionieren. Euro Relief übernimmt die Erstausstattung und teilt die Plätze zu. Es gibt 350 Plätze für 1.200 unbegleitete Minderjährige. Sie bekommen immerhin ein dünnes Wurf-Zelt in die Hand gedrückt und gesagt, sie sollen sich irgendwo einen Platz suchen. Andere NGOs kümmern sich um Wasserversorgung und viele andere praktische Dinge. Manche stellen Anwälte.

Sie waren früher in der Heilsarmee und kennen menschliches Elend, aber das klingt nach einer anderen Dimension.

Ich habe schon viele arme Länder besucht und weiß, was Armut bedeutet. Aber wir sind hier in Europa! So empfangen wir Flüchtlinge! Das ist beschämend. Ja, wir können über viele politische Aspekte diskutieren. Aber die, die wir aufnehmen, müssen wir doch ordentlich versorgen.

Warum kommen so viele Menschen nach Lesbos?

Die türkische Küstenwache hat durch das EU-Türkeiabkommen die Pflicht, keine Boote durchzulassen. Aber je nach Erdoğans Laune kommen mal mehr, mal weniger Schiffe durch. Deswegen ist das Camp nur für so wenige Menschen ausgelegt. Früher hatte das Flüchtlingshilfswerk UNHCR die Aufsicht, jetzt ist es das griechische Militär. Das ist mit der Organisation aber überfordert. Das Geld aus Brüssel nützt nichts, wenn du keine Fachkräfte bekommst.

Der Flaschenhals sind die griechischen Behörden. Schon weil sie keine Dolmetscher haben, dauern die Verfahren sehr lange. Durch das EU-Türkei-Abkommen muss immer erst geprüft werden, ob die Menschen in die Türkei zurückgeschickt werden müssen. Es vergehen daher Wochen, bis sie einen Asylantrag stellen können. Deswegen übernehmen 90 NGOs den Großteil der Arbeit, ohne sie würde es nicht funktionieren. Euro Relief übernimmt die Erstausstattung und teilt die Plätze zu. Es gibt 350 Plätze für 1.200 unbegleitete Minderjährige. Sie bekommen immerhin ein dünnes Wurf-Zelt in die Hand gedrückt und gesagt, sie sollen sich irgendwo einen Platz suchen. Andere NGOs kümmern sich um Wasserversorgung und viele andere praktische Dinge. Manche stellen Anwälte.

Das Camp Moria ist für 3.000 Personen ausgelegt. Es leben 21.000 Menschen hier. Foto: Uwe Heimowski
Das Camp Moria ist für 3.000 Personen ausgelegt. Es leben 21.000 Menschen hier.

Wenn der Staat dermaßen überfordert ist, muss man sagen: Europa ist dort gescheitert.

Ja. Mein Freund, der CDU-Bundestagsabgeordnete Frank Heinrich, hat es auf den Punkt gebracht: „Das ist peinlich für Europa.“

Was muss geschehen?

Die EU muss sich dringend auf Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge einigen. Mehrere deutsche Städte haben sich bereit erklärt, Menschen aufzunehmen, aber das hilft wenig, wenn die Verteilungsfrage nicht geklärt ist. Außerdem müssen Flüchtlinge aus Kriegsgebieten sofort einen Duldungsstatus erhalten. Gerade sie brauchen sofort einen Anwalt und einen Dolmetscher.

Sie haben auch ein christliches Begegnungszentrum, die christliche Initiative i58, besucht.

In dem Camp Moria, wo die 21.000 Menschen leben, ist Mission verständlicherweise verboten, schließlich geht es dort um humanitäre Hilfe. Trotzdem hat die christlich motivierte Hilfe Auswirkungen. Fünf Muslime erzählten uns, sie seien in ihren Heimatländern von Muslimen verfolgt worden. Jetzt seien sie beeindruckt, dass sie ausgerechnet von Christen Decken, Essen und menschliche Anteilnahme erhielten.

Etwas außerhalb liegt das Begegnungszentrum „Oasis“. Dort gibt es auch Bibelstunden, Englischunterricht, ein Café und andere Angebote. Wir haben dort ergreifende Lebensgeschichten gehört. Eine iranische Frau erzählte, in ihrer Heimat hätten die Männer ihr gesagt, Frauen hätten nur „halbe Gehirne“. Sie hatte dem Imam kritische Fragen gestellt. Das reichte aus, dass sie bedroht wurde. Erst auf der Flucht lernte sie Christen kennen. Ihre Religion hat sie im Iran verloren und hat dann auf der Flucht zu Jesus gefunden. Unter Christen hat sie zum ersten Mal Wertschätzung erlebt, berichtete sie.

Das Begegnungszentrum und die Arbeit der NGOs könnte die Arbeit ohne Ehrenamtliche nicht leisten. Alleine Euro Relief hatte im vergangenen Jahr unglaubliche 11.000 Kurzzeithelfer, dafür bin ich persönlich sehr dankbar. Ich wünsche mir, dass sie viele weitere Menschen unterstützen.

Wenn der Staat dermaßen überfordert ist, muss man sagen: Europa ist dort gescheitert.

Ja. Mein Freund, der CDU-Bundestagsabgeordnete Frank Heinrich, hat es auf den Punkt gebracht: „Das ist peinlich für Europa.“

Was muss geschehen?

Die EU muss sich dringend auf Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge einigen. Mehrere deutsche Städte haben sich bereit erklärt, Menschen aufzunehmen, aber das hilft wenig, wenn die Verteilungsfrage nicht geklärt ist. Außerdem müssen Flüchtlinge aus Kriegsgebieten sofort einen Duldungsstatus erhalten. Gerade sie brauchen sofort einen Anwalt und einen Dolmetscher.

Sie haben auch ein christliches Begegnungszentrum, die christliche Initiative i58, besucht.

In dem Camp Moria, wo die 21.000 Menschen leben, ist Mission verständlicherweise verboten, schließlich geht es dort um humanitäre Hilfe. Trotzdem hat die christlich motivierte Hilfe Auswirkungen. Fünf Muslime erzählten uns, sie seien in ihren Heimatländern von Muslimen verfolgt worden. Jetzt seien sie beeindruckt, dass sie ausgerechnet von Christen Decken, Essen und menschliche Anteilnahme erhielten.

Etwas außerhalb liegt das Begegnungszentrum „Oasis“. Dort gibt es auch Bibelstunden, Englischunterricht, ein Café und andere Angebote. Wir haben dort ergreifende Lebensgeschichten gehört. Eine iranische Frau erzählte, in ihrer Heimat hätten die Männer ihr gesagt, Frauen hätten nur „halbe Gehirne“. Sie hatte dem Imam kritische Fragen gestellt. Das reichte aus, dass sie bedroht wurde. Erst auf der Flucht lernte sie Christen kennen. Ihre Religion hat sie im Iran verloren und hat dann auf der Flucht zu Jesus gefunden. Unter Christen hat sie zum ersten Mal Wertschätzung erlebt, berichtete sie.

Das Begegnungszentrum und die Arbeit der NGOs könnte die Arbeit ohne Ehrenamtliche nicht leisten. Alleine Euro Relief hatte im vergangenen Jahr unglaubliche 11.000 Kurzzeithelfer, dafür bin ich persönlich sehr dankbar. Ich wünsche mir, dass sie viele weitere Menschen unterstützen.

Herbert Putz (links) ist Leiter des Arbeitskreises für Migration und Integration der DEA, rechts daneben: Andrea Wegener von Euro Relief, Frank Heinrich (CDU) Foto: Uwe Heimowski
Herbert Putz (links) ist Leiter des Arbeitskreises für Migration und Integration der DEA, rechts daneben: Andrea Wegener von Euro Relief, Frank Heinrich (CDU)

Gerade im Internet gibt es trotzdem viel Hass und Hetze gegen Flüchtlingshilfe, sogar von Christen. Was denken Sie darüber?

Es gibt natürlich viele politische Bedenken, die ihre Berechtigung haben. Aber unabhängig davon lehrt die Bibel: Ein Mensch in Not ist ein Mensch in Not – egal welchen Glauben er hat. Jesus hat selbst Judas noch die Füße gewaschen, bevor er von ihm verraten wurde. Wir müssen uns um notleidende Menschen kümmern – Punkt. Die andere Frage ist, wie wir die Not vor Ort verringern können: In Afghanistan, Somalia und anderen Krisenherden. Wenn wir diese Probleme nicht lösen, kommen weiter Menschen zu uns. Es stimmt: Wir können nicht alle aufnehmen und uns nicht um alle kümmern. Aber diese politische Haltung darf nicht zum Deckmantel für latenten Fremdenhass werden. Neben Frank Heinrich war auch Herbert Putz mit uns auf Lesbos. Er ist Referent für Migration und Integration (AMIN) der Deutschen Evangelischen Allianz. Er unterstützt Gemeinden bei der Integrationsarbeit. Viele Christen leisten einen vorbildlichen Dienst an Flüchtlingen.

In Deutschland haben viele Menschen den Eindruck: 2015 ist vorbei, die Flüchtlingskrise hat sich beruhigt. Stimmt das?

Das Extrem hat sich beruhigt. Wir haben 2015 fast eine Million Menschen aufgenommen. Die Infrastruktur war damals überfordert, mittlerweile ist sie etwas entlastet. Es kommen derzeit etwa 100.000 bis 200.000 Asylsuchende nach Deutschland. Sie kommen aber, obwohl die Grenzen dicht sind. Das zeigt, dass das Flüchtlingsproblem nicht bewältigt ist. Wir lösen es nicht, wenn wir höhere Zäune bauen, sondern indem wir uns um die Zustände in den Herkunftsländern kümmern.

Eine wichtige Frage im Inland ist, wie gut die Integration in den Arbeitsmarkt gelingt. Es gibt positive Beispiele, aber machen wir uns nichts vor: Es kommen auch Analphabeten oder vergewaltigte Frauen zu uns. Wie sollen die es mit ihren Defiziten und Traumata schaffen, innerhalb von ein paar Monaten Deutsch zu lernen und Fuß zu fassen? Dafür brauchen wir neue Ansätze.

Gerade im Internet gibt es trotzdem viel Hass und Hetze gegen Flüchtlingshilfe, sogar von Christen. Was denken Sie darüber?

Es gibt natürlich viele politische Bedenken, die ihre Berechtigung haben. Aber unabhängig davon lehrt die Bibel: Ein Mensch in Not ist ein Mensch in Not – egal welchen Glauben er hat. Jesus hat selbst Judas noch die Füße gewaschen, bevor er von ihm verraten wurde. Wir müssen uns um notleidende Menschen kümmern – Punkt. Die andere Frage ist, wie wir die Not vor Ort verringern können: In Afghanistan, Somalia und anderen Krisenherden. Wenn wir diese Probleme nicht lösen, kommen weiter Menschen zu uns. Es stimmt: Wir können nicht alle aufnehmen und uns nicht um alle kümmern. Aber diese politische Haltung darf nicht zum Deckmantel für latenten Fremdenhass werden. Neben Frank Heinrich war auch Herbert Putz mit uns auf Lesbos. Er ist Referent für Migration und Integration (AMIN) der Deutschen Evangelischen Allianz. Er unterstützt Gemeinden bei der Integrationsarbeit. Viele Christen leisten einen vorbildlichen Dienst an Flüchtlingen.

In Deutschland haben viele Menschen den Eindruck: 2015 ist vorbei, die Flüchtlingskrise hat sich beruhigt. Stimmt das?

Das Extrem hat sich beruhigt. Wir haben 2015 fast eine Million Menschen aufgenommen. Die Infrastruktur war damals überfordert, mittlerweile ist sie etwas entlastet. Es kommen derzeit etwa 100.000 bis 200.000 Asylsuchende nach Deutschland. Sie kommen aber, obwohl die Grenzen dicht sind. Das zeigt, dass das Flüchtlingsproblem nicht bewältigt ist. Wir lösen es nicht, wenn wir höhere Zäune bauen, sondern indem wir uns um die Zustände in den Herkunftsländern kümmern.

Eine wichtige Frage im Inland ist, wie gut die Integration in den Arbeitsmarkt gelingt. Es gibt positive Beispiele, aber machen wir uns nichts vor: Es kommen auch Analphabeten oder vergewaltigte Frauen zu uns. Wie sollen die es mit ihren Defiziten und Traumata schaffen, innerhalb von ein paar Monaten Deutsch zu lernen und Fuß zu fassen? Dafür brauchen wir neue Ansätze.

Frank Heinrich, Andrea Wegener, Uwe Heimowski Foto: Uwe Heimowski
Frank Heinrich, Andrea Wegener, Uwe Heimowski

Christliche Konvertiten erhalten oft keinen Schutzstatus, obwohl ihnen Verfolgung droht.

Viel zu viele christliche Konvertiten, hauptsächlich Afghanen und Iraner, werden vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) abgelehnt. Alleine in Brandenburg wurden 2018 60 Prozent der BAMF-Urteile von den Gerichten wieder kassiert. Solche Fehlentscheidungen des BAMF dürfen nicht sein. Menschen, die in ihrem Heimatland Gefahr droht, haben ein gesetzliches Bleiberecht. Das gilt für Konvertiten, wie für andere Minderheiten, etwa die Bahai, denen in Afghanistan der Tod drohen würde, für Ahmadiya in Pakistan oder für Homosexuelle im Iran. Diese Menschen dürfen wir nicht abschieben.

Vielen Dank für das Gespräch.

Christliche Konvertiten erhalten oft keinen Schutzstatus, obwohl ihnen Verfolgung droht.

Viel zu viele christliche Konvertiten, hauptsächlich Afghanen und Iraner, werden vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) abgelehnt. Alleine in Brandenburg wurden 2018 60 Prozent der BAMF-Urteile von den Gerichten wieder kassiert. Solche Fehlentscheidungen des BAMF dürfen nicht sein. Menschen, die in ihrem Heimatland Gefahr droht, haben ein gesetzliches Bleiberecht. Das gilt für Konvertiten, wie für andere Minderheiten, etwa die Bahai, denen in Afghanistan der Tod drohen würde, für Ahmadiya in Pakistan oder für Homosexuelle im Iran. Diese Menschen dürfen wir nicht abschieben.

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Nicolai Franz

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