Das wöchentliche Magazin "Ajankohtainen Kakkonen" ist seit 1969 eine feste Institution im finnischen öffentlich-rechtlichen Fernsehsender YLE. Am 12. Oktober hatten die Fernsehmacher in einer Diskussionsrunde die Frage angesprochen, ob gleichgeschlechtliche Paare in Finnland von der Kirche getraut werden sollten, und ob sie Kinder adoptieren können sollten. Eingeladen waren als Befürworter: die Pastroin Leena Huovinen, die bereits lesbische Paare gesegnet hat, der Grünen-Politiker und bekennende Schwule Oras Tynkkynen, Manne Maalismaa, Mitglied der Schwulen- und Lesbenvereinigung SETA, sowie Kenneth Liukkonen, der im Juli zum "Mr. Gay Finland" gewählt wurde.
Auf der Seite der Gegner der Homoehe standen die Christdemokratin Päivi Räsänen, Matti Repo, ein Pfarrer aus Tampere, und der Politiker Pentti Oinonen. Räsänen und Repo sagten in der Sendung unter anderem, dass Homosexualität laut Bibel Sünde sei, daher könne die Kirche eine Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren nicht der von Mann und Frau gleichstellen. Außerdem sprachen sie sich gegen ein Adoptionsrecht homosexueller Paare aus, da Kinder beide Elternteile bräuchten.
Der Lutherischen Kirche gehören über 80 Prozent der Finnen an. Doch noch während der Sendung schnellte die Zahl der Kirchenaustritte nach oben. Die Webseite eroakirkosta.fi verfügt über einen Ticker, der die aktuelle Zahl der Kirchenaustritte anzeigt. Normalerweise verzeichnet die Webseite, die den Austritt aus der Kirche per Web-Formular oder den Postweg erleichtern will, rund 140 Austritte pro Tag. In den vergangenen zehn Tagen traten 37.000 Finnen aus der Kirche aus, als Reaktion auf die Äußerungen der Kirchenvertreter in der Talksendung, Homosexualität sei eine Sünde. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2009 traten nur etwa 43.600 der fünf Millionen Finnen aus der Kirche aus. In diesem Jahr werden es nach dem derzeitigen Stand 80.000 Menschen sein.
Überrascht die Haltung der Kirche?
Die finnische Kirche sei homophob, und das sei ein Spiegelbild der sehr konservativen finnischen Gesellschaft, die in ihrer Haltung zu Schwulen und Lesben Jahrzehnte hinter der Entwicklung in Skandinavien zurückliege, meint Tanja Lehtoranta, Generalsekretärin von Seta, der nationalen Dachorganisation für sexuelle Gleichberechtigung, laut taz. Der für kirchliche Angelegenheiten zuständige Kultusminister Stefan Wallin kritisierte die Kirchenvertreter für ihre Äußerungen in der Talkshow und warf ihnen vor, "Kirchenmitglieder auszumustern", und es werde versucht, "Uhren zurückzustellen".
Erzbischof Kari Mäkinen erklärte, in der Sendung sei nicht die wahre Linie der Kirche zum Ausdruck gekommen. In einem Fernsehinterview distanzierte er sich von "jeglicher Diskriminierung". Die Kirche sei tolerant und offen für alle – egal welcher sexuellen Neigung. Daraufhin fragten verschiedene Medien, was denn eigentlich die "wahre Linie" der Kirche sei. May Wikström, Chefredakteurin der Kirchenzeitung "Kyrkpressen", schätzt den Verlust von Steuereinnahmen nur allein in der Woche nach der Talksendung auf etwa drei Millionen Euro. Die jetzige Massenflucht könne sich als Wasserscheide erweisen, die die Kirche zwinge, deutlicher Stellung zu beziehen. (pro)