Fernsehkritik: ARD-Reportage über Christen, Juden und Muslime

"Scharia statt Gesetz, Schöpfungsglaube statt Evolution": Es waren steile Gegensätze, und das gleich auf mehreren Ebenen, die die ARD-Autoren einer Reportage über Fundamentalisten aufgestellt haben. Es ging um Christen, Juden und Muslime, die scheinbar einiges eint. Was sie aber trennt, zeigten nur die Bilder, nicht die Kommentare.
Von PRO

„Fanatisch, fundamentalistisch, fromm“ sollen sie alle sein, einige Christen in den USA, jüdische Siedler im Westjordanland und Muslime im Jemen. Der Titel der Dokumentation von Korrespondenten des SWR, NDR und WDR, die am Mittwoch im Ersten ausgestrahlt wurde, konzentrierte sich auf derartige angebliche Gemeinsamkeiten von Gläubigen, die es nach Ansicht der Berichterstatter mit ihrer Religion allzu ernst nehmen. Fromm sind sie, die Christen, Juden und Muslime, die in der Reportage gezeigt wurden, und weil sie glauben, dass „Bibel, Torah und Koran von Gott kommen“, sind sie auch fanatisch und fundamentalistisch.

Christen auf Spurensuche im Grand Canyon

Beispiel USA. Korrespondent Thomas Berbner begleitet eine Gruppe von Christen, die den Grand Canyon besichtigen. Doch Touristen im eigentlichen Sinn sind sie nicht, es ist eine christliche Reisegruppe, „Kreationisten“, wie es heißt, die die 450 Kilometer lange Schlucht im US-Bundesstaat Arizona nach Spuren für die Sintflut absuchen. Ihr Reiseführer weist sie auf so einige Hinweise für den biblischen Bericht hin, die er in den steilen Felswänden des Nationalparks entdeckt haben will. „Seit Jahrzehnten stellen Christen in den USA die Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaft in Frage. Sie sehen hinter allem in der Welt das direkte Einwirken Gottes“, heißt es in der Reportage über die Gruppe im Grand Canyon. Für sie gelte „das Wort des Apostels Paulus in besonderer Weise: Der Glaube versetzt Berge“.

„Würden Sie sich als Fundamentalist bezeichnen?“

Doch damit nicht genug, die „Gefahr“ geht weiter. Denn „diese fundamentalistischen Christen können ihren Glauben und ihr Verständnis von der Welt direkt an ihre Kinder weitergeben“. Ist in den USA doch, anders als etwa in Deutschland, der Unterricht zu Hause „ausdrücklich erlaubt“. Homeschooling sei für viele dieser Christen nichts anderes als eine willkommene Möglichkeit, ihren Kindern beizubringen, dass es einen Schöpfer dieser Welt gibt. „Würden sie sich selbst als Fundamentalist bezeichnen?“, fragt der Filmautor eine Frau, die an der Expedition im Grand Canyon teilnimmt. „Ja“, antwortet diese, „wenn sie darunter verstehen, dass alle Christen, die an die Bibel als das Wort Gottes glauben, Fundamentalisten sind.“

Auf Expansionskurs: Siedler im Westjordanland

Es geht weiter ins Westjordanland, Israel-Korrespondent Uri Schneider besucht die Siedlerin Daniela Weiss. Sie ist „selbst erklärte Revolutionärin, Chefideologin und Urgestein der jüdischen Siedlerbewegung im palästinensischen Westjordanland“ und lebt in einer illegalen jüdischen Siedlung. Gemeinsam mit Gleichgesinnten gründet Daniela Weiss eine Siedlung nach der anderen, wohl wissend, dass sie damit Gesetze des Staates Israel missachtet. Ihr sind die Verheißungen aus der Torah wichtiger, sagt sie. Dort stehe geschrieben, dass Israel auch das Land gehöre, auf dem sich die Palästinenser ausbreiten. Also setzt die Siedlerin alles daran, diese Verheißungen in die Tat umzusetzen. „Israelische Soldaten schauen den Siedlern zu, sie schreiten nicht ein, während sie Häuser bauen und das Land besetzen“, heißt es zu den Bildern.

Unterstützung erhalten die Siedler, so heißt es in der Reportage weiter, von Evangelikalen aus den USA, allen voran von Pastor John Hagee, Leiter der Cornerstone Church im US-Bundesstaat Texas. 18.000 Mitglieder hat die Gemeinde. Vor dem Gemeindehaus steht eine Nachbildung der Klagemauer, auch hier stecken kleine Zettel mit Gebeten zwischen den Steinen. Hagee sagt auf einer Konferenz: „Wir unterstützen Israel, wir stehen kurz vor der Schlacht von Armageddon, dann wird der Messias kommen“. Auch der israelische Botschafter in den USA sagt ein Grußwort und dankt den Christen für ihr Geleit. „Achmadinedschad ist der neue Hitler“, ruft Hagee den Besuchern in seinem Gemeindehaus zu. Und der Reporter warnt: „Die fundamentalistischen Christen fordern nichts anderes als die Errichtung eines Gottesstaates. Sie sehen sich kurz vor dem Ziel: der letzten Schlacht vor dem Kommen des Messias.“

„Wenn die Politik am Ende ist, kommt der Dschihad“

Nach den Christen und Juden sind dann die Muslime dran, Patrick Leclercq hat den Jemen bereist und mit einigen Islamisten gesprochen. „Im jemenitischen Tal der Tränen kämpft ein Scheich als politisches und religiöses Oberhaupt seines Dorfes um den Erhalt seiner Lebenswelt in Zeiten der Globalisierung“, heißt es. Und wie sieht sein Kampf aus? Bilder einer öffentlichen Auspeitschung werden gezeigt, Frauen gehen ganz verschleiert durch die Straßen, das ist für den Scheich eine Selbstverständlichkeit. Er entscheide auch, welches Mädchen welchen Mann heiratet, auch das hält er für normal. Zumindest gemessen an dem, was er im Koran liest. Natürlich dürfen Frauen auch an traditionellen Zeremonien nicht teilnehmen. Und offen gibt er zu: „Wenn die Politik am Ende ist, kommt der Dschihad, der bewaffnete Kampf gegen die Besatzung.“

Fundamental verschieden

Gefährlich oder fanatisch sind die Christen nicht, die sich im Grand Canyon auf Spurensuche nach Belegen für die Schöpfung und Sintflut begeben haben. Sie predigen keinen Dschihad, keinen Kampf und keine Gewalt. Fragwürdig hingegen sind Siedlerbewegungen, die meinen, mit allen Mitteln ihre Ziele unmittelbar umsetzen zu müssen und dabei Gesetz und Recht – zumindest in Teilen – ignorieren. Eine Missachtung der Menschenrechte oder das Propagieren von Gewalt jedoch ist eine Gefahr, die zu mehr führt als purem Fanatismus.

„Früher galten Fundamentalisten als Schwärmer, heute ist Fundamentalismus ein politischer Kampfbegriff“, heißt es am Ende der Reportage. Und weiter: „Als am 11. September 2001 zwei Flugzeuge in die Türme des World Trade Centers rasten und ein drittes ins Pentagon, starben mehr als 3.000 Menschen. Seit 11/9 ist die Wahrnehmung der Weltöffentlichkeit für religiös motivierte Gewalt geschärft.“

„Geschärft“ sollte auch das Verständnis von Unterschieden zwischen Christen und Islamisten sein, könnte man erwarten. In eine Reportagesammlung unter dem Titel „Fanatisch, fundamentalistisch, fromm“ gehören sie jedenfalls nicht gemeinsam, dazu sind die Auswirkungen der Glaubensauffassungen zu fundamental verschieden.

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