Fernsehen ist für Kinder emotional anstrengend

Vor einem knappen Jahr startete der Kika sein TV-Angebot für Vorschulkinder. Jeden Vormittag sendet "Kikaninchen" dreieinhalb Stunden Kinderprogramm. Pro sprach mit der Medienwissenschaftlerin Maya Götz darüber, wie viel Fernsehen gut für Kinder ist und was sie aus Kindersendungen lernen können.
Von PRO

Frau Götz, Sie sind für die wissenschaftliche Begleitung von Kikaninchen zuständig. Wie sieht Ihre Aufgabe konkret aus?

Bevor Kikaninchen startete, haben wir bereits drei Jahre an der Grundkonzeption gearbeitet. Dabei haben wir versucht,  Erkenntnisse aus der Vorschulpädagogik, Psychologie und Medienforschung umzusetzen. Außerdem begleiten wir die Redaktion. Wie können wir Einheiten für Kinder so gestalten, dass sie attraktiv sind und Kinder etwas daraus gewinnen?

Die Zielgruppe von Kikaninchen sind Vorschulkinder zwischen 3 und 6 Jahren. Diese sind vormittags im Kindergarten. Sitzen um diese Zeit nicht eher jüngere Kinder vor dem TV?

Durch eine repräsentative Elternbefragung wissen wir, dass mindestens 60 Prozent der 2- bis 3-Jährigen in Deutschland fernsehen. Bei den Drei- bis Sechsjährigen sind es 95 Prozent.

Kikaninchen bietet jeden Vormittag dreieinhalb Stunden Kinderprogramm. Sehen Sie da nicht die Gefahr, dass Kinder viel zu lange "vor der Glotze geparkt" werden?

Vorschulkinder brauchen beim Fernsehen die Unterstützung der Erwachsenen, die ihnen helfen, mit der Faszination Fernsehen umzugehen. Sobald ein Kind das Fernsehen entdeckt, sollten Eltern mit der Medienerziehung beginnen. Das bedeutet, eine Sendung gezielt einzuschalten und danach auszuschalten. Das Kikaninchen, das zwischen den Sendungen kommt, bietet dazu Hilfestellung. Eltern können beispielsweise mit dem Kind vereinbaren, dass nach dem zweiten Kikaninchen ausgeschaltet wird.

Das hört sich in der Theorie gut an, aber wie sieht die Praxis aus? Setzen sich Eltern wirklich vormittags mit dem Kind vor den Fernseher?

Stimmt, Kinder sitzen viel alleine vor dem Fernseher, besonders tagsüber. Gegen Abend schauen Familien eher gemeinsam fern. Die Alternative wäre, das Kinderfernsehen den privaten Sendern zu überlassen. Dort trifft ein Kind auf manche fragwürdige Inhalte und wird immer auch mit Werbung konfrontiert. Es ist der Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen, den Kindern Qualität anzubieten. Wenn vormittags keine Zeit ist, kann man das Programm ja aufzeichnen und ansehen, wenn es im Alltag passt.

Ist denn der Vormittag überhaupt eine gute Zeit um fernzusehen? Viele Kinder reagieren auf Fernsehen ja mit Unruhe oder werden zappelig.

Fernsehen ist für Vorschulkinder emotional anstrengend. Sie gehen mit der ganzen Aufmerksamkeit mit, sie haben Angst, sind angespannt, fiebern mit. Wenn Kinder nach dem Fernsehen knatschig und schlecht gelaunt sind, ist dies ein deutliches Signal dafür, dass sie zu lange oder das Falsche angeschaut haben. Eigentlich ist es nicht gut, vor dem Kindergarten oder der Schule fernzusehen. Das passt besser in den Nachmittag oder frühen Abend. Die Realität sieht so aus, dass viele Familien  morgens den Fernseher schon einsetzen, um Kinder ruhig zu stellen. Das ist nicht der Idealfall.

Viele Kinder weinen, wenn der Fernseher aus ist. Wie sollten Eltern darauf reagieren?

Dass sie enttäuscht sind, wenn der Fernseher ausgeschaltet wird, ist normal. Da ist es wichtig, Nein zu sagen und etwas anderes anzubieten. Kinder müssen lernen auszuschalten.

Kann Kinderfernsehen denn auch fördern?

Man kann Kinder durch einen guten Aufbau der Geschichten aktivieren und die Phantasie anregen durch Freiräume innerhalb der Gestaltung. Da ist eine Gießkanne mal ein Zug oder ein Ball kann ein Drachenei sein. Oder die Gesichter mancher Figuren sind nicht ausgestaltet. Durch Mitmachimpulse werden die Kinder zum Mitmachen und Bewegen aufgefordert. Bestimmte Bewegungen fördern das Rhythmusgefühl und die Koordination.

Kinder lernen aber durch das Fernsehen nicht sprechen. Kann Fernsehen den Wortschatz erweitern?

Kinder lernen sprechen durch die Interaktion, durch direkte Ansprache. Wenn ich Fernsehen entsprechend anlege, kann ich Spracherwerb aber fördern. Wir versuchen beispielsweise den Erwerb der deutschen Sprache bei Kindern mit Migrationshintergrund durch gezielte Maßnahmen zu fördern, weil wir wissen, dass viele von ihnen viel Zeit vor dem Fernseher verbringen. Übrigens auch deren Mütter.

Wie sieht das praktisch aus?

Vor allem durch Wiederholungen von Worten und gleichzeitiges Zeigen des Gegenstandes. In Studien haben wir herausgefunden, dass Kinder dadurch Wortbedeutungen und auch Sprachrhythmus lernen. Wir haben einen großen Anteil an Kindern, die nicht Deutsch als Muttersprache sprechen. Diese Kinder schauen gerne deutsches Fernsehen, sie sind wissbegierig. Dadurch, dass wir Wörter mit bestimmten Bewegungen verknüpfen, lassen sich diese besser merken – es werden im Gehirn bestimmte Verknüpfungen gesetzt.

Kikaninchen bietet auch ein Internetportal für Vorschulkinder an. Ist das wirklich nötig?

Wenn Eltern Vorschulkinder mit dem Internet vertraut machen wollen, sollte das auf einem eigenen geschützten Portal passieren. Wir wollen sie vor ungeeigneten Inhalten bewahren. Dafür bieten wir  kindgerechte Inhalte und auch eine einfache Handhabung an. Das Wichtigste sind auch hier klare Absprachen. Dafür gibt es auf der Seite eine Uhr, die Eltern einstellen können. Meine fünfjährige Tochter darf zum Beispiel am Tag zehn Minuten bei Kikaninchen.de spielen. Danach ist Schluss. Das akzeptiert sie. Eltern tun sich einen großen Gefallen, wenn sie früh mit der Medienerziehung anfangen. Wenn ein Kind von Anfang an gewöhnt ist, den Umgang mit Medien zu begrenzen, wird ihm dies später auch leichter fallen.

Vielen Dank für das Gespräch! 

Maya Götz leitet das Internationale Institut für Jugend- und Bildungsfernsehen in München. Sie ist verantwortlich für die wissenschaftliche Begleitung von Kikaninchen. (pro)

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