Fast 40 Prozent mehr Austritte aus der katholischen Kirche

Die Missbrauchsaffäre in der katholischen Kirche hat im vergangenen Jahr zu einem Anstieg der Kirchenaustritte um fast 40 Prozent geführt. Nach Recherchen der "Zeit"-Beilage "Christ & Welt" haben im vergangenen Jahr rund 180.000 Katholiken ihre Kirche verlassen.
Von PRO

Damit traten 2010 etwa 50.000 mehr Menschen aus als im Jahr 2009. Damals lag die Zahl bei 128.800. Die Daten für 2010 beruhen auf einer Umfrage unter den 27 deutschen Bistümern, von denen 24 endgültige Zahlen nannten oder Schätzungen abgaben. Die drei Diözesen Freiburg, Hildesheim und Limburg machten keine Angaben.

Damit könnten erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik mehr Katholiken als Protestanten aus der Kirche ausgetreten sein. Nach Schätzungen der Evangelischen Kirche Deutschlands werden die protestantischen Kirchenaustritte 2010 leicht unter 150.000 liegen.

"Der Anstieg der Kirchenaustritte im Jahr 2010 steht auch für einen Vertrauensverlust, den die Kirche besonders durch die Missbrauchsfälle erlitten hat", sagte der Kölner Generalvikar Dominik Schwaderlapp in "Christ & Welt". "Das ist schmerzlich für uns, weil offenbar viele Menschen den Kirchenaustritt als ihre persönliche Form des Protests und der Abscheu vor diesem Skandal gewählt haben."

In Deutschlands größtem Erzbistum Köln verließen im vergangenen Jahr 15.163 Katholiken ihre Kirche. Dies entspricht einem Anstieg von 41 Prozent gegenüber 2009. In den bayerischen Bistümern Eichstätt, Augsburg, Bamberg, Würzburg und Passau schnellten die Austrittszahlen um bis zu 70 Prozent hoch. Auch die Bistümer Trier und Rottenburg-Stuttgart mussten überdurchschnittlich viele Austritte mit Zuwachsraten über 60 Prozent verkraften.

"Es ist schlimm!", kommentiert Benno Wagner, stellvertretender Geschäftsführer des Verbands der Diözesen Deutschlands (VDD), die Zahlen. Unter den Ausgetretenen befinden sich nach Ansicht von Experten auch zahlreiche engagierte Gläubige. "Es gehen viele, die sich um ihre Kirche ernsthaft Sorgen machen und ehrlich an ihr verzweifeln", meint Michael Ebertz, Professor für kirchliche Sozialarbeit an der Katholischen Hochschule in Freiburg, gegenüber "Christ & Welt". Der Freiburger Bistumssprecher Robert Eberle spricht von einem "Vorzieheffekt": "Viele wollten in dem Jahr so oder so austreten und haben sich angesichts der Umstände dann entschieden, es sofort zu tun."

Thomas von Mitschke, langjährigers Mitglied der höchsten Führungsebene der Beratungsorganisation McKinsey, sagte im Interview mit "Christ & Welt": "Die Austritte sagen: Die katholische Kirche hat kein Austritts-, sondern vor allem ein Auftrittsproblem." Er hält die katholische Kirche jedoch für "beratungs- und auch reformfähig". Mitschke: "Die Zeit des unreflektierten Gehorsamsglaubens ist vorbei. Wir haben es mit mündigen Christen zu tun, die ernst genommen werden wollen." (dpa/pro)

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