Die Publizistin Birgit Kelle hat bei einer Veranstaltung der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) gefordert, Familien mit Kindern steuerlich zu entlasten. Auch „Regenbogenfamilien“ nahm sie davon nicht aus. Für bpb-Chef Thomas Krüger hatte der Abend einige Überraschungen parat.
Von PRO
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Birgit Kelle gilt als erzkonservativ in Familienfragen. Dennoch erntete sie am Montag bei der Bundeszentrale für politische Bildung Beifall
Am Montagabend lief bei der Bundeszentrale für politische Bildung so einiges anders, als es sich Gastgeber Thomas Krüger wohl im Vorfeld gedacht hatte. Geplant war eine Debatte zur Familienpolitik. Über Kitas, berufstätige Mütter und schwul-lesbische Eltern sollte diskutiert werden – und zwar mit der Buchautorin Birgit Kelle („Dann mach doch die Bluse zu!“), der SPD-Staatssekretärin für Familie im Berliner Senat, Sigrid Klebba, der Leiterin eines Regenbogenfamilienzentrums, Constanze Körner, und dem Wirtschaftswissenschaftler Christian Schmitt.
Krüger betonte gleich zu Beginn, die Bundeszentrale habe bewusst kontroverse Gäste eingeladen. Dass damit vornehmlich Birgit Kelle gemeint war, wurde klar, als der bpb-Leiter gleich darauf erklärte: Wer in pluralen demokratischen Gesellschaften noch Normative in Sachen Familie vorzugeben versuche, bewege sich auf dünnem Eis. Schon vor der Veranstaltung hatte es im Internet vereinzelt Protest gegen die Einladung der Katholikin und Feminismus-Kritikerin gegeben, Kelle wurde als homophob und rückständig bezeichnet. Das passe nicht zur Weltoffenheit der Bundeszentrale für politische Bildung, so die Meinung einzelner Blogger.
Bevor Kelle aber überhaupt zu Wort kam, lieferte Wissenschaftler Schmitt Zahlen zur Debatte: Jede vierte Akademikerin bleibe heute kinderlos. In Westdeutschland lebten ein Drittel der Familien mit einem männlichen Ernährer, die Frau bleibe in der Bundesrepublik damit im europäischen Vergleich überdurchschnittlich oft zur Kindererziehung zu Hause. Allerdings reiche ein Gehalt heute in Deutschland kaum aus, um eine Familie zu ernähren. Daher habe der Staat ein Interesse daran, Frauen in die Erwerbsarbeit zu führen. „Das hat nichts damit zu tun, dass Familienarbeit abgewertet wird“, sagte er. Die klassische Familie – Vater und Mutter, verheiratet, plus Kind – sei auf dem Rückzug. Die Partnerschaft ohne Trauschein löse die Ehe ab, Beziehungen würden heute pluraler gelebt.
Bin ich denn kein Leistungsträger?
Das begrüßte Körner, die selbst mit einer Frau zusammenlebt und mit ihrer Partnerin fünf Kinder großzieht. Wichtig sei es, „dass Kinder auch sehen, dass es andere Eltern gibt“, erklärte sie und kritisierte eine mangelnde Gleichberechtigung von Regenbogenfamilien. Kinder müssten in allen Lebensmodellen gleichartig abgesichert sein. Zudem stellte sie die These auf, in gleichgeschlechtlichen Beziehungen gehe es demokratischer zu als in heterosexuellen, weil die Rollen der Partner ohnehin egalitär verteilt seien. Dass die Erziehung von Kindern in Kitas staatlicher Förderung bedürfe, damit Mütter möglichst schnell wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden können, ist für sie selbstverständlich. Schließlich habe die Bundesrepublik ein Interesse daran, Leistungsträger zu unterstützen.
„Bin ich denn kein Leistungsträger?“, entfuhr es da Kelle, die mit ihrem Ehemann vier gemeinsame Kinder hat. Die Perspektive, dass das Großziehen von Kindern für Frauen ein Nachteil sei, dominiere die Medien, so ihre Kritik. Für Kelle ist auch die politische Debatte um Familienpolitik „ideologisch angehaucht“. Immer sei davon die Rede, dass Kitas gefördert würden, um Frauen Wahlfreiheit zu garantieren. „Geben Sie Familien doch eine Summe X und lassen Sie sie entscheiden, ob sie ihr Kind damit in eine Kita schicken oder zu Hause betreuen wollen – das ist dann Wahlfreiheit!“, erklärte Kelle. Familien sollten außerdem steuerlich bevorteilt werden, etwa durch ein sogenanntes Familiensplitting, das die Anzahl der Kinder im Haushalt berücksichtig. Das Ehegattensplitting hingegen habe sich „überlebt“. Steuervorteile schloss sie auch für schwul-lesbische Paare mit Kindern nicht aus. Am Ende müsse zählen, wie viele Kinder ein Paar großziehe und nicht, ob es verheiratet sei, denn: „Kinderreichtum bedeutet heute ein Armutsrisiko.“
Bildungsziel nicht erreicht
Worte wie diese hatten wohl weder die bpb noch viele Zuschauer von Kelle erwartet, die andernorts schon scharfe Kritik am Christopher Street Day geübt hat und immer wieder betont, dass Kinder einen Vater und eine Mutter bräuchten, um gut aufzuwachsen. Ebensowenig war damit zu rechnen, dass Kelle die Debatte über weite Strecken dominierte und immer wieder Zwischenapplaus aus dem Publikum erhielt. Lediglich die Berliner Politikerin Klebba bot Kelle zeitweise die Stirn, als sie betonte, sie sehe die Kita grundsätzlich „als etwas Gutes“. In Anbetracht häufig prekärer Familienverhältnisse in Berlin fördere der Kontakt zu anderen Kindern eine gesunde Sozialisation. Kinderbetreuung erfülle somit einen Bildungsauftrag. Kelle konterte mit der Forderung nach mehr Personal in Kindertagestätten. Derzeit sei es normal, dass eine Erzieherin sich um rund sieben Kleinkinder zugleich kümmern müsse. Kelle: „Mit diesem Betreuungsschlüssel bekommen Sie keine Bildung hin.“
So ging der Streit um die Familie bei der Bundeszentrale anders aus als erwartet. Zwar war Thomas Krüger am Ende schon gegangen, musste sich aber in Abwesenheit die Frage aus dem Publikum gefallen lassen, ob er denn aufgrund seines Anfangsstatements ein bestimmtes Bildungsziel für die Veranstaltung angesetzt habe. Sollte dem tatsächlich so gewesen sein, ist mit Sicherheit zu sagen: Er hat es – zumindest am Montagabend – nicht erreicht. (pro)
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