„Die Menschen können nicht anders, als im Leben an etwas Unantastbares und Unangreifbares zu glauben, um den Halt und Sinn des Lebens nicht zu verlieren“, sagt Horst Opaschowski, der Leiter einer Studie der Stiftung für Zukunftsfragen „British American Tobacco“ (BAT). Er fand heraus, dass die Deutschen ohne ein Gefühl der Geborgenheit nicht leben können, dieses aber nicht in der Religion, sondern vor allem in der Familie suchen.
Die Ergebnisse der Erhebung unter 1.000 Personen über 14 Jahren bestätigen dies. Auf die Frage: „Was ist Ihnen heilig?“ antworteten nur 18 Prozent mit „Glaube an Gott“, nur zehn Prozent mit „Kirche“. Die Familie hingegen war 71 Prozent so wichtig, dass sie sie als heilig bezeichnen würden, gleich gefolgt von Gesundheit, Kindern, dem Partner, Freunden und den Eltern. Einen mittleren Platz nahmen die Werte „Achtung vor der Menschenwürde“ (36 Prozent), „Gerechtigkeitsgefühl“ (34 Prozent) und „Versprechen“ (31 Prozent) ein. Auch Treue, Ehrfurcht vor der Natur und Toleranz wurden von den Befragten höher bewertet als religiöse Momente.
Deutschland ist europäisches Schlusslicht
Diese Einstellungen spiegeln sich auch im europäischen Vergleich wider. Für knapp ein Viertel der Deutschen ist die Religion ein wichtiger Teil der Lebensqualität. Damit liegt Deutschland bei den in der Studie berücksichtigten europäischen Ländern an letzter Stelle. In Italien etwa bezeichnen 48 Prozent der Bürger Religion als „wichtig im Leben“, um „glücklich und zufrieden“ zu sein. Auch Finnland, Großbritannien oder Russland liegen weit vor der BRD.
Religion, so gibt die Studie an, sei etwas ganz Persönliches geworden. So ist den Deutschen offenbar wichtig, dass jeder die Religion ausüben können soll, die er will. Das gaben 93 Prozent der Bevölkerung an. „Aus einer kirchlich institutionalisierten wird eher eine individuell privatisierte Sinngebung des Lebens“, schließt Opaschowski. Die Familie habe dabei etwas Unantastbares. „Statt Wiederkehr der Religion heißt es eher Renaissance der Familie“, sagt der Wissenschaftler und bezeichnet selbige als „neue Glaubensgemeinschaft der Deutschen“.
Westdeutsche legen mehr Wert auf Religion
Fast dreimal so viele Westdeutsche wie Ostdeutsche bezeichnen ihren Glauben an Gott als heilig, fast doppelt so viele ihr Bekenntnis zur Kirche. 10,9 Prozent der Westdeutschen geben an zu beten, doppelt so viele Menschen wie in den neuen Bundesländern. „Die Ostdeutschen leben mehr in einer Werte- als in einer Glaubensgemeinschaft: Versprechen und Verlässlichkeit haben für sie eine größere Bedeutung als bei den Westdeutschen. Auch ihr zum Ausdruck gebrachtes Gerechtigkeitsgefühl ist ausgeprägter“, erklärt Opaschowski. Die „gläubigsten“ Deutschen leben laut Umfrage in Baden-Württemberg (29 Prozent), gefolgt von Rheinland-Pfalz (27 Prozent) und dem Saarland (26,3 Prozent). In Hessen bezeichnen sich 25,5 Prozent der Bürger als gläubig, in Bayern 23,5 Prozent. Den geringsten Anteil von Gottesgläubigen verzeichnen hingegen die Bundesländer Schleswig-Holstein mit 4,3 Prozent, Mecklenburg-Vorpommern mit 4 Prozent und Sachsen-Anhalt mit 1,6 Prozent.
Die Befragung zeigt auch, dass hochreligiöse Menschen in besonderem Maße von der Ehrfurcht vor dem Leben und der Natur und der Achtung vor der Menschenwürde geprägt sind. Wer hingegen gott- und religionslos lebt, so die Studie, lege deutlich weniger Wert auf Natur und Menschenwürde, Verlässlichkeit und Toleranz. Diese Werte, so Opaschowski, seien aber der soziale Kitt, der unsere Gesellschaft in Zukunft zusammenhalte. „Es muss daher ein fundamentales Interesse von Gesellschaft und Politik sein, dass Religion auch im traditionellen Sinne weiter gepflegt und im Alltag gelebt wird, damit die Humanität nicht verkümmert oder stirbt“, schließt er. Ohne Religion seien Kultur und sozialer Zusammenhalt einer Gesellschaft auf Dauer gefährdet. (PRO)