„Facebook muss den Rammbock des Rechtsstaats spüren“

Mit Meinungsfreiheit im Internet und der Zukunft der Medien setzten sich Redner und Diskussionsteilnehmer am Mittwoch beim 4. Evangelischen Medienkongress in Hamburg auseinander. Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen forderte ein stärkeres Bewusstsein des Einzelnen über die Folgen seiner Äußerungen im Netz.
Von PRO
Kirchenpräsident der EKHN, Volker Jung, und Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen sprachen beim Evangelischen Medienkongress in Hamburg über die Zukunft der Medien und die Reformation als Medienereignis

„Die klassischen Gatekeeper werden schwächer“, sagte Bernhard Pörksen, Medienwissenschaftler der Universität Tübingen in seinem Vortrag „Die Zukunft der Medien. Von der digitalen zur redaktionellen Gesellschaft“ beim 4. Evangelischen Medienkongress in Hamburg. Durch das Internet und die „blitzschnelle“ Vernetzung sei heute fast jeder zum Sender für Informationen geworden. Daraus folge ein neuer Umgang mit medialen Inhalten. Die institutionellen Medien, die lange Zeit als „Torwächter“ (Gatekeeper) aller wichtigen Informationen galten, müssten mit einem Bedeutungswandel leben.
Heute gebe es überall im Internet und in den sozialen Medien Informations-Macher, Enthüller und Gerüchte-Streuer. Ihr Werkzeug ist häufig das Smartphone. Trotz seiner Vorteile sei es dafür verantwortlich, dass „die Welt des Öffentlichen und die des Privaten verschmelzen“. Außerdem gebe es eine „Allgegenwart von Beobachtet werden und Beobachten“. Das Durchdringen der Gesellschaft von weltweiten Netzwerken führe zudem zu neuen Gemeinschaften. „Menschen können sich blitzschnell miteinander vernetzen“, sagte Pörksen. Das könne auch negative Auswirkungen haben, wenn sich zum Beispiel Regierungsgegner oder aggressive Kritiker der Flüchtlingspolitik miteinander verbündeten.

„Luther hätte Facebook genutzt“

Die neue Art der Vernetzung habe außerdem zur Folge, dass es eine „gigantische Sammlung von auslesbaren Daten“ und neue Verbreitungsdynamiken gebe, die „unserer Kontrolle entzogen sind“. Der Einzelne wisse nicht mehr, wie seine Informationen verbreitet würden und wer darüber verfüge. Pörksen forderte deshalb „eine Art Bühnenbewusstsein für die Weltbühne des Netzes“. Jeder müsse sich bewusst sein, welche öffentlichen Effekte auf seine Handlungen im Netz folgten und sich die Frage stellen, die sich in der Vergangenheit nur Journalisten stellen mussten: „Was sind relevante Beträge, die reif zur Veröffentlichung sind?“ Pörksen formulierte in Anlehnung an ein Zitat des Philosophen Immanuel Kant: „Handle stets so, dass dir die öffentlichen Effekte deines Handelns langfristig vertretbar scheinen.“ Er hoffe, „dass sich aus der digitalen Gesellschaft eine redaktionelle Gesellschaft“entwickele, so der Medienwissenschaftler.
Der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), Volker Jung, erklärte, warum die Reformation vor 500 Jahren ein echtes Medienereignis gewesen sei. Durch Flugschriften und Flugblätter sei die reformatorische Botschaft im Volk verbreitet worden. Da zu Martin Luthers Zeiten nur etwa zehn Prozent der Bevölkerung lesen konnten, seien diese Inhalte anschließend „face-to-face“ weiter verbreitet worden und hätten dadurch eine große Popularität erreicht. Die Botschaft der Reformatoren habe zudem in die Lebenswelt der Menschen hineingesprochen. Durch seine Lehre von der Gerechtwerdung des Menschen vor Gott „allein durch Gnade“ habe Luther den Menschen religiöse Ängste genommen. Die Gottesbegegnung werde bei ihm zudem als direkte Kommunikation zwischen Mensch und Gott verstanden. Diese Kommunikation habe den Menschen Freiheit zur Lebensgestaltung gegeben. Würde Luther heute leben, „hätte er bestimmt Facebook und WhatsApp genutzt“, sagte der Kirchenpräsident: Denn Luther sei ein „großer Kommunikator“ gewesen. Das zeigten zum Beispiel Tischgespräche in dessen Haus, die von seinen Studenten aufgeschrieben und in kleinen Botschaften verbreitet wurden – ähnlich wie heute bei Twitter.

Göring-Eckhardt: „Die Zeit der freundlichen Ansprache ist vorbei“

Eine Podiumsdiskussion unter Leitung von Jörg Bollmann, Chef des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik (GEP), setzte sich unter dem Thema „Meinungsfreiheit oder Verrohung“ mit Hassbotschaften im Internet und Wutbürgertum auseinander. „Ich sitze manchmal zu Hause und schüttele mich“, sagte die ZDF-Moderatorin Dunja Hayali über Hassnachrichten, die sie zum Beispiel durch die sozialen Medien erreichten. „Warum greift die Polizei nicht ein, wenn bei Demonstrationen wie in Dresden öffentlich zur Tötung von Frau Merkel aufgerufen wird?“, fragte Christian Schertz, Rechtsanwalt für Medienrecht, in Bezug auf die Vorfälle am Tag der Einheitsfeier dieses Jahr in der sächsischen Hauptstadt. Opfern von Hasspostings empfehle er, Strafanzeige zu stellen: „Man muss sich mit den Mitteln des Rechtsstaates wehren.“ Wenn der Wutbürger glaube, er dürfe solche Äußerungen ohne Konsequenzen machen, helfe das nicht. „Wir haben alle Gesetze, die wir brauchen“, sagte er. Sie müssten nur angewendet werden.
Die Stellvertretende Regierungssprecherin, Ulrike Demmer, bestätigte das. Alle Mittel des Rechtsstaates müssten genutzt werden, um gegen Hassbotschaften vorzugehen. Auch gegenüber Unternehmen wie Facebook dürften die Politiker nicht einknicken. „Dass Facebook glaubt, es kann sich mit seinen Geschäftsbedingungen aus der deutschen Rechtsstaatlichkeit herausziehen, weil es ein amerikanisches Unternehmen ist, das geht gar nicht“, sagte Demmer. In den USA sei alles „transparent und erlaubt“, sagte Schertz. Amerikanischen Großkonzernen wie Facebook habe man viel zu lange die Regeln eines Rechtsstaates verschwiegen. „Facebook muss auch den Rammbock des Rechtsstaats spüren und merken, dass das Individuum bei uns geschützt ist.“ Die Grünen-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Katrin Göring-Eckhardt, forderte verstärktes Handeln von der Politik beim Thema Hassbotschaften via Facebook. „Die Zeit der freundlichen Ansprache ist jetzt vorbei“, sagte sie. (pro)EKD zeichnet Medienproduktionen aus (pro)
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