Expertenanhörung: Kinderärzte warnen vor Beschneidung

Die Bundesregierung und der Bundestag wollen religiös motivierte Beschneidungen unter bestimmten Bedingungen erlauben. Weil das Parlament nach der ersten Lesung des Gesetzesvorhabens noch Beratungsbedarf sah, war das Thema am Montag Gegenstand der Beratungen im Rechtausschuss. Die dort angehörten Experten vertraten keine einheitliche Meinung.
Von PRO

Heftige Bedenken gegen die Praxis der Beschneidung äußerte der Verband der Kinderärzte. Deren Präsident Wolfram Hartmann warnte laut "Frankfurter Rundschau" (FR), dass es bei Beschneidungen weitaus mehr unangenehme Folgen und Komplikationen gebe als allgemein vermutet. Die männliche Vorhaut erfülle wichtige medizinische Funktionen und diene dem Schutz der sehr empfindlichen Eichel.

Jahrtausende alte Riten hinterfragen

Hartmann legte dem Ausschuss Zahlen aus einer Umfrage vor, an der sich in den letzten zwei Monaten 458 Kinderarztpraxen beteiligt haben. Bei 1.858 Patientenbesuchen habe es Komplikationen aufgrund von Beschneidungen gegeben. Bei der überwiegenden Mehrheit der Jungen habe eine Arzt die Beschneidung durchgeführt: "Es muss uns als Anwälten für das Kindeswohl erlaubt sein, Jahrtausende alte religiöse Riten und Gebräuche, die die körperliche Unversehrtheit eines minderjährigen und nicht einwilligungsfähigen Kindes dauerhaft beeinträchtigen, aufgrund neuer Erkenntnisse im 21. Jahrhundert zu hinterfragen", zitiert die Zeitung Hartmann.

Die Ärzte des jüdischen Krankenhauses in Berlin verwiesen hingegen darauf, dass bei 1.531 Beschneidungen zwischen 2003 und 2012 insgesamt nur eine einzige schwere Komplikation mit Nachblutung beobachtet worden sei. Uneinheitlich war die Meinung des Rechtsausschusses auch unter den anwesenden Juristen. Ein Teil der Strafrechtsexperten sah den Gesetzentwurf als unproblematisch an. Es sei richtig, den Eltern die Verantwortung darüber zu lassen, ob ihre männlichen Kinder beschnitten werden sollen oder nicht. Andere Juristen hielten eine solche Erweiterung des Sorgerecht der Eltern dagegen für unzulässig.

Körperliche und seelische Unversehrtheit des Kindes

Nach jüdischer Tradition werden Jungen am achten Tag nach der Geburt beschnitten. Durch das Ritual wird das Kind in den Bund zwischen Gott und Israel aufgenommen. Die Beschneidung wird von einem Mohel vorgenommen, der medizinisch und religiös geeignet sein muss. Bei Zweifeln an der Gesundheit des Kindes kann die Beschneidung verschoben werden. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hatte einen Gesetzentwurf eingebracht der die Beschneidung männlicher Kinder aus nicht-medizinischen Gründen unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt.

Zur Debatte im Bundestag stand ferner ein alternativer Gesetzentwurf von 66 Abgeordneten der drei Oppositionsfraktionen SPD, Grüne und Die Linke, der eine Beschneidung erst ab 14 Jahren erlaubt. Er hebt vor allem auf die körperliche und seelische Unversehrtheit des Kindes ab. Ein Änderungsantrag, den die SPD-Rechtspolitiker Burkhard Lischka und Christine Lambrecht initiiert haben, soll die medizinischen Fragen genauer klären. Sie verlangen, dass das erforderliche Beratungsgespräch mit den Eltern vor dem Eingriff in jedem Fall von Ärzten geführt wird. Die Anforderungen an die Beschneider sowie an die jeweilige Betäubung sollen bundeseinheitlich geregelt werden. In Kürze wird das Gesetz dann zur 2. Lesung in den Bundestag eingebracht. Nach der dritten Lesung steht endgültig fest, wie es mit diesem heiklen Thema weitergeht. (pro)

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