Die Thüringerin wurde auf Wunsch der Großmutter kirchlich getauft, wuchs jedoch in einem atheistischen Umfeld auf. Als Teenager erwachte ihre Neugier an der Kirche, weil „Kirche in der DDR vollkommen verteufelt wurde“. 1983 ließ sich Lengsfeld als Erwachsene konfirmieren. Ihr Vater war Stasi-Offizier. Die Familie lebte in Berlin. „Für meine Eltern war es sehr schwer. Als ich Protest gegen das Regime äußerte, fragten sie sich: ‚Was haben wir denn falsch gemacht?‘ Sie waren der Meinung, die DDR sei die einzig richtige Antwort auf das Dritte Reich.“
Anhand der Stasi-Akten fand sie nach dem Mauerfall heraus, dass ihr Vater unter Druck gesetzt worden war und unterschreiben musste, den Kontakt zu seiner Tochter abzubrechen. Der Vater weigerte sich, wurde als Stasi-Offizier frühverrentet und musste die Wohnung wechseln. „Meine Eltern haben mir davon nie erzählt. Ihre Liebe zur mir war größer als die Liebe zum Staat und zum System“, berichtete Lengsfeld.
Engagement für Frieden kostete Beruf
Lengsfeld studierte nach dem Abitur Geschichte der Arbeiterbewegung und Philosophie in Leipzig und Berlin und arbeitete anschließend an der Akademie der Wissenschaften. Anfang der 80er Jahre engagierte sie sich in verschiedenen Oppositionsgruppen. Sie gehörte zu den Mitbegründern des Friedenskreises Pankow. Der eigenständig arbeitende, aber innerhalb der Evangelischen Kirche organisierte Arbeitskreis thematisierte Friedenspolitik, Abrüstung, Friedenserziehung und Umweltschutz in der DDR.
Wegen der Mitarbeit beim Friedenskreis Pankow erhielt sie in der DDR Berufsverbot. Im Januar 1988 wurde Lengsfeld wegen „versuchter Zusammenrottung“ am Rande einer Demonstration verhaftet. Sie hatte auf einem Transparent freie Meinungsäußerung für alle gefordert. Sie wurde zu sechs Monaten Haft verurteilt. Wegen der Proteste aufgrund eines Stasi-Maßnahmenplans wurde sie in den Westen abgeschoben. Daran aktiv beteiligt war der Anwalt Gregor Gysi. Ein Mandat von Lengsfeld hatte Gysi nicht. Mit der Abschiebung habe sich das Regime der Gegnerin entledigen wollen, sagte Lengsfeld.
Unkritische Berichterstattung über Ex-SED-Chef Gregor Gysi
Die ungebrochene Popularität von Gregor Gysi hängt nach Meinung von Lengsfeld eng mit den Medien zusammen. „Für viele linke Journalisten im Westen war und ist Gysi der letzte echte Linke in der Politik“, sagte die Bürgerrechtlerin. „Man muss aber doch hören, was Gysi sagt, nicht wie er es sagt. Es ist komplett in Vergessenheit geraten, dass er der letzte SED-Chef war.“
Insgesamt waren 49 IMs – sogenannte Inoffizielle Mitarbeiter – mit der Bespitzelung von Vera Lengsfeld betraut. Nach dem Mauerfall gründete Lengsfeld die Partei Bündnis90/Die Grünen mit. Sie wurde im März 1990 in die Volkskammer der DDR gewählt und zog im Dezember des gleichen Jahres für ihre Partei in den Bundestag ein, dem sie als Abgeordnete bis 2005 angehörte. 1996 schloss sich Lengsfeld zusammen mit anderen ehemaligen Bürgerrechtlern der CDU an, um gegen eine befürchtete zukünftige rot-rot-grüne Koalition mit der „SED-Umbenennungspartei PDS“, wie sie sagt, unter der Mitwirkung von Gregor Gysi zu protestieren.
Noch immer Verklärung der DDR
Lengsfeld kritisierte, dass nach der Wende auch Lehrer mit Stasivergangenheit in den Schuldienst übernommen wurden. „Teilweise verklären heute noch Lehrer die Zeit der DDR. Das ist schädlich für die Demokratie, das ist schädlich für die Bundesrepublik.“
Auf die Frage, ob sie Spitzeln und IMs habe verzeihen können, antwortete Lengsfeld: „Man kann nur verzeihen, wenn die andere Seite bereut. Sonst läuft Verzeihung ins Leere. Bei vielen ist bis heute die Reue nicht da.“
Die evangelische Nachrichtenagentur idea erinnert mit einer Tagung, die vom 11. bis zum 14. September im christlichen Gästezentrum Schönblick in Schwäbisch Gmünd stattfindet, an die Friedliche Revolution, den Mauerfall und das Ende des SED-Regimes vor 25 Jahren. (pro)