Evangelische Kirche gegen „teuflische Kommentare“

Wie sieht der hasserfüllte Online-Diskurs auf christlichen Webseiten aus, und was kann man dagegen tun? Diese Fragen stellten die Initiatoren des Projektes „Netzteufel“ der Evangelischen Akademie zu Berlin. Sie untersuchten die Leser-Kommentare auf den Portalen von idea, kath.net und der Bundesvereinigung der „Christen in der AfD“.
Von Jörn Schumacher
Das Projekt „Netzteufel“ der Evangelischen Akademie zu Berlin hat hasserfüllte Leser-Kommentare untersucht, will aber zugleich vor einer Dämonisierung im Internet warnen

Die Initiatoren des Projektes „Netzteufel“ wollten nach eigener Aussage in den Sozialen Medien „die Verbreitung gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit im Namen des christlichen Glaubens“ untersuchen. Sie analysierten dabei zunächst „Hassmails an zwei evangelische Bischöf*innen“, wie sie gegenüber pro mitteilten. Dadurch identifizierten sie Organisationen und Nachrichtenportale, auf die darin wiederholt Bezug genommen wurde.

Gemäß den beiden Auswahlkriterien Relevanz und Repräsentativität waren dies idea.de, weil es „in Deutschland ansässig evangelisch/evangelikal geprägt“ sei, kath.net („In Österreich ansässig katholisch geprägt“) und die Bundesvereinigung der „Christen in der AfD“ („überkonfessionell, parteinah“). Die Autoren analysierten daraufhin in allen Monaten des Jahres 2017 die Posts auf den Facebook-Seiten dieser Organisationen sowie die dazu getätigten Leser-Kommentare. Die Autoren von „Netzteufel“ erklärten: „Wichtig ist, dass die herausgearbeiteten Narrative sich insbesondere auf die Kommentare beziehen, die wir untersucht haben. Außerdem sind die Kommentarspalten der Seiten immer wieder auch konstruktive Diskussionsräume.“

Das Projekt mit dem Namen „Netzteufel“ wurde von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) finanziell unterstützt. Förderung bekam es zudem durch das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Der Projektname stehe als Sinnbild für eine Mahnung vor Dämonisierung, teilten die Initiatoren mit. Auf die Frage, ob auch eine entsprechende Analyse von Kommentaren auf anderen Seiten, etwa evangelisch.de oder katholisch.de denkbar seien, antworteten die Initiatoren, dies könne „spannend“ sein, und weiter: „Wir haben auf Social-Media-Plattformen die Möglichkeit, einen gewissen Ausschnitt von Alltagskommunikation zu betrachten, den man früher in Interviews, etc. extra erheben musste. Heute gibt es so viele öffentliche Kommentare, dass man sich beschränken muss, weil man gar nicht alles analysieren kann.“

„Wir werden bedroht – Die Endzeit naht“

Den Autoren sei es vor allem um Kommentare gegangen, die „menschen- und demokratiefeindliche“ Positionen wiedergäben, „die mit christlichen Bezügen formuliert oder durch den christlichen Glauben legitimiert werden“. Die Forscher sprechen von „toxischen Narrativen“. Ihnen offenbarte sich nach eigener Aussage ein „Masternarrativ“, der lautet: „Wir werden bedroht – Die Endzeit naht“. Dies sei „ein zentrales Bild, das alle Erzählungen verbindet“ und es sei „die Grundlage für Feindseligkeiten, Ausgrenzungen, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und schließlich auch für Hassrede“.

Zu den fünf identifizierten Hauptnarrativen bei den Themenbereichen Islam, Homosexualität, Flucht, Gender und Demokratie haben die Forscher folgende sich wiederholende Aussagen herausgestellt: „Der Islam bedroht uns“, „Homosexualität bedroht Gottes Ordnung“, „Flüchtlinge unterwandern das Sozialsystem“, „Der Genderwahnsinn ist reine Ideologie“ und „Wir leben in einer Meinungsdiktatur“. Dem gegenüber stellen die Autoren ihre Kritik an den genannten „Narrativen“. So werde in den untersuchten Kommentaren vielfach der Islam als einheitlicher und gewaltbereiter Feind dargestellt; es würden keine konkreten Probleme genannt; zudem würden die religiösen Unterschiede zum christlichen Glauben betont.

Der von Christen aufgestellten Behauptung „Homosexualität ist Sünde“ stellen die Autoren von „Netzteufel“ entgegen, es handele sich dabei um eine Verachtung von Homosexuellen; außerdem stellen sie die Fragen: „Wird die Abwertung von Sexualität, die sich nicht auf Fortpflanzung beschränkt, im gleichen Maß Heterosexuellen entgegengebracht? (…) Gab es in der Zeit der biblischen Schriften überhaupt zwangsfreie gleichgeschlechtliche Sexualität? Oder beziehen sich die biblischen Stellen auf etwas anderes? Finden sich andere Verbote, wie das Zinsverbot, nicht viel häufiger in der Bibel, wird die Kritik daran mit der gleichen Lautstärke vorgetragen?“

Nicht repräsentative Studie

Der geäußerten („toxischen“) Aussage „Flüchtlinge unterwandern das Sozialsystem“ stellt „Netzteufel“ entgegen: „Wird die Schutzbedürftigkeit nicht ausreichend vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geprüft? Geht es armen Menschen in Deutschland wirklich wegen der Geflüchteten schlecht? Sollten wir nicht für ein menschenwürdiges Leben Aller eintreten? (…) Waren nicht zentrale biblische Figuren aus wirtschaftlicher Not auf Wanderschaft?“ Zur Angst vor dem „Genderwahnsinn“ schreiben die Autoren: „Wenn Gott Mann und Frau, wie Tag und Nacht geschaffen hat, haben dann Menschen auch Angst vor der Morgendämmerung, in der beides zusammenkommt?“

Auch die Sorge, wir könnten in einer „Meinungsdiktatur“ leben, lehnen die Autoren ab mit den Worten: „Wie können wir uns in einer Meinungsdiktatur befinden, wenn diese These einen öffentlichen Raum finden kann? Besteht der Witz in Matthäus 7 nicht darin, sich zu fragen, welche Balken im eigenen Auge stecken, statt wieder nur auf die anderen zu zeigen? Muss die Kirche sich nicht, gerade weil sie Hitler nicht geschlossener widersprochen hat, heute dem Geist der Ungleichheit entgegenstellen?“

Allerdings liefern die Forscher keine Zahlen, anhand derer sie ihre Analyse festmachen. Sie stellen fest: „Unsere Ergebnisse basieren auf einer qualitativen und explorativen Fallanalyse und zielen nicht darauf ab, quantitativ messbare Aussagen zu machen.“ Zudem seien die Ergebnisse nicht im wissenschaftlichen Sinne repräsentativ.

Alexander Kissler, Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero, sieht das Projekt kritisch. Er sieht darin eher einen „knallharten theologischen Verdrängungswettbewerb“, wie er in einem Kommentar schreibt. „Das Netz soll mit dem Segen der Evangelischen Kirche und dank evangelischer Kirchensteuermittel auf links gescheitelt werden“, schreibt Kissler. Die Losung „Gegen den Hass“ werde bei „Netzteufel“ verstanden als „Gegen rechts“. Weiter schreibt der Autor: „Ein Platzhirsch namens EKD will konkurrierende Anbieter auf dem Glaubens- und Meinungsmarkt vom Diskursfeld drängen.“

Von #hateSpeech zu #hopeSpeech

Mit ihrer Analyse wollten die Macher von Netzteufel „den Leuten aufs Maul“ schauen, schreiben die Initiatoren. Doch zudem wollen sie aufbauend auf der Analyse herausfinden, „welche Bilder und Erzählungen wir aus christlicher Perspektive entgegnen wollen“. Dazu verweisen sie auf zwei Seminare der Evangelischen Akademie, zum einen das Seminar „Von Einhörnern, #hopeSpeech & Memes“ im Mai, zum anderen „#whatthehope“ im September. Darin solle jeweils ein Bogen gespannt werden von „#hateSpeech“ zu „#hopeSpeech“.

Die Evangelische Akademie wurde 1999 gegründet und ging hervor aus einer westdeutschen und einer ostdeutschen Akademie, die jeweils rund 50 Jahre früher ins Leben gerufen worden waren. Sie wird von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) gemeinsam getragen. Ihr Präsident ist Paul Nolte, Professor für Neuere Geschichte am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin.

Von: Jörn Schumacher

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