„Evangelikale lehren Anti-Fundamentalismus

Die nachwachsende Generation der Evangelikalen in den USA steht für einen Glauben jenseits des Fundamentalismus – findet die New Yorker Professorin Marcia Pally. In einem Artikel für die Tageszeitung "Die Welt" erklärt sie, warum die "Neuen Evangelikalen" den Einfluss der Christen auf die Politik von Grund auf verändern könnten.
Von PRO

In der öffentlichen Diskussion gebe die Religion derzeit ein trauriges Bild ab, schreibt Pally. Fundamentalismus, Terrorismus und Demokratiefeindlichkeit werde mit dem Terminus Religion verknüpft. Ein Fehlschluss, meint die Professorin für "Multilingual Multicultural Studies" an der New York University. Jungen Evangelikalen in den USA gehe es seit einigen Jahren nicht mehr vorrangig darum, Homosexualität zu verurteilen oder gegen Abtreibung zu protestieren. Gelebte Nächstenliebe stehe im Fokus ihres Handelns. Die von ihr beschriebene Gruppe habe sich von der religiösen Rechten ab- und einem antikonsumistischen und antimilitaristischen Aktivismus zugewandt. Armutsbekämpfung, Diplomatie und Umweltschutz seien die Themen der neuen Evangelikalen, und die Trennung von Staat und Kirche eines ihrer Hauptanliegen.

20 bis 25 Prozent der US-Bevölkerung gehörten zu dieser Gruppe, schätzt Pally. Gallionsfigur der Bewegung sei etwa Shane Claiborne, Autor von Büchern wie "Ich muss verrückt sein, so zu leben" und "Gott antwortet anders". Claiborne ist auch der Begründer einer neuen Art von Kommunität. Der Christ lebt gemeinsam mit anderen Gläubigen in einer Gemeinschaft, deren Hauptziel es ist, Bedürftigen in ihrer Nachbarschaft zu helfen. Wie Claiborne begreifen sich die neuen Evangelikalen als zivilgesellschaftliche Akteure, erklärt Pally: "Die neuen Evangelikalen sind keine ‚Parallelgesellschaft‘, sondern engagieren sich aktiv für soziale und karitative Zwecke und betreiben eine einschüchternde Vielzahl sozialer Einrichtungen." Zwar seien sie mehrheitlich gegen Homo-Ehe oder Abtreibung. Anstatt aber etwa Abtreibungsärzte zu schikanieren, böten sie schwangeren Frauen finanzielle und emotionale Unterstützung an.

Zur Kritik an der Regierung verpflichtet

Jüngste Forderungen der konservativen "Tea Party-Bewegung" um Ex-Präsidentschaftskandidatin Sarah Palin nach Kürzungen von Regierungsprogrammen für Bedürftige hätten sie heftig kritisiert, denn: Die "Neuen Evangelikalen" fühlten sich zur Kritik an der Regierung verpflichtet, wo diese ungerecht handle. So verurteilt etwa Claiborne die USA als den "größten Gewaltlieferanten der Welt". 2007 sei beispielsweise eine gegen die Regierung Bush gerichtete "Evangelikale Erklärung gegen Folter" veröffentlicht worden.

Die meisten Evangelikalen, so nimmt Pally an, dürften wegen ihrer christlichen Wertevorstellungen weiterhin konservativ wählen. "Das jedoch bedeutet, dass sie, aufgrund ihrer auf Armutsbekämpfung und Umweltschutz liegenden Prioritäten, die Republikaner auf diesen Politikfeldern in Zugzwang bringen werden", schreibt Pally, und weiter: "Religion, als menschliche Institution, verändert sich in Raum und Zeit, genauso wie sich die hier beschriebenen Evangelikalen verändert haben." So zeigten ausgerechnet die Evangelikalen die Welt nun, was biblischer Glaube jenseits des Fundamentalismus bedeute.

Marcia Pally ist neben ihrem Professorenberuf als Journalistin tätig und ausgebildete Tänzerin. Als Filmkritikerin und Kolumnistin hat sie in den USA unter anderem für die New York Times geschrieben. In Deutschland hat sie bereits für die tageszeitung, die Zeit, die Süddeutsche Zeitung, den Merkur oder die Frankfurter Rundschau geschrieben. (pro)

Eine Besprechung des Buchs "Die neuen Evangelikalen: Freiheitsgewinne durch fromme Politik" von Marcia Pally lesen Sie in der aktuellen Ausgabe des Christlichen Medienmagazins pro.

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