„Die Demokratie erfährt eine Stärkung“ – so urteilten insbesondere Vertreter kleiner, auch christlicher Parteien, nachdem das Bundesverfassungsgericht am 26. Februar die Drei-Prozent-Hürde für deutsche Parteien bei der Europawahl gekippt hatte. Auf den ersten Blick erscheint dies logisch: Schließlich ist es gerechter, wenn keine Wählerstimmen mehr unter den Tisch fallen. Auch kleine Minderheiten können somit Sitz und Stimme im Parlament erhalten. Und gerade unter Wählern mit christlichem Wertehintergrund wächst offenbar die Zahl derer, die ihre politischen Überzeugungen immer seltener durch die etablierten Parteien vertreten sehen.
Nimmt man das Ergebnis der Europawahl von 2009 zum Maßstab, dann könnte sich beispielsweise die christlich orientierte Ökologisch Demokratische Partei (ÖDP) durchaus Chancen ausrechnen, diesmal ein Mandat in Europa zu holen. Doch die Erwartung, dass durch den Wahlerfolg kleiner Parteien christliche Grundwerte wieder stärker in politischen Entscheidungsprozessen berücksichtigt werden, dürfte enttäuscht werden. Es ist wichtig, dass die ethischen und sozialen Maßstäbe des Christentums glaubwürdig artikuliert und effektiv in den demokratischen Prozess eingebracht werden. Doch dies geschieht gerade nicht dadurch, dass jede Gruppierung, die genügend Stimmen für einen einzelnen Sitz im Parlament erringt, dort auch repräsentiert wird.
Das Gegenteil ist der Fall: Die 96 deutschen Mandate im Europaparlament werden sich künftig womöglich zwölf Parteien teilen müssen. Die Zersplitterung nimmt zu, die politische Handlungsfähigkeit weiter ab. Dies ist keine Stärkung der Demokratie, sondern eine Gefährdung der politischen Stabilität.
Es ist ehrenwert, christliche Werte zum Parteiprogramm zu machen. Aber manchmal sollten sich politisch Engagierte, die sich Christen nennen, auch etwas genauer überlegen, mit welchen Botschaften Sie in die politische Öffentlichkeit treten. Wenn zum Beispiel ein Europa-Kandidat der niederländischen Partei „Jezus Leeft“ (Jesus lebt) im Interview erklärt, er glaube, dass Jesus den EU-Austritt empfiehlt, auch wenn ihm dazu „auf die Schnelle“ keine Bibelstelle einfalle, dann spricht das wohl eher für sich als für Jesus.
Doch die zentralen Positionen des Christentums sind nicht gleichbedeutend mit ein paar Partikularinteressen. Hier geht es um elementare, universelle, menschenfreundliche und lebensschaffende Werte, die eine tragende Säule der europäischen Kultur darstellen. Diese Positionen, die entscheidend geholfen haben, Frieden und Gerechtigkeit in Europa zu fördern und zur Geltung zu bringen, sollten nicht nur von Mini-Gruppierungen beansprucht und vertreten werden. Diese christlichen Positionen verdienen Mehrheiten, mit denen politisches Gestalten möglich wird. Dies müssen auch die etablierten Parteien wieder mehr lernen. Und wir Wähler sollten sie hierbei kritisch begleiten und unterstützen. (pro)