Europäischer Gerichtshof verbietet Patente an embryonalen Stammzellen

Menschliche embryonale Stammzellen dürfen nicht patentiert werden. Dies hat der Europäische Gerichtshofs (EuGH) am Dienstag in Luxemburg entschieden. Wenn für die Gewinnung der Zellen Embryonen zerstört werden, verstoße dies gegen den Schutz der Menschenwürde, entschieden die Richter. Ein Urteil, über das die Meinungen gespalten sind.
Von PRO

Die Forschung an embryonalen Stammzellen hat die Hoffnung entfacht, in vielen Krankheitsfällen Heilungen zu ermöglichen. Da es sich um menschliche Zellen handelt, die sich noch in jede der etwa 200 Zellarten des Menschen umwandeln können, kann mit ihnen Gewebe unterschiedlicher Art erneuert werden. Hirntumore könnten damit eventuell ebenso gut behandelt werden wie Diabetes, Herzerkrankungen und andere.

Stammzellen können gewonnen werden aus Embryonen, die bei einer künstlichen Befruchtung entstanden sind, oder aus Föten nach einem Schwangerschaftsabbruch, und durch "therapeutisches Klonen". Auch im Gewebe eines erwachsenen Menschen gibt es Stammzellen, die zur Erneuerung und Reparatur zerstörter Zellen dienen. Wissenschaftler können neues Erbgut in die jungen Stammzellen einführen, die sich dann entsprechend vermehren. Auch wenn dies noch mit vielen Schwierigkeiten verbunden ist, ist es theoretisch auf diese Weise möglich, Gene von Tieren und Menschen miteinander zu vermischen. In chinesischen Labors sollen bereits menschliche Stammzellen in Ziegen-Föten injiziert worden sein. Noch ist nicht klar umrissen, inwieweit der Schutz vor "Tier-Mensch-Experimenten" in Konflikt gerät mit dem berechtigten Wunsch der Wissenschaftler nach Freiheit in der Forschung. Was wäre, wenn es irgendwann Tiere mit einem Gehirn gäbe, das dem des Menschen ähnelt?

Warnung vor Embryonen-Industrie

Nun beschränkten die Richter in ihrem Grundsatzurteil die Verwendung von menschlichen Zellen eines Embryos für die Forschung. In Europa soll es unmöglich sein, Verfahren patentieren zu lassen, die die vorherige Zerstörung der Embryos oder ihre Verwendung als Ausgangsmaterial erfordern.

Laut einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" (SZ) hatte Christoph Then von der Umweltschutzorganisation "Greenpeace" vor einer "regelrechten Embryonenindustrie, die in Europa entstehen könnte", gewarnt. "Der menschliche Körper soll in allen Phasen seiner Entwicklung von Patentierung ausgenommen sein."

Die Richter in Luxemburg sind laut der Zeitung den Empfehlungen ihres französischen Generalanwalts Yves Bot gefolgt, der erklärt hatte, als Embryo sei auch die Blastozyste anzuerkennen – also der etwa fünf Tage alte Zellhaufen, der zur Gewinnung von Stammzellen dient. Die Frage, ab wann ein Zellhaufen als "Mensch" gilt, kam bereits bei der Debatte um die Präimplantationsdiagnostik (PID) im Sommer dieses Jahres auf. Manche Experten sind der Meinung, dass es sich bei Embryos bis zum 14. Tag nach der Zeugung zwar um menschliches Leben handele, aber noch nicht um einen werdenden Menschen, ein Individuum. Schon das Bundesverfassungsgericht habe 1975 festgestellt: "Leben im Sinne der geschichtlichen Existenz eines menschlichen Individuums besteht nach gesicherter biologisch-physiologischer Erkenntnis jedenfalls vom 14. Tag nach der Empfängnis an", erinnert die SZ.

"Klare rote Linie" gezogen

Die Deutsche Bischofskonferenz hat das Urteil aus Luxemburg begrüßt. "Dieses Urteil freut mich außerordentlich. Es ist ein Erfolg für die Menschenwürde und ein deutliches Signal gegen den Machbarkeitswahn des Menschen", sagte Weihbischof Anton Losinger in einer Mitteilung. Losinger ist Mitglied der "Bioethik"-Unterkommission der Deutschen Bischofskonferenz und im Deutschen Ethikrat. Das Urteil zeige, dass die Würde des Menschen "vom Beginn der Befruchtung an gilt", so der Bischof weiter. Zudem sei
mit dem Urteil der Frage nach dem Klonen von Menschen ein weiterer Riegel vorgeschoben. Auch jeder Form der "Kommerzialisierung des Menschen" habe der Richterspruch eine Absage erteilt.

Auch Hartmut Steeb, Generalsekretär der Deutschen Evangelischen Allianz, hat das Urteil des Europäischen Gerichtshofes "mit großer Freude aufgenommen", wie er dem Christlichen Medienmagazin pro gegenüber mitteilte. "Niemals kann etwas gefördert oder sogar noch patentiert werden, was die Zerstörung menschlichen Lebens bedingt, wie das zweifelsfrei bei der Forschung mit embryonalen Stammzellen geschieht", so Steeb. Oliver Brüstle, der Bonner Wissenschaftler, dessen Patent aus dem Jahre 1999 den Streit ausgelöst hatte, freue sich nicht über das Urteil, stellte Steeb fest. Das wundere ihn nicht, "denn ihm wurde damit ein große Verdienstmöglichkeit aus der Hand geschlagen. Denn jetzt sind die bisher von ihm gehaltenen oder angestrebten Patente nichts mehr wert". Steeb dankte dem Europäischen Gerichtshof dafür, "dass er eine klare rote Linie" markiert habe. "Mit der Tötung menschliches Lebens darf nicht auch noch Geld verdient werden."

Brüstle selbst nannte das Urteil ein "schlechtes Signal für die Wissenschaftler in Europa". "Zugleich bedeutet es auch eine Stigmatisierung dieses ganzen Forschungszweigs. Im Grunde geht es nicht um das konkrete Patent, sondern um ein weitreichendes Signal: Was ihr macht, das ist nicht moralisch." Gegenüber "Spiegel online" merkte Hans Schöler vom Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster an: "Wenn ein Verfahren nicht durch ein Patent geschützt wird, dann kann jeder damit machen, was er will. So wie ich das sehe, können nun also in Europa entwickelte Stammzellverfahren mit ES-Zellen beispielsweise durch amerikanische oder asiatische Firmen eingesetzt werden, ohne dass Geld nach Europa zurück fließt. Überspitzt formuliert unterstützt der deutsche Steuerzahler US-Unternehmen."

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, begrüßte das Urteil. "Menschliches Leben darf nicht patentiert werden", sagte er in Düsseldorf. "Schon gar nicht, um damit wirtschaftliche Interessen zu verfolgen." (pro)

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