Schon im Dezember erregte der sogenannte „Estrela-Bericht“ die Gemüter sowohl konservativer als auch progressiver Politiker. Der Frauenausschuss um die Sozialistin Edite Estrela hatte sich dafür ausgesprochen, dass Abtreibungen künftig als Menschenrecht bezeichnet werden sollen. Außerdem empfahl der Ausschuss in dem Bericht, dass die Mitgliedsstaaten künftig verbindlichen Sexualkundeunterricht schon Grundschülern erteilen sollen – und zwar „sicher, tabufrei und interaktiv“.
Zur Abstimmung kam der Estrela-Bericht zunächst nicht. Auf Antrag eines Abgeordneten verwies das Parlament den umstrittenen Bericht zurück in den Ausschuss, um ihn zu überarbeiten. Schließlich gebe es in diesen Fragen nicht die Chance auf eine gemeinsame Sichtweise.
Doch anstatt den Bericht zu entschärfen, verbat sich die portugiesische Vorsitzende Edite Estrela jede Diskussion und ließ den Bericht ohne Änderungen erneut zur Abstimmung stellen. Lobbygruppen auf beiden Seiten versuchten daraufhin noch eifriger, die Parlamentarier auf die jeweils eigene Seite zu ziehen. Abgeordnete berichteten, sie hätten noch nie so viel Post von Bürgern bekommen wie bei diesem Thema. Der Protest gegen das Papier gipfelte einen Tag vor der Abstimmung in einer Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz: „Wir bitten die Abgeordneten des Europäischen Parlamentes dringend, diese Entschließung abzulehnen.“