„Esoterik mit Amt und Siegel“

Hält der Hokuspokus Einzug in die deutsche Wissenschaft? Tendenzen in diese Richtung beobachtet der Journalist Bernd Kramer in einem Beitrag auf "Zeit Online". Das Internetprojekt esowatch.com zählt demnach in ganz Deutschland 17 Hochschulen mit pseudowissenschaftlichen Lehr- und Forschungsangeboten. Der Autor bilanziert: "Die Esoterik tritt inzwischen mit Amt und Siegel auf".


Von PRO

Journalisten und Wissenschaftler befürchten, dass dadurch der Unterschied zwischen Wissenschaft und Unsinn verwischt wird. Als Beispiel nennt der Artikel Marco Bischof. Er forscht als wissenschaftliche Mitarbeiter an der Universität Frankfurt/Oder, genannt "Viadrina", zu Themen wie Gralsmythos, elektronische Magie und Ufos. Der "Zeit"-Beitrag verdeutlicht, dass die Aufsätze Berücksichtigung in vielen "Esoterik-Postillen" fänden.



Reif für 75 Nobelpreise?


Auch Dietmar Cimbal, Gastprofessor für Biokybernetik und Bioregulation in Frankfurt/Oder und Harald Walach, dessen "Auslegungen zur Quantenphysik in der Esoterik-Szene als Durchbruch bejubelt werden", stehen im Fokus. Der jetzige "Viadrina"-Präsident, Gunter Pleuger, sieht die Entwicklung positiv und seine Einrichtung schon "auf dem Weg zu einem führenden Zentrum der Komplementärmedizin". Einer der führenden deutschen Physiker, Martin Lambeck, rechnet mit 75 Nobelpreisen, sollten sich die Thesen bewahrheiten, die im Umfeld des neuen Instituts vertreten werden.

Deutlich kritischer sieht der "Zeit"-Artikel die Entwicklungen: "Gelehrt wird das Spektrum alternativer Medizin selbst samt Anwendung. Im Curriculum stehen Akupunktur und die Arbeit mit Heilsätzen und heilenden Klängen, in Körperübungen sollen sich die Studenten mit der chinesischen Lebenskraft Qi vertraut machen, Kurse in Ayurveda und anthroposophischer Medizin sind geplant." Auch der Kooperationspartner, die "Deutsche Gesellschaft für Energetische und Informationsmedizin", sei "ein obskurer Lobbyverband von Medizinern, die lieber mit Schwingungen als mit dem Skalpell behandeln".



Scharlatanerie-Vorwurf kontraproduktiv



Die damalige Hochschulpräsidentin Gesine Schwan weist Anschuldigungen zurück, dass sie dem Aberglauben, mit der der Idee, den Vorgang des Heilens in die Forschung mit aufzunehmen, die Tür zur Universität geöffnet habe: "Es ist prinzipiell seriös und richtig, komplementäre Medizin zu erforschen. Der Scharlatanerie-Vorwurf ist da kontraproduktiv." Das Brandenburger Wissenschaftsministerium habe der Einrichtung – trotz Vetomöglichkeit – zugestimmt. Bislang wird der umstrittene Studiengang durch Studiengebühren und private Stifter finanziert.



Ein anderes Beispiel ist die Karl-und-Veronika-Carstens-Stiftung. Sie unterstützt seit einem Jahr medizinische Fakultäten, die die Homöopathie als Wahlpflichtfach anbieten, und vermittelt Dozenten. "Eine Universität muss nicht alles machen, und Homöopathie und Anthroposophie gehören eindeutig nicht zu ihren Aufgaben", argumentiert der langjährige Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft Ernst-Ludwig Winnacker gegen diese Entwicklung: "Hier bekommen Dinge einen wissenschaftlichen Anstrich, den sie nicht verdienen."

"Dafür gibt es einen Arbeitsmarkt"



Diese Fälle zeigten, so der "Zeit"-Beitrag, dass irrationale Lehren mittlerweile selbst an unverdächtigen Institutionen Einzug fänden und zum Teil noch mit staatlichen Mitteln unterstützt würden. In Kassel finanzieren anthroposophisch geprägte Firmen eine Stiftungsprofessur für biologisch-dynamische Landwirtschaft. Ihr Stelleninhaber versuchte in seinen wissenschaftlichen Artikeln sogar die Existenz von Elfen und Klabautermännern zu belegen. Nach sechs Jahren sollte für den Professor Schluss sein. Laut Hochschulpräsident Rolf-Dieter Postlep habe die Evaluation gezeigt, dass sein Forschungsgebiet "nur begrenzt mit universitären Forschungsstandards zu vereinbaren sei". Weil Befürworter des Lehrstuhls gegen dieses vernichtende Urteil protestierten, soll der Lehrstuhl "künftig mit einem wissenschaftlichen Mitarbeiter in Forschung und Lehre vertreten" bleiben – finanziert aus Mitteln der Hochschule.

Doch auch in andere Lebensbereiche habe die Esoterik Einzug gehalten: Die Bundesagentur für Arbeit etwa unterstütze mit Bildungsgutscheinen Erwerbslose, die sich zum Astrologen weiterbilden möchten und sieht darin kein Problem. Ein Sprecher der Behörde erklärt, dass es dafür zumindest einen Arbeitsmarkt gebe. Manche Unternehmen wählen ihr Personal nach Schädelform und Sternzeichen aus. Vor allem die Anthroposophen seien neben den Alternativmedizinern besonders "erfolgreich darin, krude Lehren mit akademischen Weihen zu schmücken".



Ersatzreligion des Bildungsbürgertums


Kramer bezeichnet die Anthroposophie als eine "Ersatzreligion des Bildungsbürgertums". Einer ihrer bekanntesten Anhänger ist der Gründer der Drogeriekette dm, Götz Werner. Auch Konrad Schily, Bruder des ehemaligen Innenministers Otto Schily und Gründer der ersten deutsche Privatuniversität Witten/Herdecke mitsamt anthroposophisch geprägter Medizinerausbildung ist Anthroposoph. Als größten Erfolg werden die deutschlandweit mehr als 200 Waldorf-Schulen bezeichnet: "Das esoterische Menschenbild fließt in die blumigen Wesenszeugnisse ein, die sie ihren Schülern am Ende des Schuljahres ausstellen", schreibt der Autor. Kinder mit frühen intellektuellen Interessen nach Waldorf-Lesart würden oft vorschnell als entwicklungsgestört etikettiert. (pro)

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