Eine Umfrage im Auftrag des Bundesfamilienministeriums zum Thema Einsamkeit zeigt: Etwa jede elfte befragte Person ab 43 Jahren fühlte sich „sehr einsam“. Jetzt wollen sich Christen um diese Probleme kümmern. Dazu veranstaltet der deutsche Zweig der „Fachstelle Gemeinschaft“ den Impulstag „Aufbruch zu mehr Gemeinschaft“ am 11. Oktober in Bremen. Einer der Referenten ist Ulrich Eggers. Er lebte jahrzehntelang in einer Lebensgemeinschaft – und weiß trotzdem, wie sich Einsamkeit anfühlt. „Wenn man Chef ist, ist man automatisch oft einsam“, sagt Eggers gegenüber PRO.
Der Theologe und Autor Eggers war langjähriger Leiter christlicher Werke und Mitbegründer der „WegGemeinschaft“, dem ehemaligen Träger des Dünenhofs. Er verweist zum Thema Einsamkeit direkt auf die Schöpfungsgeschichte. Dort steht der Satz: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.“ Eggers sieht darin mehr als einen Hinweis auf Ehe oder Partnerschaft, sondern vielmehr eine grundlegende Aussage der Bibel über die Natur des Menschen. Der Mensch sei auf Beziehung hin geschaffen, auf ein Gegenüber angelegt. „Wir werden am Du zum Ich“, zitiert der Theologe im Gespräch mit PRO den Religionsphilosophen Martin Buber. Auch wenn die Bibel das Wort „Einsamkeit“ so nicht systematisch verwende, sieht Eggers darin doch einen klaren biblischen Grundimpuls: Die Heilige Schrift denke vom „Wir“ her – nicht vom „Ich“.
Kirche trägt „Wir-Faktor“ auf DNA
Eggers unterscheidet zwischen Alleinsein und Einsamkeit. Alleinsein könne bewusst gewählt und geistlich durchaus fruchtbar sein, etwa wenn Jesus sich zum Gebet in die Stille zurückzieht. „Alleinsein ermöglicht Selbstklärung und geistliche Konzentration.“ Anders verhalte es sich mit Einsamkeit. Diese sei meist ungewollt, gehe mit Gefühlen von Verlassenheit und Isolation einher und trage ein schmerzliches Gewicht in sich. „Wer Einsamkeit empfindet, ist nicht der, der die Stille suche – sondern der, dem Resonanz fehlt.“ Deshalb sei Einsamkeit eindeutig negativ zu verstehen. Auch biblische Figuren wie David oder Hiob hätten nicht daran gelitten, allein zu sein, sondern daran, sich verlassen zu fühlen.
Die Kirche sieht Eggers grundsätzlich als einen guten Rahmen für echte Verbundenheit. Die „Idee der Ekklesia“, also der versammelten Gemeinde, trage den „Wir-Faktor“ auf der DNA in sich. Doch dieser Rahmen allein garantiere noch keine gelebte Nähe. Eggers konstatiert, dass viele Gemeinden sich stark an Familienstrukturen orientierten. Dadurch gerieten Singles, Alleinerziehende oder Verwitwete oft ungewollt aus dem Blick. „Das führt dazu, dass Menschen sich trotz guter Absichten in einer Kirche einsam fühlen können.“ Es gehe nicht darum, jemanden zu bemitleiden oder ausnutzen zu wollen – sondern darum, diese Lebensrealitäten mitzudenken und ihnen Raum zu geben. Dazu brauche es nicht unbedingt große Programme. Es genüge oft schon, offene und warme Begegnungsräume zu schaffen – etwa durch gemeinsame Mahlzeiten, offene Cafés, Eltern-Kind-Treffen oder einfache Einladungen, die Verbindlichkeit schaffen, ohne zu überfordern. Solche Orte schaffen, wie Eggers es nennt, „Rückenwind“ – sie vermitteln: Du bist willkommen, du wirst gesehen.
» Evangelische Kirche startet Aktion gegen Einsamkeit
» Einsamkeit: das stille Problem der modernen Welt
Doch wie kann Kirche auch nach außen wirken und Einsamkeit in der Gesellschaft etwas entgegensetzen? Eggers macht deutlich, dass Gemeinden ihre Wärme nicht nur für sich behalten sollten. „Es geht nicht darum, es sich selbst schön zu machen – sondern die Türen bewusst zu öffnen.“ Gemeinden könnten durch Flohmärkte, Schulpartnerschaften, Bauspielplätze oder offene Treffpunkte zu Orten werden, an denen Menschen Anschluss finden, ohne gleich Teil der Kerngemeinschaft sein zu müssen. „Viele Menschen sehnten sich nach Resonanz und Nähe – gerade dann, wenn sie vereinsamt sind. Die Aufgabe der Gemeinde sei es, diese Sehnsucht zu sehen und auf sie zu antworten.“ Die gelebte Wärme in der Gemeinschaft könne abstrahlen, wenn sie offen und einladend gelebt werde. Eggers: „Einsamkeit verliert ihre Macht dort, wo Menschen einander begegnen – ehrlich, auf Augenhöhe, mit offenen Herzen.“
Nach Angaben des Statistischen Bundesamts leben rund 17,0 Millionen Menschen in Deutschland allein. Das ist etwa jede fünfte Person (20,6 Prozent), wie das Statistische Bundesamt aus dem Mikrozensus 2024 ermittelt hat. Die Zahl der
Alleinlebenden sei in den vergangenen 20 Jahren deutlich gestiegen – gegenüber 2004 um 21,8 Prozent.