Es geht um unsere Ideale

Bei der Frage nach den Trisomie-Bluttests geht es um mehr als eine medizinische Leistung. Es geht darum, welche Haltung wir als Gesellschaft zu Menschen haben, die von unseren Idealen abweichen. Sortieren wir das Unperfekte aus oder nehmen wir es in unsere Mitte hinein? Ein Kommentar von Jonathan Steinert
Von PRO
Unperfekt? Abweichung von der Norm – oder von einem Ideal?

Der Bundestag hat am Donnerstag über vorgeburtliche Bluttests auf Trisomien debattiert. Diese Tests, die anders als Fruchtwasseruntersuchungen ohne Eingriff auskommen, sollen Kassenleistungen werden.

Der Gendefekt, dass das 21. Chromosom dreimal statt nur zweimal im Erbgut vorliegt, ist keine Krankheit. Er kann nicht geheilt werden. Ein solcher Test sagt also nur, ob ein ungeborenes Kind mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit Trisomie 21 hat oder nicht – Fehler nicht ausgeschlossen. Und dann? Schon im Vorfeld der Debatte hat es zahlreiche öffentliche Wortmeldungen und Stellungnahmen dazu gegeben. Denn sollten diese unkomplizierten Tests regulär von den Kassen finanziert werden, könnten noch mehr Kinder mit Down-Syndrom abgetrieben werden.

Unbedingt willkommen

Was es bedeutet, als Eltern zu erfahren, dass das Kind mit Behinderung zur Welt kommt, mag nur der ermessen, den es betrifft. Aber stürzt nicht erst dies Eltern in ein unerträgliches Dilemma: das Wissen um die Diagnose und um die grundsätzliche Möglichkeit einer Abtreibung, sowie der gesellschaftliche Druck, ja, die Erwartung, eine solche in diesem Fall durchzuführen?

Für Menschen mit Behinderungen wird bereits vieles getan, damit sie möglichst ohne Hindernisse am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Aber warum erst nach der Geburt? Wir brauchen ein Klima, das jedes Neugeborene unbedingt und selbstverständlich willkommen heißt. Das wird Eltern im Zweifel mehr helfen als ein Test, der sie vor die Frage stellt: Ja oder Nein?

Auch darüber hinaus brauchen wir die Haltung, das Unperfekte, Gebrechliche, Schwache in unsere Mitte hineinzunehmen. Jeder kann von einem Moment auf den anderen zu einem Pflegefall, von einem Leistungsträger zum Hilfeempfänger werden. Keiner wagt zu behaupten, dann habe man sein Lebensrecht verwirkt.

Abweichung vom Ideal

Unsere Gesellschaft tut gut daran, sich einer grundlegenden Diskussion zu diesem Thema zu stellen. Denn es geht eben um mehr als nur einen Test. Er führt unweigerlich zu der Frage: Wie gehen wir mit dem Unperfekten um? Sortieren wir es aus oder nehmen wir es an als Teil des Daseins, als Bereicherung unseres Miteinanders? Überhaupt ist doch die Frage: Wer legt fest, was unperfekt ist? Es ist doch eher eine Abweichung von einem Ideal als von einer Norm. Vielleicht sollten wir also über unsere Ideale sprechen.

Die Kraft Gottes ist im Schwachen mächtig, dieser Zuspruch steht im Neuen Testament. Wie gut! Denn wenn wir ehrlich zu uns sind, sind wir selbst weit weniger perfekt als die Idealvorstellung von uns. Und deshalb dürfen und sollten wir das auch allen anderen Menschen zugestehen – vor und nach der Geburt.

Wenn wir es schaffen, uns als Menschen in unserer Unvollkommenheit anzunehmen und einander zu tragen, wird uns das stark machen – stärker, als wenn wir Anstrengungen aus dem Weg gehen, und stärker, als wenn wir uns nur um uns selbst drehen.

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