Erziehung: „Zeit ist ein enorm wichtiger Faktor“

"Zeit gehört zu den wichtigsten Dingen, die Eltern ihrem Kind geben können", sagt der Professor für Kinderheilkunde, Remo Largo, in der aktuellen Ausgabe des Magazins "Spiegel Wissen". Kinder bräuchten verlässliche und vertraute Bezugspersonen, leider sei genau dies in vielen Betreuungseinrichtungen nicht gegeben.
Von PRO

Das Problem in vielen Kinderkrippen sei weniger, dass die Mutter weggehe, sondern, dass dem Kind eine vertraute Person fehle, die regelmäßig und verlässlich anwesend ist, davon ist der Kinderarzt und Buchautor überzeugt. Nicht nur in den ersten Lebensjahren sei es wichtig, dass Eltern viel Zeit mit dem Kind verbringen. Auch später zeige sich, dass Mütter und Väter für ihr Kind um so glaubwürdiger und überzeugender seien, je vertrauter sie mit dem Kind seien. Vertrautheit entstehe durch gemeinsam verbrachte Zeit. "Ein Vater, der Mühe hat mit seinem Sohn, soll einige Stunden mit ihm in den Wald gehen – dann hat er ihn nachher im Griff", sagt Largo im Interview mit "Spiegel Wissen". Er erinnert auch daran, dass Kinder stärker über das Vorbild der Eltern geprägt werden als durch Regeln und Verbote. Dennoch käme keine Familie ohne gewisse Familienregeln aus.

"Kinder so lieben, wie auch immer sie sind"

Der Vater dreier erwachsener Töchter beobachtet, dass Erwartungen und Ansprüche, die Eltern, teilweise auch unbewusst, an ihre Kinder haben, "deutlich höher als früher" seien. Den Grund sieht er darin, dass Eltern heute weniger Kinder bekommen und diese zu 80 Prozent Wunschkinder seien. Viele der Eltern, die sich bewusst für Nachwuchs entscheiden, hätten dann die Erwartung, dass dieses Kind "ein Erfolg" sein müsse. Einen solchen Anspruch findet Lemgo "ungeheuerlich" und rät Eltern zu mehr Demut. Die Herausforderung für Eltern sei, ihr Kind "so zu lieben, wie auch immer es ist". Fatal sei auch die Tendenz, Zuwendung vom Verhalten des Kindes abhängig zu machen.

Kinder lernen durch andere Kinder

Bei den zahlreichen Fördermaßnahmen, zu denen Eltern schon kleine Kinder anmelden, geht es seiner Ansicht nach mehr um die Ängste der Eltern und weniger um das Wohl der Kinder. Manche Eltern delegierten die Beschäftigung mit dem Kind an Experten, statt selbst Dinge mit dem Sprössling zu unternehmen. In den ersten fünf Lebensjahren solle ein Kind vor allem seine Grundfähigkeiten wie Sprache, Motorik und Sozialverhalten entwickeln. Dazu brauche es vor allem Erfahrungen mit anderen Kindern. Kinder machten viele Erfahrungsschritte durch andere Kinder – vieles davon könnten Erwachsene gar nicht leisten. Daher solle ein Dreijähriger, anstatt alleine Geige zu üben, lieber mit anderen Kindern spielen.

Allerdings sollten Erwachsene sich klarmachen, dass auch eine glückliche Kindheit keine Garantie sei für das spätere Leben. "Das Wichtigste ist und bleibt die Grundhaltung und Verfügbarkeit der Eltern, auch wenn das Kind schon älter ist", so Largo.

Remo Largo leitete 30 Jahre lang am Kinderspital Zürich die Abteilung "Wachstum und Entwicklung". Seine Bücher "Babyjahre" und "Kinderjahre" gelten als Klassiker der Erziehungsratgeber. Im September erscheint sein Buch "Jugendjahre".

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