Erziehung und Familie: „Väter sind durch nichts zu ersetzen“

Wenn die Familienpolitik der Bundesregierung eines gebracht hat, dann möglicherweise ein erstes Umdenken in der Beurteilung der Rolle der Väter in der Erziehung. Denn: Eltergeld können nicht nur Frauen, sondern auch Männer beantragen, wenn sie sich um den Nachwuchs kümmern. Knapp 10 Prozent aller jungen Väter machen derzeit von dem Angebot Gebrauch. Der Ethiker Thomas Schirrmacher hat sich in einem jetzt erschienenen Buch mit der Rolle von Vätern in der Erziehung befasst - die weder Waschlappen noch Despoten sein sollten. pro-Redakteurin Ellen Nieswiodek-Martin hat das im Hänssler Verlag erschienene Buch gelesen.
Von PRO

Ein Vater, der für seine Kinder dauerhaft nicht präsent ist und nur stundenweise am Wochenende für die Kinder erlebbar ist, schadet möglicherweise der Entwicklung der Kinder stärker, als man bisher dachte. Thomas Schirrmacher erklärt das so: „Lange Zeit hielt die Forschung den Vater als Erzieher für überflüssig, vor allem in den ersten Lebensjahren der Kinder. Dann kam der Ruf, der Mann solle sich gefälligst an der Erziehung praktisch beteiligen, aber eigentlich nur als Kopie der Mutter. War er keine Zweitmutter, galt er als faul. Erst jüngst bricht sich die Erkenntnis Bahn: Der Vater ist anders – und mit seinen ganz anderen Interessen und Vorgehensweisen für seine Kinder unverzichtbar. Auch die besten Mütter können Väter nicht ersetzen!“

Laut Schirrmacher wurde die Rolle der Frauen bei der Erziehung in den vergangenen Jahrzehnten stark überbetont. Dabei will er nicht die Bedeutung der Mutter-Kind-Beziehung mindern, sondern die spezifisch männlichen Aufgaben der Väter für die Entwicklung ihrer Kinder in den Vordergrund stellen. Dazu führt er in seinem jetzt erschienenen Buch „Moderne Väter“ zahlreiche Forschungsergebnisse an und zitiert beispielsweise den amerikanischen Vaterforscher Michael Lamb, der nach jahrelangen Untersuchungen und Beobachtungen von Familien zu dem Ergebnis kommt: „Mit Ausnahme des Stillens gibt es keinerlei Hinweis, dass Frauen biologisch prädisponiert sind, die besseren Eltern zu sein“.

Erziehung sollte nicht mehr länger als „Frauensache“ angesehen werden

Für die gesunde Entwicklung müssen Kinder die Unterschiedlichkeit beider Geschlechter erleben. Auf einen einfachen Nenner gebracht, bedeutet dies: Von Frauen lernen Kinder den Umgang mit ihren Gefühlen und Bedürfnissen, von den Vätern eher den Umgang mit der Außenwelt. Schirrmacher ist außerdem davon überzeugt, dass Väter eine entscheidende Rolle für den Glauben ihrer Kinder spielen. Zwar würden Kinder das Beten meist von den Müttern lernen, ob sie später als Erwachsene aber regelmäßig selbst beten, hänge davon ab, ob sie erlebt hätten, dass ihr Vater regelmäßig betet.  „Kinder richten ihre Werte ein Leben lang sehr stark an den Werten ihres Vaters aus“, so Schirrmacher.

Deshalb reicht seiner Ansicht nach die gesellschaftlich weit verbreitete Praxis nicht aus, nach der der Vater von Zeit zu Zeit die Mutter bei der Betreuung ablöst. Laut Schirrmacher sollten Männer so oft wie möglich mit ihren Kindern zusammen sein und dafür auch ihre Prioritäten im Beruf überdenken, denn: „Mütter sind stark auf Sicherheit bedacht und das ist gut so. Väter erziehen die Kinder eher zum Risiko, und auch das ist gut so! Väter spielen viel mehr mit Kindern. Früher sah man das oft als Ausflucht vor der Hausarbeit an. Heute weiß man, dass die Kinder dadurch Unverzichtbares lernen, zum Beispiel kontrolliert Risiken einzugehen oder sich an Regeln zu halten.“

Vaterverlust ist das ernsthafteste Problem der Gesellschaft

Schirrmacher geht es weniger darum, eine Position im ideologischen Dauerstreit der Geschlechter zu beziehen, sondern um das Wohl und die gesunde Entwicklung der Kinder. Und dies ist seiner Ansicht nach ohne einen engagierten und zugewandten Vater schwer zu bekommen. „Die psychologische oder physische Abwesenheit der Väter von Familien ist eine der größten unterschätzten Tragödien unserer Zeit“, zitiert er den amerikanischen Psychologen Samuel Osheron von der Harvard-Universität. Er weist darauf hin, dass bereits 1995 das Magazin „Focus“ einen Artikel dem Verschwinden der Väter aus dem kindlichen Alltag widmete. Unter der Überschrift „Wo ist Vati“ berichtete „Focus“ über damals neue Forschungsergebnisse zu den Folgen einer männerlosen Erziehung. Demnach litt ein Drittel der Kinder an psychischen Störungen. „Vaterlose“ Kinder neigten außerdem mehr zu Schulversagen, Drogensucht und sozialen Auffälligkeiten. Mädchen mit einer fehlenden oder gestörten Vaterbindung würden häufiger Opfer von Missbrauch und öfter als Teenager schwanger. Väter spielen eine große Rolle, damit Jungen eine männliche Identität finden und Mädchen sich in ihrer Weiblichkeit bestätigt sehen.

Wenn die Familienminister der EU also Väter dazu aufrufen, eine aktivere und präsentere Rolle in der Kinderbetreuung zu übernehmen, sollten Väter laut Thomas Schirrmacher dieser Aufforderung im eigenen Interesse, aber auch im Sinne einer gesunden Entwicklung ihrer Kinder nachkommen. Der Ethiker ist davon überzeugt, dass Väter und Kinder „füreinander geschaffen sind“. Deshalb spricht er sich für individuelle Lebens- und Arbeitsmodelle aus, in denen Mütter und Väter sich Beruf und Erziehungsaufgaben teilen. „Die meisten Väter und Eltern haben noch längst nicht ausgereizt, was es an zeitlichen, technischen und finanziellen Möglichkeiten gibt, Arbeit flexibler und familienfreundlicher zu machen.“

Wie gehen Christen mit der Veränderung der Gesellschaft um?

Schirrmacher untersucht zudem, welche Ursprünge ein an der Bibel orientiertes Vaterbild hat und wie eine christlich fundierte Erziehung aussehen kann. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass das Christentum dringend für die Bewahrung der Schöpfungsordnung eintreten und gleichzeitig prüfen müsse, ob Erneuerung und Überwindung „falscher Traditionen und ungerechter Ordnungen“ an der Tagesordnung stünden. „Ein reiner Konservativismus zur Beruhigung der älteren Generation ist der Bibel ebenso fremd wie die reine Veränderung zur Befriedigung der jüngeren Generation“, so Schirrmacher.

„Eine kooperative Partnerschaft stabilisiert auch die Kinder“

Schirrmacher ermutigt Männer dazu, sich nicht an den Erwartungen und Vorbildern aus Gesellschaft und Medien zu orientieren, sondern gemeinsam mit der Partnerin einen eigenen ganz besonderen Vaterstil zu finden. In „Moderne Väter“ gibt er kompakte Ratschläge für Väter und Stiefväter zum Umgang mit Söhnen und Töchtern, sowie Tipps, wie Männer ihre Partnerin bei der Erziehung unterstützen und entlasten können. Außerdem beleuchtet er die Situation allein erziehender Mütter und Väter und widmet sich der immer größer werdenden Rolle der Stiefväter. Der zweifache Vater ist davon überzeugt: „Es gibt nichts, was einen Mann in dieser Welt mehr erfüllen kann als gelungene Vaterschaft.“

Thomas Schirrmacher: „Moderne Väter – weder Waschlappen noch Despoten“, Hänssler Verlag, 92 Seiten, 6,95 Euro.

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