Am Samstag hat in Berlin der „Marsch für das Leben“ stattgefunden. Die Lebensrechtler begannen ihren Schweigemarsch durch die Berliner Innenstadt um 13 Uhr mit einer Kundgebung vor dem Reichstag, wo die Veranstaltung mit einem ökumenischen Gottesdienst zu Ende ging. Während die Veranstalter 7.500 Teilnehmer angaben, zählte die Polizei 6.000.
Mit dem „Marsch für das Leben“ wollen die Veranstalter, der Bundesverband Lebensrecht (BVL), ein Zeichen setzen für das Leben in allen Phasen des menschlichen Seins. Rückhalt erhielten die Veranstalter von seiten der Katholischen Kirche. Erstmals hat der Berliner Erzbischof Heiner Koch an dem Marsch teilgenommen.
„Das Leben ist gottgewollt. Das Leben ist Gottes Geschenk, das wissen wir als Christen sehr genau“, rief Koch den Teilnehmern bei der Eröffnungskundgebung vor dem Reichstag in Berlin zu. „Deshalb lassen wir leben und helfen, dass jeder Mensch leben kann, gut leben kann, gut sein Leben entfalten kann. Vom ersten Augenblick im Mutterschoß bis zum letzten Atemzug.“
„Wir machen uns nicht zum Herren über das Leben“
Christen legten nicht fest, welches Leben ab wann lebenswert sei, erklärte Koch. Dass das Leben bunt und die Menschen sehr vielfältig seien, wisse man in Berlin sehr genau. „Wir machen uns nicht zum Herren über das Leben. Wir setzen keine Grenzen, wir errichten keine Mauern des Lebens, nicht an den Grenzen Europas, nicht an den Grenzen der Kulturen und Religionen, nicht an den Grenzen des Alters, der Krankheit, des Behindertseins oder des sterbenden Lebens.“
Der Erzbischof richtete sich mit einem Appell an die Versammlungsteilnehmer: „Lasst einander leben. Lasst gerade die Schwachen leben, am Anfang und am Ende des Lebens. Lasst leben die Flüchtlinge und die Leistungsschwachen, die Menschen in Aleppo und in den Todeszellen der Gefängnisse dieser Welt. Lasst sie alle leben.“ Es gelte aber auch, jenen Menschen zu helfen, „die anders denken, deren Lebensweise wir nicht teilen, auch denen, die uns ablehnen“.
Christen stünden ein für das Leben ohne Grenzen und ohne Fristen. Der Erzbischof dankte in seinem Grußwort ausdrücklich der Polizei und den Sicherheitskräften. „Was die machmal in Berlin aushalten, ist schon erstaunlich und bedauernswert.“ Zuvor hatte der Münchner Erzbischof, Reinhard Kardinal Marx, den „Marsch für das Leben“ gewürdigt.
Auch die Deutsche Evangelische Allianz (DEA) sowie verschiedene Unionspolitiker, darunter das CDU-Präsidiumsmitglied Julia Klöckner und der Bundestagsabgeordnete Frank Heinrich (ebenfalls CDU), hatten sich im Vorfeld der Veranstaltung mit dem Marsch für das Leben solidarisiert. Die Evangelische Landeskirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) sowie linke Parteien hatten sich weitgehend distanziert.
Im Internet hatten Linksautonome zu Störaktionen beim Marsch für das Leben aufgerufen. Auf die Geschäftsstelle des Bundesverbandes Lebensrecht war vor wenigen Tagen ein Farbbeutelanschlag verübt worden.
Die Veranstaltung selbst blieb nach Polizeiangaben weitgehend störungsfrei. Es seien einige Personalien festgestellt worden. Ein Gegendemonstrant habe eine Frau angegriffen, die am Marsch für das Leben teilnahm. Die Polizei habe aber schnell reagiert. Die angekündigten Stinkbomben-Aktion ist offenbar nur heiße Luft gewesen. Lediglich einmal sei mit einer Sprayflasche eine Flüssigkeit versprüht worden.
Das „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“ hatte zu einer Gegendemonstration am Brandenburger Tor aufgerufen. Namhafte Politiker aus den Reihen von SPD, Grünen und Linken, darunter der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD), und die Parteivorsitzenden der Linken, Katja Kipping, äußerten ihre Unterstützung. Eine zentrale Forderung des Bündnisses ist der „uneingeschränkte Zugang zu einem legalen Schwangerschaftsabbruch und die Streichung des Paragraphen 218 aus dem Strafgesetzbuch“.
„Mein Körper, meine Entscheidung“
Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter, sagte auf der Gegendemo: „Wenn Rechte, wenn christliche Fundamentalisten die Rechte von Frauen angreifen, dann geht es nicht nur darum, dass Frauen ihre Selbstbestimmung, ihre Rechte, verteidigen, sondern dass wir alle, alle Menschen diese Rechte verteidigen.“
Rechtspopulisten und „religiöse, christliche Fundamentalisten“ griffen die Rechte von Schwulen und Lesben, Intersexuellen und Transsexuellen an. Beim Marsch für das Leben gehe es darum, die Errungenschaften der offenen Gesellschaft zu verteidigen, „gegen die Rechtspopulisten, gegen den Rückschritt, gegen diejenigen, die zurück wollen ins letzte Jahrtausend“, sagte Hofreiter vor den rund 250 Teilnehmern der Gegendemonstration.
Es müsse gelten: „Mein Körper, meine Entscheidung – und zwar für alle.“ Der Grünen-Politiker verlangt, dass jeder in der Gesellschaft so leben können müsse, wie er es sich vorstelle und appellierte, für eine „frohe, eine hoffnungsfrohe, eine mutige, eine bunte und schöne Zukunft“ zu kämpfen, weil dies die „schönere Art“ sei, zu leben.
„Christliche Fundamentalisten tummeln sich in der AfD“
Auch die Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Linke), forderte die Abschaffung des Paragraph 218. Der sei „die in Gesetz gegossene Verpflichtung zur Führung einer monogamen Ehe oder Beziehung.“ Renner nutze ihre Rede dazu, um gegen die Alternative für Deutschland zu wettern. „Weg mit dem Paragraph 218, keine Stimme der AfD.“
Am Sonntag sind rund 2,5 Millionen Berliner zur Wahl aufgerufen. Der rot-schwarzen Koalition werden dabei wenig Chancen ausgerechnet, dagegen könnte die AfD den Sprung in das zehnte Landesparlament schaffen. In ganz Europa gehe nach Meinung Renners ein Rechtsruck um und damit verbunden eine Attacke auf das sexuelle Selbstbestimmungsrecht der Frauen.
„Der Hass dieser Rechten richtet sich gegen die kinderlose Frau, die nicht bereit ist, ihre Aufgabe für den Erhalt der halluzinierten eigenen Art, der eigenen Kultur zu erfüllen.“ Reaktionäre Frauenbilder vermischten sich mit völkischem Wahn. „Christliche Fundamentalisten tummeln sich in der AfD. Die AfD wird auf Internetseiten rechter Christen, Katholiken wie Protestanten, hofiert“, erklärte Renner. Es werde an Gefühle und Angst appelliert. „Um es klar zu machen und deutlich zu sagen: Christlichen Fundamentalisten, AfD, völkischen Nazis geht es nicht um Glaube oder Moral, man will zurück in die Vergangenheit“, sagte Renner. (pro)