HATIF ist der Titel einer neuen Taktik gegen islamistischen Extremismus in Deutschland. Die Abkürzung steht für "Heraus aus Terrorismus und Islamistischem Fanatismus" – und das soll vorrangig via Telefon funktionieren. Seit dem 19. Juli können sich ", Familienangehörige und Freunde von Personen, die in den Einflussbereich von fanatischen islamistischen oder islamistisch-terroristischen Gruppen geraten sind", vertraulich an das Bundesamt für Verfassungsschutz wenden. Das Amt teilte weiter mit, es wolle Betroffenen "Perspektiven für ein selbstbestimmtes, legales Leben in unserer Gesellschaft" bieten und "Gewalt im Namen des Islam" verhindern. Ähnliche Programme gab es in Deutschland bisher für Aussteiger aus der rechten Szene. Das Projekt gegen radikalen Islamismus ist hierzulande das erste seiner Art.
Propagandawelle im Internet
Anlass der neuen Maßnahme ist die Veröffentlichung des aktuellen Verfassungsschutzberichtes im Juni. Demnach wurden von Anfang September bis Anfang Oktober "in einer bisher einmalig hohen Dichte" islamistische Propagandabotschaften im Internet verbreitet. In einigen drohten Islamisten mit Anschlägen in Deutschland. Der Verfassungsschutzbericht spricht von einer "Propagandawelle". Grund dafür sei vor allem die Bundestagswahl gewesen. Die größte extremistische Gefahr in Deutschland gehe von radikalisierten Konvertiten und Personen der zweiten oder dritten Einwanderergeneration aus. Diese Islamisten stünden größtenteils der "Al Qaida"-Ideologie nahe.
Im Jahr 2009 seien mehr Menschen "aus dem islamistischen Spektrum" Richtung Pakistan gereist. Dort könnten Radikale eine terroristische Ausbildung erhalten. Organisationen wie "Millî Görüs" oder die "Islamische Gemeinschaft in Deutschland" trügen zudem zur Entstehung von Parallelgesellschaften bei und initiierten Radikalisierungsprozesse. Deutschlandweit hat der Verfassungsschutz 29 aktive islamistische Organisationen und über 36.000 Anhänger eines radikalen Islamismus registriert.
Kritik: "Keine Bonbons ans Fußvolk"
Der Zentralrat der Muslime lobte das neue Aussteigerprogramm des Bundesamtes für Verfassungsschutz in der Berliner "Tageszeitung" (taz). Dennoch bedürfe es einiger Ergänzungen, etwa durch politische Bildungsarbeit oder den Einsatz von "Scouts", die in Moscheen über Extremismus informieren. Der Islamwissenschaftler Götz Nordbruch ist hingegen skeptisch: "Ein staatliches Programm ist keine Instanz, an die man sich wendet, wenn man diese Gesellschaft vorher abgelehnt hat", zitiert ihn die taz.
Kritik kam auch vom migrationspolitischen Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag, Memet Kilic. "Zu den Aussteigerprogrammen für Rechtsextremisten sind bis heute keine Bilanzen veröffentlicht", sagte er. Ein neues Projekt zu starten, bevor diese Zahlen vorliegen, halte er für unglaubwürdig. Es bringe aus seiner Sicht auch nur etwas, wenn führende Mitglieder zum Ausstieg aus der Szene bewegt werden könnten. "Bonbons an das Fußvolk zu verteilen, davon halte ich nichts." (pro)