Erneut Freikirchen im Visier öffentlich-rechtlicher Reporter

Im neuen öffentlich-rechtlichen Jugendportal funk berichten Aussteiger einer Freikirche von geistlichem Missbrauch. Der Pastor fühlt sich von den Journalisten getäuscht. Eine TV-Kritik von Moritz Breckner
Von PRO
Zwischen den Szenen wurden in „Kein Erbarmen” Bibelverse eingeblendet

„Jäger und Sammler“ heißt eines der Online-Formate, die über das neue Jugendportal von ARD und ZDF, funk, verbreitet werden. Am Montagabend wurde dort eine Reportage des Journalisten Friedemann Karig veröffentlicht, der sich kritisch mit charismatischen Freikirchen auseinandersetzt. „Glaubst du an Gott? Ich nicht“, ist der erste Satz des Beitrags, und damit scheint die Absicht des Journalisten klar zu sein. Es folgen Bilder von Jugendlichen beim Lobpreis und anonymisierte Aussagen zweier Aussteiger. „Ich habe mich damals von der Gemeinde missbraucht gefühlt“, sagt ein junger Mann namens Thomas, eine junge Frau ergänzt, sie habe sich gefragt, ob sie in die Hölle komme, wenn sie ihre Kirche verlasse.
„Kein Erbarmen“ heißt der neunminütige Clip, und der Name ist Programm: Reporter Karig steht vor der Zufahrt zu einer Berliner Kirche, wo die vom „Gospel Forum Stuttgart“ veranstaltete „Holy Spirit Night“, ein Gottesdienst mit viel Musik und jugendlicher Zielgruppe, stattfindet. „Pressefreiheit scheint kein christlicher Wert zu sein“, behauptet er, weil er nicht auf dem Gelände drehen und Jugendliche vor laufender Kamera befragen darf. „Ungläubige müssen draußen bleiben“, schlussfolgert er.
Gezeigt werden schließlich doch Gesprächsfetzen, in denen Karig einer jungen Frau die Aussage in den Mund legt, er arbeite für den Teufel. „Die Party hier scheint eher harmlos“, muss er schließlich zugeben, dies ändere sich aber, wenn man sich aus der Großstadt „raus aufs Land“ wage, denn dort gäbe es „Abgründe“. In einem nicht näher genannten Ort in Süddeutschland berichtet Julia, Aussteigerin aus einer TOS-Gemeinde (Tübinger Offensive Stadtmission): „Etwas, das du nicht sehen oder mit deinen Sinnen erfahren kannst, ist ja das beste Druckmittel, das du dir aussuchen kannst“, sagt sie. Es werde von einem gnädigen Gott gepredigt, aber das Gegenteil gelebt. Sie habe die charismatische Gemeinde verlassen, als sie die gottgegebenen Verbote nicht mehr ertrug, heißt es dazu aus dem Off.
Karig besucht daraufhin unangekündigt und ohne Drehgenehmigung die Gemeinde und stellt ein Mitglied zur Rede, der Mann will aber nicht mit ihm sprechen.
Im Anschluss interviewt Karig den Theologen Philipp Kohler, Referent bei der Arbeitsstelle Weltanschauungsfragen der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Der hält die Schilderungen der Aussteiger für glaubwürdig und konstatiert, dass es in solchen Gemeinden immer Konfliktpotential gebe. „Auf der einen Seite gibt es das Gute, das Erstrebenswerte, das Glauben an Christus, das Leben in der Gemeinde“, sagt er. „Und zum anderen gibt es das Böse, den Kampf gegen die Verrottung in der Gesellschaft. Wenn die Welt entweder schwarz oder weiß ist, hat man keinen Platz für Farbe oder Buntheit.“

Wie ein Pastor von den Reportern vorgeführt wird

Daraufhin kommt wieder Thomas zu Wort, der von seinem Ausstieg aus der Vineyard-Gemeinde berichtet. Schließlich wird Martin Buchwitz, Thomas‘ ehemaliger Pastor, interviewt. Gegenüber pro erklärte Buchwitz, von den Journalisten überrumpelt worden zu sein. pro liegt der Schriftverkehr zwischen Buchwitz und der ZDF-Redaktion vor: Zunächst fragten die Reporter harmlos klingend nach einem Interview zum Thema „wachsende charismatische Gemeinden“ nach. Buchwitz sagte ab mit der Begründung, es gebe dafür bessere Beispiele, da seine Gemeinde sehr langsam wachse.
Daraufhin schickten ihm die Journalisten einen Katalog mit Fragen, die auf die inhaltliche Ausrichtung des Beitrages schließen lassen: Wie die Gemeinde zu Homosexualität und Sex vor der Ehe stehe, wie viel der Pastor verdiene und ob Gemeindemitgliedern die Einnahme von Psychopharmaka erlaubt sei. Buchwitz willigt schließlich doch in ein Interview ein, um Vorurteile auszuräumen. Der Reporter und der Pastor werden dabei unterschiedlich in Szene gesetzt: Karig kommt dank ruhiger Kamera und frontaler Aufnahme gefestigt rüber, während Buchwitz dank wackelnder Kamera im Halbprofil als fahrig inszeniert wird.

Persönlicher Konflikt im Hintergrund

Thomas berichtet von einer sogenannten Seelsorgegesprächen mit zwei Leitern, nach denen es ihm nicht gut gegangen sei. Ihm sei gesagt worden, dass dies normal sei. Buchwitz dementiert dies, Thomas jedoch spricht von Alpträumen. Reporter Karig will Buchwitz überführen, im Umgang mit Menschen mit dem Teufel zu argumentieren, und liest aus einer E-Mail vor, die ihm zugespielt wurde. „Anklage gegen die eigenen Geschwister und gegen den Leib Jesu kommt nur von einem: das ist der Ankläger der Brüder, also Luzifer, Teufel oder Satan …“, heißt es darin. Die Mail, erklärt Buchwitz gegenüber pro, habe er an ein Mitglied des Leitungsteams seiner Gemeinde, der mit Thomas im Gespräch gewesen sei, geschickt. Die Absicht dahinter: Daran zu erinnern, dass Streit die Gemeinde spalten kann.
Überhaupt, so erscheint es im Gespräch mit Buchwitz, steckt ein persönlicher Konflikt hinter der Geschichte von Thomas. Im Beitrag beklagt er, dass innerhalb von zwei Tagen die gesamte Leiterschaft über seinen „Ausstieg“ informiert worden sei. Im Gespräch mit Buchwitz erfährt man, was den Zuschauern verborgen bleibt: Thomas war seit drei Monaten selbst Mitglied des Leitungsteams der Gemeinde, als er per SMS plötzlich seinen Ausstieg verkündete. Dass darüber der Rest des Leitungskreises informiert wird, liegt auf der Hand. Gesprächsangebote zur Versöhnung habe Thomas nicht beantwortet, deswegen habe man ihn auch in Ruhe gelassen, so Buchwitz. Es steht Aussage gegen Aussage, aber im Gespräch mit dem Pastor wird eine persönliche Dimension der Geschichte deutlich, die eines vermuten lässt: Eine Person, die aus persönlichen Gründen der Gemeinde schaden wollte, hat dafür den Weg über die Medien gewählt.
„Kein Erbarmen“ endet mit einer Frage an den Theologen Kohler: Müsste nicht offensiver vor dem geistlichen und seelischen Missbrauch gewarnt werden? Der kratzt sich im Gesicht und sagt: „Das ist ’ne echt spannende Frage.“
Funk ist das Jugendportal von ARD und ZDF, das seit dem 1. Oktober online ist. Wie die Sender mitteilen, liegt das jährliche Gesamtbudget bis Ende 2020 bei maximal 45 Millionen Euro. Hierbei übernimmt die ARD zwei Drittel, das ZDF ein Drittel der Kosten, die aus den Rundfunkgebühren finanziert werden. pro wird weiter über das Thema berichten und auch die Macher der Sendung nach ihren Intentionen befragen. (pro)

Update Mittwoch, 19. Oktober:

Die Autoren des Films haben sich gegenüber pro über die Produktion geäußert und zu Kritikpunkten Stellung bezogen.Programmbeschwerde gegen Bayern 2 erfolgreich (pro)
„Mission unter falscher Flagge“: NDR weist Beschwerde zurück (pro)

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