Erdoğan-Gedicht: So ist das nun mal im Rechtsstaat

Das Gedicht des Satirikers Jan Böhmermann über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan ist an Geschmacklosigkeit nicht zu überbieten. Dass genau das verboten ist, wollte der ZDF-Comedian zeigen. Ob er sich damit strafbar gemacht hat? Das müssen Juristen klären. Gut so, schließlich leben wir in einem Rechtsstaat. Ein Kommentar von Nicolai Franz
Von Nicolai Franz
Zweifacher Grimmepreisträger, Quatschmacher, Humor-Aktivist:  Jan Böhmermann
„Satire darf alles“, heißt es immer wieder. Ein Satz, der einfacher, aber auch unschärfer kaum sein könnte. Denn Satire darf beileibe nicht alles. Die Grenzen der Satire sind juristisch dort erreicht, wo nicht mehr die Kritik an einer Sache, sondern die bloße Schmähung einer Person im Vordergrund steht. Dann spricht man folgerichtig von „Schmähkritik“. Wo legitime Satire aufhört und wo Schmähkritik anfängt, ist nicht immer einfach zu sagen – und das beschäftigt daher auch immer wieder die Gerichte. Im Sinne der medienethischen Aufklärung müsste man Satiriker Jan Böhmermann also eigentlich dankbar sein. Dafür, dass er mit seinem abstoßenden Gedicht „Schmähkritik“ auf großer Bühne in seinem Neo Magazin Royale ein Beispiel dafür geliefert hat, was Satire eben nicht mehr ist. So wies der Comedian von ZDF Neo vor und während seines Gedichtvortrags mehrfach darauf hin, dass es verboten sei, ein solches Stück öffentlich aufzuführen.

Natürlich ist Böhmermann kein Rassist

Darin wird der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan auf übelste Weise diffamiert, wobei sich fast alle Beleidigungen unter der Gürtellinie abspielen. Das Publikum lachte nach jedem noch so infantilen Gag, während Böhmermann sich immer wieder bemühte, zu sagen, dass man jetzt nicht lachen oder klatschen dürfe. Natürlich meinte er das alles nicht ernst, natürlich ist Böhmermann weder Rassist noch der Überzeugung, Erdoğan würde Geschlechtsverkehr mit Ziegen haben. Und doch zog das Gedicht Kreise bis ins Kanzleramt. Angela Merkel sah sich genötigt, in einem Telefonat mit Ministerpräsident Davutoğlu darin übereinzustimmen, dass es sich um einen „bewusst verletzenden“ Text gehandelt habe. Die Staatsanwaltschaft ließ laut Tagesspiegel aufgrund von 20 Anzeigen Ermittlungen einleiten. Manche Medien diskutieren sogar darüber, ob der Straftatbestand der Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes nach Paragraf 103, Strafgesetzbuch, erfüllt sei. Das ZDF löschte den Beitrag aus der Mediathek mit der Begründung, er entspreche nicht den Qualitätsansprüchen des ZDF an Satiresendungen.

Erdoğan ist ein Feind der Pressefreiheit

Doch hat Böhmermann mit seinem Beitrag aktiv Schmähkritik betrieben? Oder hat er Schmähkritik lediglich parodiert und zitiert, wie seine Unterstützer meinen? Gegen letztere Position würde sprechen, dass der ZDF-Komiker das Gedicht nicht bloß zitiert, sondern inszeniert hat. Mit Türkeifahne im Rücken und säuselnder Nena-Musik im Hintergrund. Zudem ist es fraglich, ob etwas Verbotenes dadurch weniger verboten wird, wenn man vorher sagt, dass es verboten ist. All das wird von Juristen geklärt werden müssen. Es wäre falsch, diese Diskussionen als Miesepetrigkeit oder Anbiederung an den Despoten und Feind der Pressefreiheit Erdoğan zu werten, zu dessen Staatsverständnis es gehört, unliebsame Journalisten unter Druck zu setzen. Dass all diese Fragen diskutiert werden, ist nicht etwa ein Zeichen der Schwäche Deutschlands im Dialog mit der Türkei, von der die EU in der Flüchtlingsfrage abhängig ist. Denn zur Presse-, Kunst- und Meinungsfreiheit gehören auch deren Grenzen. Diese sind in einer Demokratie aber nicht abhängig vom jeweiligen Herrschenden. Sondern von Recht und Gesetz. (pro)
https://www.pro-medienmagazin.de/kommentar/detailansicht/aktuell/so-weit-kommts-noch-95538/
https://www.pro-medienmagazin.de/fernsehen/detailansicht/aktuell/heute-show-das-lachen-bleibt-im-halse-stecken-95212/
https://www.pro-medienmagazin.de/journalismus/detailansicht/aktuell/wir-gegen-die-da-oben-88611/
Helfen Sie PRO mit einer Spende
Bei PRO sind alle Artikel frei zugänglich und kostenlos - und das soll auch so bleiben. PRO finanziert sich durch freiwillige Spenden. Unterstützen Sie jetzt PRO mit Ihrer Spende.

Ihre Nachricht an die Redaktion

Sie haben Fragen, Kritik, Lob oder Anregungen? Dann schreiben Sie gerne eine Nachricht direkt an die PRO-Redaktion.

Offline, Inhalt evtl. nicht aktuell

PRO-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen