Wissenschaftler unterschiedlicher Forschungseinrichtungen sind der Frage nachgegangen, ob Menschen bereit sind, den Tod eines Menschen billigend in Kauf zu nehmen, wenn sie damit fünf andere Menschen retten könnten. Die Studie zeigt: In Deutschland ist die Bereitschaft dazu höher als in China oder in Taiwan. Dazu haben die Forscher um Edmond Awand von der Exeter Business School für ihre Studie 70.000 Menschen in 42 Ländern befragt. Dabei zeigte sich, dass die Antwort je nach Land unterschiedlich ausfällt.
Für die Studie konfrontierten die Wissenschaftler die Teilnehmer mit einem moralischen Dilemma. Darin konnten die Probanden eine Gruppe von fünf Gleisarbeitern retten, wenn sie einen Zug durch Betätigung einer Weiche auf ein Nebengleis lenken. Allerdings befindet sich in dem Modell dort ebenfalls ein Arbeiter auf dem Gleis, der dann umweigerlich zu Tode kommt. In Deutschland entschieden sich nach Angaben der Welt vom Dienstag 82 Prozent der Befragten dafür, den Zug auf das Gleis mit dem einen Arbeiter umzulenken. In China waren dazu nur 58 Prozent der Befragten bereit.
In einer Variation der Szene durchfährt der Zug eine Schleife und kommt auf das Gleis mit den fünf Arbeitern zurück. Das Unglück kann nur verhindert werden, wenn der eine Arbeiter stirbt und mit seinem Körper den Zug zum Stillstand bringt. Der Tod des einen ist in dem Modell Voraussetzung für das Überleben der anderen.
Kultur hat Einfluss auf Enscheidung
Im dritten Szenario soll ein Mann von einer Brücke gestoßen werden, damit dessen Körper den Zug zum Stehen bringt und die fünf Arbeiter überleben. 49 Prozent der Deutschen hätten einen Mann von der Brücke gestoßen, um fünf Menschenleben zu retten. In China wären dazu nur 33 Prozent der Befragten bereit gewesen, hat die Welt ausgerechnet. Die Online-Befragung hat ergeben, dass weltweit die Bereitschaft, den Tod eines Menschen in Kauf zu nehmen, um fünf andere zu retten, in diesem Beispiel am höchsten ist. Bei den beiden anderen Varianten nahm die Bereitschaft jeweils ab.
Die Forscher erklären das Ergebnis mit dem kulturell unterschiedlichem Stellenwert von Beziehungen. „In Gesellschaften mit geringer relationaler Mobilität entwickeln Menschen lebenslange Beziehungen und haben zudem nur wenige Möglichkeiten, neue Beziehungen zu entwickeln. Infolgedessen zeigen sie eine größere soziale Vorsicht, um Konflikte in bestehenden Beziehungen zu vermeiden“, heißt es in der Studie. Mit anderen Worten: In den Ländern mit vornehmlich langfristigen Beziehungen und wenig Aussicht auf neue, ist die Opferbereitschaft geringer.
„Jede Kultur hat Regeln darüber, was richtig oder falsch ist, aber sie sind sich oft nicht einig über die Einzelheiten moralischer Entscheidungen“, heißt es in der Studie. Moralische Universalien seien schwer zu finden und offenbarten ein „gewisses Maß an kultureller Variation“.
Von: Norbert Schäfer