Eine „Non-Profit-Evangelisation“

Wenn es draußen dunkel ist, ziehen sie los. Ausgerüstet mit Kaffee, Wasser und viel Freude. Sie wollen der Stadt und den Menschen in Halle dienen. Für ihre Arbeit hat das Land Sachsen-Anhalt die „Nightbirds“ mit dem Landespräventionspreis ausgezeichnet. pro hat die jungen Frauen und Männer eine Nacht lang begleitet.
Von PRO
Voll beladen: Maik Wegener von den „Nightbirds“ mit Kaffee und Tee

Alkoholisierte Männer geraten auf dem Marktplatz aneinander. Der nachts immer patrouillierende städtische Sicherheitsdienst ist schnell zur Stelle, kann die Situation aber nicht wirklich entschärfen. Wenig später greifen Beamte der Polizei ein und treiben die streitenden Parteien auseinander. So weit nicht ungewöhnlich für eine Großstadt, noch dazu an einem Wochenende. Auf der Straße, die den Marktplatz teilt, kommen vereinzelt Passanten vorbei. Regen setzt ein und die Szenerie wird deprimierend. Wäre da nicht lautes Gelächter zu hören, nur einen Steinwurf vom Polizeieinsatz entfernt, auf der anderen Straßenseite. Unter dem Bahnwartehäuschen hat sich, geschützt vor dem Regen, eine Menschentraube um einen großen Wagen versammelt. Dort verteilen junge Leute, die „Nightbirds“, kostenlos heißen Kaffee, Tee, Wasser und saure Glühwürmchen.

Nächtlicher Gottesdienst im Herzen der Stadt

Die „Nightbirds“ haben sich im Juli 2016 privat gegründet. Ihr Ziel ist es, die Atmosphäre in Halle zu prägen und den Menschen etwas Gutes zu tun. „Viele Leute leben einfach aneinander vorbei“, sagt Daniel Bierbaum, der Gründer der „Nightbirds“. Die Idee hinter dem Projekt hätte daher auch ohne christliche Inhalte einen hohen Mehrwert, mit Jesus jedoch umso mehr. Es sei aber nicht das Ziel, „die Bibel zu nehmen und den Leuten vor den Schädel zu kloppen“, beschreibt Maik Wegener die Idee. Nächstenliebe ohne Bedingung und Gegenleistung ist die Devise. Kommt das Gespräch auf den Glauben, erzählen die „Nightbirds“ gern von Jesus. Aber sie zwingen niemandem etwas auf. Tobi Hammelmann spricht von einer „Non-Profit-Evangelisation“. „Wir feiern Jesus und deshalb jeden einzelnen Menschen, dem wir begegnen“, sagen die „Nightbirds“, für die ihre Einsätze ein Dienst für Gott sind. Ein Gottesdienst eben. Nachts und mitten auf dem Halleschen Marktplatz.

Um 21 Uhr hatten Bierbaum, Wegener, Julia Kolbe und Udo Graue ihren Einsatz vorbereitet: Wasserflaschen einladen, Becher mit dem Logo der „Nightbirds“ bekleben, Kaffee und Tee kochen. Es ist ein gemütliches Beisammensein unter Freunden. Es wird viel gelacht, ein bisschen geraucht und ein erster Kaffee gegen die drohende Müdigkeit und die Kälte getrunken. Bei den letzten Handgriffen schließen die Freunde eine Wette ab: Wie oft wird Graue heute Nacht auf seine Ähnlichkeit mit Ed Sheeran angesprochen? Bevor die Truppe aufbricht, nehmen sie sich noch ein paar Minuten für eine Gebetsgemeinschaft. Es ist ihnen wichtig, die kommenden Stunden, das Ungewisse und alle Begegnungen bewusst in Gottes Hände zu legen.

Wenn Kaffee entwaffnet

Von dem Gemeindegelände der halleschen Evangeliumsgemeinde aus ist es nicht mal ein Kilometer bis zum Marktplatz. Doch mit 180 Wasserflaschen befüllt, ist das Wagenschieben extrem anstrengend. Umso besser, dass sich auf halbem Weg zum Roten Turm auf dem Marktplatz noch Helge Eisenberg und Lukas Gotter, der Pastor der Evangeliumsgemeinde, anschließen. Nach exakt 27 Sekunden ist bereits der Erste mit einer Wasserflasche versorgt. Einen Moment später ist der erste Kaffee ausgeteilt. Langsam breitet sich ein wohltuender Kaffeeduft aus und das Treiben um den Wagen wird größer.

Während zwei „Nightbirds“ den Wagen bedienen, verteilen sich die andern auf dem Marktplatz, um den Passanten Getränke anzubieten. Immer zu zweit, man weiß ja nie, wem man nachts begegnet. Es gab auch schonmal brenzlige Situationen. Umso positiver ist da eine Begegnung aus einer anderen Nacht: Ein kräftiger Mann überquerte, laut über Ausländer fluchend, den Marktplatz. Sie hätten ihm Geld und Handy geklaut. Voller Frust traf er auf die „Nightbirds“. Diese boten ihm einen Kaffee an. Von der Geste völlig überrumpelt, verflog die Aggressivität. Der Mann half anschließend sogar beim Verteilen der Getränke und schloss sich dem gemeinsamen Gebet an. Wegen Begegnungen wie dieser hat das Land Sachsen-Anhalt die „Nightbirds“ mit dem Landespräventionspreis ausgezeichnet.

Zurück zum nächtlichen Einsatz: An den Taxiplätzen fragt ein älterer Fahrer, ob es zum Kaffee auch Zucker gebe: „Ohne bekomme ich immer Kopfschmerzen.“ Während der eine verneint, kramt die andere in ihrer Jackentasche und findet tatsächlich eine Packung Zucker. „Warum ich ausgerechnet heute welchen dabei habe, weiß ich nicht“, meint sie mit einem breiten Grinsen im Gesicht.

„Licht am Ende der Nacht“

In dieser Nacht begegnen die „Nightbirds“ einem betrunkenen Obdachlosen, der gemeinsam mit einem Wirtschaftsstudenten ein Weihnachtslied lallt. Sie treffen einen jungen Mann, der seinen Schreibtisch durch die Stadt trägt, und eine Reihe Arabisch sprechende Studenten. Auf Ed Sheeran sprechen Udo Graue in dieser Nacht nur zwei Passanten an. So unterschiedlich die äußeren Umstände und Menschen auch sind, ihre Reaktionen auf das Gratisgetränk sind ähnlich: Kaum einer kann das Getränk einfach annehmen. Viele vermuten, dass eine Gegenleistung von ihnen erwartet wird. Sie seien es nicht gewohnt, dass „es so etwas in unserer Gesellschaft noch gibt“, fasst ein älterer Mann das in Worte.

Gegen 1.15 Uhr wird der Regen so stark, dass die „Nightbirds“ zu ihrer „Base“, der Evangeliumsgemeinde, zurückkehren. Auch wenn sie heute wegen des schlechten Wetters nicht bis zum Sonnenaufgang unterwegs waren, passt ihr Motto „Licht am Ende der Nacht“ dennoch: Ihr Einsatz ist für viele Bürger wie ein unerwartetes Licht. Nicht nur, weil sie Getränke verschenken. Vielmehr scheint es so, als sei die Geste an sich für viele wohltuend.

Von: Martin Schlorke

Dieser Text ist in der Ausgabe 1/2019 des Christlichen Medienmagazins pro erschienen. Sie können es kostenlos online bestellen oder telefonisch unter 06441 5 66 77 00.

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