Eine lehrreiche Unverschämtheit

"Ich weiß es schon, dieses Buch ist eine Unverschämtheit", schreibt "Spiegel Online"-Redakteur Stefan Kuzmany im Nachwort von "Das können Sie glauben!". Und er hat Recht. Sein religionskritisches Buch ist frech, stößt Gläubige vor den Kopf und lässt so manchen Leser sicher verärgert zurück. Doch es zeigt Christen, Muslimen oder Juden auch, wie sie von außen wahrgenommen werden – und bringt damit wertvolle Erkenntnisse.

Von PRO

"Das können Sie glauben!" ist ein Selbstversuch. Und eine Persiflage. Beides muss der Leser wissen, bevor er sich an die Lektüre dieses Werks begibt, das von dem ehemaligen "taz"- und heutigen "Spiegel Online"-Redakteur Stefan Kuzmany verfasst wurde. Auszüge aus dem Buch sind derzeit auch auf der Internetseite seines jetzigen Arbeitgebers zu lesen. Besser ist es, mit dem Buch zu beginnen, hier schickt der Journalist dem Lesen im Vorwort nämlich eine Warnung voraus, die es zu beherzigen gilt: "Insbesondere beabsichtigt der Autor nicht, Ihre religiösen Empfindungen zu verletzen. Sollten Sie in dieser Hinsicht empfindlich sein, stellen Sie die Lektüre bitte sofort ein und verwahren sie dieses Buch an einem Ort, an dem sie es nie wiederfinden werden."

Zwischen Pierre Vogel und Bushido

In sechs Kapiteln arbeitet sich der Autor an einigen Weltreligionen und Scientology ab. Das bedeutet: Er testet einen Glauben nach dem anderen, entdeckt Spielarten und Grundeigenschaften der jeweiligen Religion, erklärt bestimmte Merkmale für lächerlich, andere empfindet er schlicht als für ihn unpassend. Als erstes nimmt er sich den Islam vor, bittet aber noch im Vorwort darum, "davon abzusehen, ihn oder seine Angehörigen oder seinen Verlag zu bedrohen oder auf den richtigen Weg zu bringen".

Um herauszufinden, was es mit dem Islam auf sich hat, begibt sich Kuzmany in Berliner Moscheen. Dort trifft er auf den gemäßigten Moslem und ehemaligen Evangelikalen Mohammed Herzog. Der ist nicht nur gegen die Unterscheidung zwischen Sunniten und Schiiten, er findet auch, dass der Islam keinen Zwang zum Kopftuch kennt. Der Imam verheiratet Muslime auch mit Nicht-Muslimen, nur bei Homosexuellen kann er kein Auge zudrücken. Herzog wirkt eher wie eine Art Hippie-Pastor, als wie ein gläubiger Moslem – Kuzmany erscheint das nicht ganz "halal" (arabisch für erlaubt). So sucht er "die härtesten Muslime von Berlin" auf – und landet gemeinsam mit dem Rapper Bushido und dem Salafiten-Prediger Pierre Vogel in der Al-Nur-Moschee. Die Predigt des konservativen Geistlichen verkürzt Kuzmany auf die Aussage: "Kein Sex vor der Ehe, sonst Hölle". In die, so soll Vogel einst gesagt haben, komme auch der Rapper Bushido, wenn er nicht von den Frauen und dem Koks lasse. Der wiederum ist gekommen, um sich die Botschaft des "komischen Vogels" persönlich anzuhören. Seinem Bekehrungsaufruf am Ende der Veranstaltung folgt er dennoch nicht, ebensowenig wie der Autor.

Heilungen und gesegnete Unterhosen

Doch auch das Christentum überzeugt Kuzmany kaum. Sein Selbstversuch beginnt hier mit einer Begegnung mit den Zeugen Jehovas. Weil Kuzmanys Freundin den Missionaren unabsichtlich die Wohnungstür geöffnet hat, flüchtet er über den Balkon zu seiner Nachbarin, die sich als bibeltreue amerikanische Christin entpuppt. Ihr Freund Wigbert, ein Baptist, berichtet von Gottesbegegnungen durch Visionen und Sprachengebet und lädt den Zweifler zu einem Glaubens-Grundkurs ein. Das bringt den Autor zu Abhandlungen über den Evangelisten Reinhard Bonnke und den Toronto-Segen. "Es gibt Bilder und Videos von der Wirkung des Heiligen Geistes im Internet zu sehen", schreibt er. Brausen und Feuerzungen sähe man dort zwar nicht, "aber die Laute, die die Gläubigen von sich geben, gehen ebenfalls sehr zu Herzen".

Bei einem Spaziergang trifft Kuzmany auf ein Missions-Team der "Vineyard"-Bewegung. Auf der Straße beten sie für Kranke und berichten von Heilungen. Auch ganze Gliedmaßen sollen schon nachgewachsen sein. Einer der Christen habe Erzählungen zufolge einmal eine Verkäuferin in einem Unterwäsche-Laden gesegnet. "Ich lasse die Vineyard-Beter hinter mir, bevor sie mich segnen können" schreibt Kuzmany "Hundert Meter weiter quält mich zwar der Gedanke, dass die Unterhose, die ich gerade trage, höchstwahrscheinlich aus einem ganz und gar ungesegneten Kaufhaus stammt – aber nur kurz."

Kuzmany macht auch einen Ausflug in die evangelische Landeskirche. Der Glaube, der ihm bei den Evangelikalen und Charismatikern zu kurios vorkam, erscheint ihm hier überraschend beliebig. Der Protestant Volker erklärt ihm, dass es nicht schlimm sei, wenn er Zweifel an der Auferstehung, der Dreifaltigkeit oder anderen Wundern habe. Das einzig wichtige sei, dass er glaube, dass es einen Gott gebe, der etwas von ihm wolle. Schon dann sei er "vollwertiges Mitglied der evangelischen Kirche". Als ihn Martina, ebenfalls Gemeindemitglied, dann aber bittet, sich doch für ein Hilfsprojekt in Haiti zu engagieren, ist der Spaß für Kuzmany vorbei. Spenden werde er wohl nie. "Ich bin keinen Schritt weitergekommen. Richtig protestantisch fühle ich mich schon lange nicht mehr, vor den Zeugen Jehovas habe ich Angst, vor den Evangelikalen sowieso, und den Katholizismus hat mir Gloria von Thurn und Taxis verdorben", schreibt Kuzmany. Die Vorzeige-Katholikin habe das Aids-Problem in Afrika schließlich in einer Talkshow darauf zurückgeführt, dass der "Schwarze" zu "gerne schnackselt" und sich später relativiert. Das sei nicht rassistisch gemeint gewesen, soll sie gesagt haben. "Dass die mehr schnackseln, hat mit den klimatischen Bedingungen da unten zu tun." Man trage dort eben weniger Kleider.

Beobachtungen eines Außenstehenden

Kuzmanys Reise durch die Religionen ist vereinfachend, etwa, wenn er die Christen als Schuldige der Christenverfolgung bezeichnet, weil sie das Missionieren einfach nicht lassen könnten. Wie er selbst zugibt, ist sein Bild des Gläubigen verkürzt und erhebt keinen Anspruch auf Absolutheit. Doch auch Christen können seinem Religionsporträt etwas abgewinnen. Der Journalist zeichnet als Außenstehender ein völlig schonungsloses Bild der Glaubenden. Es sollte nicht verwundern, dass ein Missionar wie Reinhard Bonnke auf Nichtchristen beängstigend oder gar lächerlich wirkt. Christen sollten Kuzmany nicht übel nehmen, dass er Lobpreis-Gitarren-Musik auf offener Straße und Glaubens-Kurse abschreckend findet. Denn obwohl er die Religionen durch simple Schilderung bis ins kleinste Detail kritisiert und lächerlich macht, berichtet er am Ende seines Buches noch von Conny, einer Erzieherin in der Kita seines Sohnes. "Oft habe ich mich gefragt, woher diese Frau die Hingabe und Kraft nimmt, jeden Tag mit einem wilden Rudel von Kleinkindern so geduldig, so liebevoll umzugehen, wie sie es tut – bis ich sie eines Tages gefragt habe und sie mir von ihrem tiefen Glauben erzählt hat, dem Quell ihrer Kraft." Was Conny glaubt, lässt der Autor bewusst offen. Doch er stellt fest: Den Glauben habe er nicht in der Kirche, der Moschee, der Synagoge, im Fernsehen oder in Büchern gefunden. Sondern im Alltag. (pro)

Stefan Kuzmany: Das können Sie glauben. Die großen Religionen dieser Welt im Selbstversuch, S. Fischer 2011, 9,99 Euro, ISBN: 978-3-596-18090-5

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